Neue Heimat 8: P.S.

Das Bad meiner neuen Bleibe hatte ich unterschlagen, weil ich es so skurril fand: Ein Miniraum mit Waschbecken und Klo, der gleichzeitig Duschkabine ist. Auch das: funktioniert. Es macht sogar einen kindischen Spaß, ganz legal das Bad unter Wasser setzen zu dürfen. Ich muss jeden Morgen kichern. Kein Wunder, dass die Dänen hartnäckig die Liste der glücklichsten Völker der Erde anführen.

Wir basteln uns eine Micro-SIM

„Eine Prepaid-Karte für das iPhone 4? Nein, das haben wir nicht. Gibt es hier nicht. Prepaid-SIMs gibt es nur in der alten Größe.“ Na schön, dann mal her damit. Was nicht passt, wird passend gemacht. Es gibt ja nichts, was man nicht mit einer Küchenschere und etwas Entschlossenheit kleinkriegt. Und siehe da: Es funktioniert.

Hjerteligt velkommen

TOP 1: ein Fahrrad. Ohne geht es hier gar nicht. Dieses (sieben Gänge, bisschen schwach auf der Bremse, dafür Rücktritt) habe ich für einen Monat von Baisikeli gemietet, weil ich deren Idee so bestechend finde: Sie vermieten gebrauchte Räder, der Erlös dient dazu, den Export und die Reparatur schrottreifer Räder für Mozambique und Sierra Leone zu finanzieren, wo Mobilität entscheidend ist, um zur Schule oder zum Krankenhaus gelangen zu können.

Die Radwege hier sind wie vierspurige Straßen, so was Breites habe ich noch nie gesehen. Völlig unnötig, das Rad mit einer fetten Panzerkette anzuschließen, meinte der Typ vom Radladen; das Speichenschloss reiche hier völlig. „Räder werden hier nicht geklaut. Jedenfalls nicht unsere.“

TOP 2: zu Royal Copenhagen in der Strøget. Meine Kanne hat was Kleines bekommen (2. Wahl, aber seit London geht Tee ohne Milch nicht mehr).

Und weil ich schon mal in der Nähe war: Illums Bolighus. Ein multipler Orgasmus auf vier Etagen. Ich kannte das schon von meinem einen Kopenhagen-Besuch im Winter vor zwei Jahren: skandinavisches Design – Möbel, Haushaltswaren, Stoffe – bis unter die Decke, man möchte jedes einzelne Stück haben. Es ist die Hölle. Ich habe es tatsächlich geschafft, eine Stunde sabbernd hier durchzutaumeln, ohne auch nur ein Stück zu kaufen. Nicht mal den Wassermelonen-Fahrradhelm. Übermenschlich.

Illums Bolighus, Amagertorv 10, 1160 København

Eine Zufallsentdeckung: das älteste Café der Stadt, Konditori La Glace. Eigentlich bin ich hier nur hängengeblieben, weil das Schaufenster so bizarr dekoriert war. Offensichtlich hat der Konditor Strickmützen und -kissen nachgebacken, die hier von einem Handarbeitskränzchen gestrickt wurden. Alles ziemlich bezaubernd, und der Kuchen ist auch nicht übel.

Konditori La Glace, Skoubogade 3, 1158 København, täglich 8.30 Uhr bis 17.30 Uhr, im Sommer sonntags geschlossen (denn die Bäcker müssen ja auch mal an den See)

10 Dinge, die ich in London gelernt habe

1. Nerven bewahren. Der Londoner Schlussverkauf ist ein bisschen wie Pferdewetten. Es gibt reductions, ein paar Wochen später further reductions und schließlich final reductions. Im ersten Schub gibt es noch viel Auswahl, aber nur 30 bis 50 Prozent Discount, am Schluss hängt nur noch wenig da, das dann aber gelegentlich zu 10 Prozent des einstigen Ladenpreises. Die Entscheidung, wann man zuschlägt, wird da zu einem amüsanten Glücksspiel und hat mir bei Harvey Nichols ein seidenes Abendkleid (auf einem der Bilder der Reisegarderobe zu sehen) für 68 Pfund beschert, herabgesetzt von 680.

2. Rechts stehen, links gehen. Nichts macht Londoner aggressiver als das Verletzen der Rolltreppen-Etikette.

3. Man braucht keine Bändsel an den Teebeuteln.

4. Presseskandal hin oder her: Die britischen Zeitungen – Guardian, Independent, sogar die Sunday Times – sind immer noch die besten der Welt.

