10 Dinge, die ich in Havanna gelernt habe

Samstag, 24. Dezember 2011

1. Die Wortwahl meiner Sitznachbarin auf dem Flug von Frankfurt nach Havanna, einer Psychotherapeutin, hat mir gefallen und sofort eingeleuchtet: „Sie haben sich die Erlaubnis zu dieser Reise gegeben.“ Ja, habe ich. Und ich werde mir noch viele andere Erlaubnisse geben.
2. Ich bin Nichtraucherin, immer schon gewesen. Und hatte trotzdem großes Vergnügen daran, Annettes Angebot anzunehmen, eine ihrer lässigen „Senior Service“-Zigaretten zu rauchen, einfach nur so. Genau die eine war auch lecker, ich mochte den Tabakgeschmack. Die nächste dann vielleicht in einem Jahr. Ich werde gewiss nicht zur Raucherin. Aber ich könnte, und nur darum geht es. Was für ein Vergnügen, so viele Möglichkeiten im Leben zu haben und sich immer wieder entscheiden zu dürfen.
3. Selbst bei begrenzten Optionen stößt man selten an das Ende der Möglichkeiten. Ich habe allen Ernstes für Heiligabend eine Klamottenkombination gefunden, die ich das vergangene Jahr noch nicht getragen hatte.
4. Ich bin resozialisierbar. Nach elf Monaten vorwiegenden Alleinreisens (mit Ausnahme von Freunden, die mich besuchten) waren die zwei Wochen mit Annette, in die ich mit zwiespältigen Gefühlen gestartet war, wunderbar entspannt, erleichternd harmonisch und sehr bereichernd. Man muss sich manchmal einfach mal auf etwas oder jemanden einlassen, das wird fast immer gut.
5. Ich arbeite besser in Bikinihose. Wenn ich mich schon im Outfit für den Hoteldach-Swimmingpool an den Schreibtisch setze, bin ich schneller fertig. Empirisch bewiesen. Nächste Versuchsreihe: Sommer 2012, bei Baggerseewetter.
6. Wenn man jeden Tag dasselbe isst, kann es immer besser schmecken. Ich habe jeden Morgen frische Ananas gefrühstückt, und sie wurde von Tag zu Tag reifer, aromatischer, köstlicher. Nächste Versuchsreihe: Sommer 2012, Erdbeersaison.
7. Der beste kubanische Rum ist der Santiago de Cuba Ron Extra Añejo 20 Años. Und er schmeckt am besten auf einem Sofa der Außenterrasse des Hotel Nacional. Zuhause kostet er 170 Euro die Flasche – und kann zu dem Preis dort gar nicht so gut schmecken. Wobei… eine kleine Versuchsreihe?
8. Wenn ich das Wort „zuhause“ schreibe wie im Satz eben, weiß ich, was ich damit meine. Das macht mich froh, denn das war nicht immer so in diesem Jahr.
9. Zuhause. Zuhause. Zuhause. Ja, fühlt sich gut an.
10. Vorfreude auf zuhause ist etwas, das sogar die Vorstellung von Steuerberaterterminen und Zahnarzt-Checkups überlebt.

Und dann noch dies: ein Weihnachtsgeschenk an mich selbst, eben bei einem letzten Spaziergang über den Prado entdeckt. Ein junger Künstler namens Wilay Méndez Páez macht diese kleinen Häuser aus rostigem Blech, und ich dachte sofort: ja. Ich will so eins, denn so wird es für mich in Hamburg sein: Da steht mein olles Zuhause voll Leichtigkeit & Aussichten.

Reisegarderobe Havanna

Samstag, 24. Dezember 2011

Jauchzet, frohlocket

Samstag, 24. Dezember 2011

 

Das höre ich jetzt schon seit Jahren kurz vor Weihnachten und heule jedes Mal; keine Ahnung, warum. Bach halt, da werde ich wehrlos.