5. Und wenn wir schon bei besten der Welt sind: Victoria & Albert Museum. So eine gloriose Anhäufung von Exzess (der größte silberne Weinkühler der Welt, 226 Kilo schwer!) und Lieblichkeit gibt es nirgendwo sonst. Ich gehe bei jedem London-Besuch hin, bilde mir danach immer ein, ich hätte jetzt aber wirklich alles gesehen und irre mich wieder und wieder. Und bin stets auf Neue gerührt über den unerschöpfliche Einfallsreichtum der Menschheit.

6. Und wenn wir schon bei Exzess sind: Sir John Soane’s Museum. Schon wegen des bezaubernden Enthusiasmus der Wachmänner, die nicht nur herumstehen, sondern die Geschichte des Hauses erzählen, als ob Sir John ihr kürzlich verstorbener Großonkel sei. Elegant und wirkungsvoll: Auf den antiken Stühlen liegen getrocknete Disteln, damit sich niemand auf sie setzt. Weitaus dekorativer als „Do not sit“-Schilder.

7. Gleichzeitig habe ich hier auffällig viele Schilder gesehen, die einen auffordern, das zu tun, was anderswo verboten ist. Erinnerte mich an den Botanischen Garten in Sydney. Das könnte glatt eine neue Sammlung hier werden: Erlaubnisschilder. Links: V&A, rechts die tollen V&A Reading Rooms ein paar Straßen weiter, ein Buchladen, in dem man alles darf.

8. Ich dachte immer, ich kenne London ganz gut. Aber in all den Jahren, die ich als Touristin oder zu Interviewterminen hierher gekommen bin, habe ich nie so viel erfahren wie in diesem einen Monat, den ich als Bewohnerin hier verbracht habe. Der Unterschied? Vielleicht der entspannte 360°-Blick statt der Scheuklappen-Perspektive, mit der ich sonst zu Verabredungen gerannt bin.

9. Ich kenne jetzt den Mörder in „The Mousetrap“ (gesehen: die 24446. Vorstellung im 59. konsekutiven Jahr).

10. Selbstverständlich gibt es Karnevalskostüme für Hunde.


Neue Heimat 8

Ungewohnt, aber angenehm, mal ganz ohne Nachtflug und Jetlag den Ort zu wechseln. Wie winzig doch Europa ist! Auch ungewohnt: Ich bin jetzt in Blondhausen, alle sprechen mich auf dänisch an und gucken verwirrt, wenn ich auf englisch antworte.

Mit der Wohnung (dieses Mal über airbnb) hatte ich wieder Glück. Sie gehört Christian, Mitarbeiter einer Modeagentur, und ist eine waschechte Jungswohnung. An der Pinwand Eintrittkarten vom Champions League-Spiel FC København-FC Barcelona, im Kühlschrank Carlsberg, in der DVD-Sammlung Fight Club und The Big Lebowski. Sie liegt in der Kronprinsessegade, im historischen Zentrum von Kopenhagen. Der Blick aus dem Küchenfenster geht zur Marmorkirche, links bimmelt die St. Pauls-Kirche, rundherum bunte Hutzelhäuschen und die Straße hinunter der Schlossgarten von Rosenborg.

Das erste Mahl: ein großes Stück Bløddejs Kringle, gefolgt von Mysli mit Stikkelbær/hyldeblomst-Økoyoghurt. Es wird mir nicht schlecht gehen hier.

Reisegarderobe Juli

Honigbrot

Nehmen wir an, Sie wären ein Rockstar, und das seit 25 Jahren. Würden Sie eine wildfremde Frau in Ihre Küche einladen, ihr Tee kochen, ihr Honigbrot schmieren und sich zwei Stunden lang mit ihr über Rupert Murdoch, Macbeth, Cricket, Hitler, Oasis, die Talente von Kindern und die Hintergründe des schwarzen Obelisken am Münchner Karolinenplatz unterhalten? Um ihr am Ende ein 624 Seiten dickes Sachbuch über King George V., Kaiser Wilhelm II. und Zar Nikolaus II. ans Herz zu legen, und zwar wiederholt? Nein, würden Sie nicht. Aber Sie sind ja auch nicht Darryl Hunt, Bassist der Pogues.

Die ganze Story dann vermutlich am 19. August im SZ Magazin. Ich kann ja nicht alle meine besten Geschichten hier erzählen. Möchte aber trotzdem auf die gelben Abwaschhandschuhe hinten im Bild hinweisen.

Men at work

„Have you seen our garden?“ fragte mich der Mann in blau unten in meiner U-Bahnstation Warwick Avenue. Nein, welchen Garten denn? Kommen Sie, den zeige ich Ihnen. Und ich stieg mit Graham die Treppe hinauf zum Eingang der Station. Tatsächlich, in zwei Blumenkästen am Treppengeländer, wo jeden Tag Tausende vorbeigehen: der Garten. Tomaten, zwei kleine Kohlköpfe, Auberginen, Salbei, Rosmarin, Chilischoten, Erdbeeren. Zwei- oder dreimal am Tag steigt Graham oder einer seiner Kollegen mit einer Wasserkanne ans Licht, um den Garten zu gießen. Die Jungs haben Spaß, keine Frage. Bei der Gelegenheit: noch ein Gruß von Tim.

Schon im Juni erreichte mich eine Mail von Sonja Wanner, einer SZ-Magazin-Leserin. „Sehr geehrte Frau Winnemuth, ich habe einen etwas komischen Auftrag an Sie. Ich war schon viele Male in London (das erste Mal 1983 als Studentin) und jedes Mal suche ich die Buchhandlung Foyles auf. Als Englischlehrerin gehe ich immer in die Abteilung für Englisch als Fremdsprache und wirklich jedes Mal seit 1983 war derselbe Verkäufer da, der mit mir gealtert ist. Er ist sehr zurückhaltend, spricht z.T. mit etwas lauter Stimme und weiß einfach sehr gut Bescheid. Er trägt eine Brille und müsste inzwischen um die 60 sein. Ich habe irgendwie das Gefühl, er ist sehr einsam.
Er wird sicher bald in den Ruhestand gehen und ich habe Angst, wenn ich das nächste Mal in London bin, dass er nicht mehr da ist. Ich weiß nicht einmal seinen Namen und ich wollte mich bedanken für seine Hilfe in all den Jahren. Könnten Sie ihn aufsuchen, nach seinem Namen fragen und sich in meinem – unbekannten – Namen bei ihm bedanken?“

Aber gern. Foyles war auch für mich immer erste Anlaufstelle damals im Studium. Es ist weiß Gott nicht der hübscheste Buchladen, aber ganz sicher immer noch einer der größten. Die Abteilung Englisch als Fremdsprache liegt im ersten Stock, hinter der Kasse: ein junger Mann. Ist der Gesuchte etwa tatsächlich schon in Rente? „Oh nein, Giles ist auf einen Kaffee rausgegangen, der müsste gleich wieder da sein.“ Es dauert dann doch etwas länger, denn der Mann arbeitet inzwischen, wie es ihm passt. Giles Armstrong – nicht etwa 60, sondern schon über 70 – ist seit 40 Jahren bei Foyles, und zwar immer in derselben Abteilung. „I am perfectly happy here, so why should I change?“ Rente? Nein, wozu denn? Auf ihn wartet niemand zuhause, hier hingegen: jeden Tag neue Leute aus aller Herren Länder. Er sei bestimmt eine Legende, sage ich. „Ach“, antwortet er mit feinem Lächeln, „den Ausdruck würde ich nicht benutzen. Sagen wir: eine Institution.“ Er hat von der Geschäftsleitung die Erlaubnis, so lange zu arbeiten, wie er will. Und als ich ihm den Dank und die Grüße von Sonja Wanner ausrichte, strahlt er wie ein Weihnachtsbaum.

Ich liebe es, wenn Leute lieben, was sie tun. Wenn sie ihr Ding stolz und eigensinnig und mit Spaß durchziehen und sich ihren Arbeitsplatz genau so zurechtdengeln, wie es für sie gut ist. Mit Blumenkästen oder langen Teepausen – whatever works.