Ich könnte jetzt noch eine Menge Bilder posten. Vom Paladar La Esperanza in Miramar zum Beispiel, wo ich am Abend sechs Stunden mit dem Fotografen Sven Creutzmann gesessen und gegessen habe und mich nach seinen Erzählungen – er lebt seit 19 Jahren hier – wieder einmal mehr über Kuba gewundert und gefreut habe. Warum er es so lange ausgehalten hat? Gerade weil es hier so schwierig sei, die Dinge geregelt zu bekommen, antwortete er. „Es ist eine Herausforderung. In Deutschland läuft alles so vollautomatisch ab.“ Ein anderer Deutscher, der Tourenunternehmer Heinz Schell, der seit 18 Jahren in Havanna lebt, sagte mir neulich auf meine Frage: „Weil ich mich hier als Mensch wahrgenommen fühle. In einer deutschen Fußgängerzone guckt dir doch keiner in die Augen.“

Okay, ein Bild doch, weil es mich so entzückt hat: Mein Daiquiri wurde mir nicht auf einem Pappdeckel serviert, sondern auf diesem Spitzenserviettchen.

La Esperanza, calle 16, # 105, entre 1ra y 3ra

Aber was ich eigentlich sagen wollte: danke. Danke für ein fantastisches Jahr, das noch ein bisschen fantastischer wurde durch die freundliche, neugierige, anteilnehmende, unterstützende Begleitung, die ich hier erfahren habe. Die hat mir sehr viel bedeutet, ohne sie wäre die Reise für mich nicht halb so schön gewesen.

Ich wünsche allen schöne, entspannte Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr. Hier wird für etwa zwei Wochen Funkstille herschen, auf dem Schiff gibt es weder Internet noch Telefon. Ich melde mich dann noch mal von der anderen Seite, versprochen. Aber jetzt erst mal: Stille Nacht.

My way

Freitag, 23. Dezember 2011

Wie lässt man ein solches Jahr zu Ende gehen? Was tut man in den letzten Tagen? Es mag Leute geben, die sich in solchen Situationen noch mal mal zu spektakulären, unvergesslichen Aktionen aufschwingen können, aber leider gehöre ich nicht zu ihnen. Das liegt zum Teil an meiner Arbeit, zum weitaus größeren Teil aber, wie ich zugeben muss, an meiner Erschöpfung. Es reicht. Ich bin, wie ich ja schon beim Umsteigen in Frankfurt ahnte und beschrieb, so gesättigt an Eindrücken, dass man mir den Hummer unter den Erlebnissen, die Methusalem Champagner unter den Erfahrungen auf den Tisch stellen könnte, ich würde nur den Kopf schütteln können. Ich kann nicht mehr. Es geht nichts mehr rein.

Stattdessen genieße ich, wie die Zeit sich derzeit irgendwie verplempert, ohne große Höhepunkte, aber auch ganz untraurig. Meine Tage bestehen aus schreiben, zwei Stunden am Pool auf dem Hoteldach braten, wieder schreiben, Steaks essen, Rum trinken, wieder schreiben. Eine Hemingway-Existenz also, minus die Hochseefischerei. Dazwischen mache ich Pläne und Termine für 2012, stelle mit Verblüffung fest, dass der Januar praktisch schon dicht ist, finde das aber gar nicht schlimm, sondern sogar fast beruhigend. In ein schwarzes Loch werde ich garantiert nicht fallen nach meiner Rückkehr, höchstens in ein gut ausgeleuchtetes.

Zwischendurch verschlinge ich ein Buch, das ich Englischlesenden nur ans Herz legen kann: Moby-Duck. The True Story of 28,800 Bath Toys Lost at Sea and of the Beachcombers, Oceanographers, Environmentalists, and Fools, Including the Author, Who Went in Search of Them von Donovan Hohn, der nicht nur ein Händchen für schmissige Buchtitel hat, sondern ein irre unterhaltsames Buch darüber geschrieben hat, was aus den fast 29.000 Quietscheentchen und andere Badewannentieren geworden ist, die 1992 bei einem Sturm vor den Aleuten über Bord eines Containerschiffs gingen und seitdem über die Weltmeere schwimmen. Ich staune und lerne und bin fast ein bisschen verknallt in Mr. Hohn, der mit ansteckendem Enthusiasmus der Spur der Enten zwischen Alaska und Maine folgt, mit Abstechern nach Hawaii und China, wo er die Fabrik besucht, in der sie hergestellt wurden. Lehrreich und vergnüglich. (Die Illustration oben stammt aus der Buchrezension der New York Times.)