Gen B

Als ich vor knapp zwei Jahren eine Wohnung kaufte und renovieren ließ (die ich als mein Zuhause betrachte, in der ich aber, wenn ich jetzt recht darüber nachdenke, zusammengerechnet gerade mal vier Monate gewohnt habe), habe ich von meinem Lieblingshandwerker Herrn Ohms die schöne Vokabel „bummelig“ gelernt. Bummelig zwei Wochen würde dieses und jenes dauern, bummelig 5000 Euro das und das kosten. Mit anderen Worten: um und bei oder ungefähr. Bummelig klingt aber so viel angenehmer, entspannter, egaler, dass ich es sofort in meinen Wortschatz aufgenommen habe. Mir fällt es in diesem Jahr öfter ein, weil es so gut meinen Tagesablauf beschreibt, der auch oft im Ungefähren verläuft. Zunehmend finde ich – zuhause eher eine Pünktlichkeitsfetischistin – es mühsam, Verabredungen zu treffen, denn sofort fühle ich mich ein bisschen atemlos, korsettiert. Selbst wenn ich mir selbst Termine setze (heute abend wollte ich zum Beispiel The Blue Lady in Vauxhall anhören gehen), findet sich allzu häufig etwas anderes, das sich ganz wie von selbst dazwischen schiebt. Ein Beispiel? Schön.

Das ist Christopher Howe, ein Antiquitätenhändler, bei dem Madonna, Claudia Schiffer und, viel wichtiger als alle anderen, der vor einer Woche verstorbene Lucian Freud eingekauft haben, der Christophers Sessel als Requisiten für seine Akte benutzte. Christopher habe ich vor einem Jahr mal telefonisch interviewt. Für Architektur & Wohnen schreibe ich eine Kolumne namens „Wer wohnt denn da?“, in der ich anhand von Fotos eines mir unbekannten Hauses ein Psychogramm des Bewohners schreibe, mich in 95 Prozent der Fälle aufs Beschämendste irre und nach Mitteilung der Auflösung ein Interview mit den Betreffenden führe, das fast immer mit den Worten beginnt: „Tut mir leid, dass ich Sie für ein schwules Ehepaar in Miami gehalten habe“. Bei Christopher lag ich, wenn ich mich recht entsinne, mit meinem Ratetext halbwegs richtig (Mann, britisch, entspannt, muss was mit Inneneinrichtung zu tun haben), und am Ende des Telefonats sagte er, was man halt so sagt, „Wenn Sie mal in London sind…“ und so weiter.

Heute also ging ich in seinen Laden in der Pimlico Road, plauderte ein bisschen mit seinem enigmatischen Assistenten John (Diamant-Ohrringe, Barbra-Streisand-Fingernägel, die Stimme einer Schuhverkäuferin) und ging dann mit Christopher Tee trinken. Ich erwähnte, dass ich mir gern ein neues Sofa kaufen würde, gern so ein fett gepolstertes britisches wie im BAFTA Club, und er gab mir einen Schnellkurs darin, wie man ein gutes von einem schlechten Sofa unterscheiden könne (wenig Holzrahmen, viel Posterung, handvernähtes Rosshaar unterm Rupfen, Daunen statt Federn in den Sitzkissen). Man muss dazu wissen, dass Christopher ein fast noch größerer Postermöbelfanatiker ist als ich und dass seine Bestseller sorgsam dekonstruierte Sessel aus dem 18. Jahrhundert sind, denen man sozusagen unter die Röcke gucken kann, siehe oben und links. Ich erwähnte mein nächstes Ziel Kopenhagen und er riet, dass ich mich unbedingt mit Nina Hertig vom Skandidesign-Laden Sigmar treffen müsse, ein paar hundert Meter die King’s Road runter, und bei der Gelegenheit auch gleich im Kunstmaterialgeschäft Green and Stone reingucken solle. „Solange das noch existiert.“

Ich mache mich also auf den Weg. Und hier kommt wieder das Bummelige ins Spiel. Ich finde mich in einer Nebenstraße wieder, stoße auf den Chelsea Physic Garden, einen Botanischen und Apotheker-Garten von 1673, stelle fest, dass gerade heute der Tag mit den Öffnungszeiten bis 22 Uhr ist. Und gehe natürlich rein. Und höre, dass in zwei Minuten eine Führung beginnt. Und schließe mich natürlich an.

Und erfahre: dass Joseph Banks, Wegbegleiter von Captain Cook, 1772 Lava von Island in diesen Garten geschleppt hat (oben links). Dass es Bäume mit dreieckigen zackigen Blättern gibt, deren Namen ich sofort vergessen habe (oben rechts). Ich bin entzückt über die Idee, Pflanzen in Dosen und Flaschen von Lebensmitteln von setzen, die später aus ihnen gemacht werden, wie Zucker, Chilisauce, Heinz Baked Beans (unten links). Und staune über das Beet mit Pflanzen, die einst für psychiatrische Behandlung gedacht war (unten rechts). Es ist alles so verdammt interessant, ist es nicht? Die Führung wird von Joanna, einer gut 70jährigen Grundschullehrerin mit gezählt neun riesigen Ringen an den Fingern gemacht, die mit leicht diabolischer Verve von den vielen Giftpflanzen im Garten erzählt. Kinder und Hunde sollte man hier besser nicht frei herumlaufen lassen, und hin und wieder erwischt es auch einen Erwachsenen, der so blöd ist, mal Belladonna probiert haben zu wollen. Außer mir ist noch eine junge Israelin dabei, die mir anschließend die Adresse eines Cousins in Tel Aviv gibt.

Und genau so geht das mit dem Bummeln, dem ungefähren Leben: ein Ziel haben, sich aber mit Freuden davon abbringen lassen. Früher sagten die Seeleute nicht, sie fahren von A nach B, sondern von A gen B. In die grobe Richtung von B also. Denn wer weiß, welche Winde wehen und welchen Zickzackkurs man nehmen muss, um anzukommen, und ob sich unterwegs nicht ein lohnenderes Ziel findet. So entschieden ich darin bin, immer zum Monatswechsel auch die Stadt zu wechseln: wohin ich innerhalb der Städte reise, ist oft reiner Zufall und meist eine Frage der Windrichtung.

Und so endete dieser Tag nicht in Vauxhall, sondern im Sonnenuntergang auf einer Bank im Chelsea Physic Garden. Der nette Cafébesitzer hat mir noch ein Stück Kuchen aus der Küche geholt („Walnuss und Zucchini, es klingt schräg, ist aber lecker“), obwohl schon zum Dinner gedeckt war. Ich nahm den Kuchen und ein Glas Wein mit hinaus in den Garten und guckte den anderen Besuchern zu, die unter der bemoosten Statue von Hans Sloane mitgebrachte Champagnerflaschen köpften. Und dem Herrn, der die herumfliegenden Korken anschließend brav aus der Botanik bergen ging.

Chelsea Physic Garden, 66 Royal Hospital Road (Eingang Swan Walk), geöffnet 1. April bis 31. Oktober, Dienstag bis Freitag 12 bis 17 Uhr, Sonntags 12 bis 18 Uhr. Zwischen dem 29. Juni und 7. September am Mittwoch bis 22 Uhr geöffnet.

Squirm

Der Gentleman kam mir auf der Charing Cross Road entgegen, in einem perfekt sitzenden schmalen blauen Anzug, in der Hand einen eng zusammengerollten Regenschirm. Er ging schnell, wie jemand, den man besser nicht nach der Uhrzeit fragt. Ich schaute ihm kurz ins Gesicht, schaute noch mal: BILL NIGHY! Oh. Mein. Gott. Bill Nighy! „Mr. Knighy“, sagte ich, mehr fiel mir wirklich nicht ein. Er schaute kurz hoch, nickte und verschwand. Und mein Tag wurde golden.

Bill Nighy bringt das, was ich an England so liebe, besser auf den Punkt als sonst jemand. Das leicht Heruntergekommene, Hat-schon-mal-bessere-Zeiten-Gesehene, das Herz, den Witz, den Trotz, die hohe Kunst der Selbstironie – und vor allem die unkorrumpierbare No-Bullshit-Attitüde. Die meisten kennen ihn aus Tatsächlich Liebe (und wenn nicht, sollten sie den Film dringend ausleihen gehen), hier in England ist er außerdem einer der Protagonisten der Robin Hood-Steuer. Die Idee ist von schlichter, unwiderstehlicher Schönheit: Alle Finanztransaktionen zwischen Banken sollen mit 0,05 Prozent besteuert werden und die Einnahmen, die locker in die Milliarden gehen, zur Bekämpfung von Armut verwendet werden. Im Video zur Kampagne spielt er einen Banker. Er sei, sagt er, besetzt worden, „because it is my forte to squirm“, weil er sich so schön unbehaglich winden könne.

Hier ein Interview mit ihm in der BAFTA. Göttlich.