Ein Schiff wird kommen

Mittwoch, 21. Dezember 2011

Liebe Mitreisende, Verzeihung, wenn ich auf die letzten Meter so verstumme, aber es passiert gerade nicht viel Berichtenswertes. Ich hocke im Hotelzimmer und schreibe fieberhaft meine Aufträge herunter, damit vor meiner Abreise alle Texte in Deutschland sind („falls der Kahn sinkt“, wie eine Redakteurin nur halb im Scherz mailte). Draußen: 28 Grad und blauer Himmel, drinnen: 21 Grad und blaues Gemüt, denn so langsam dämmert auch mir, dass dieses Jahr bald zu Ende ist. Und so sehr ich mich auf Hamburg freue, die 13. Stadt, so sehr werde ich das Herumstromern in der Welt vermissen.

Aber auf die Schiffsreise freue ich mich. Wer sie verfolgen will: Hier findet man unter Letzte bekannte Position den Link zu einer Echtzeit-Karte, das Schiff ist bereits durch den Panamakanal durch und auf dem Weg nach Cartagena, wo ich ursprünglich zusteigen wollte. Und hier finden sich Fotos von der Bahia Laura, das letzte erst zwei Tage alt, bei der Durchfahrt durch den Kanal gemacht. Offensichtlich gibt es ein weltweites Netzwerk von Shipspottern, die jeden Kahn verfolgen – wieder eine neue Welt für mich.

Aber noch ist es ja nicht vorbei. Dies ist das vermutlich bekannteste Restaurant in Havanna, La Guarida, ein Paladar – also ein Privatrestaurant – in einem halbzerbröckelten Haus mit spektakulärem Treppenhaus, das berühmt geworden ist als Kulisse des Films Erdbeer und Schokolade. Das Restaurant selbst hat es über Jahre magischerweise geschafft, trotz der kubanischen Mangelwirtschaft das Beste aus den jeweils verfügbaren Lebensmitteln herauszukochen, und das, obwohl immer wieder versucht wurde, es zu schließen. Vor zwei Jahren wartete man angeblich ab, bis der Besitzer verreist war, um dann alle Möbel und Lebensmittel auf die Straße zu werfen.

Jetzt aber war geöffnet, also hin. Billig ist es nicht, aber jeden CUC wert. Mit Nelken gewürztes Tomatenconfit zu einem Kaninchenragout, gegrillter Schwertfisch – es war köstlich.

Fragt sich das auch gerade

Mittwoch, 21. Dezember 2011

Best of Annette

Sonntag, 18. Dezember 2011

Annette hat vor ihrem Abflug noch einen Schwung Fotos auf meinen Laptop geladen, hier sind – mit ihrer freundlichen Genehmigung – die schönsten davon.

Und die Frau selbst, happy mit ihrer neuen Che-Mütze.

Abschiede

Sonntag, 18. Dezember 2011

Den Club Habana hatten wir neulich schon mal: ein für Havanna-Verhältnisse luxuriöser Privatclub im Westen der Stadt mit Pool, Tennisplätzen, Fitnessclub, Restaurants und eigenem Strand. Von all dem waren wir an Annettes letztem Tag nur an letzterem interessiert – genauer an Sand, Meer, Besinnungslosigkeit. Das kann man auch als Nicht-Mitglied für 10 CUC pro Tag kriegen. Plus das prickelnde Gefühl mild dekadenter Exklusivität.

Es war wieder mal windig, also waren außer uns nur wenige am Strand. Was den Genuss nur erhöhte. Auf Sonnenliegen in Handtücher eingepackt aufs Meer starren, dabei so wenig wie möglich reden – gibt es eine schönere Art, den Tag zu vertrödeln?

Für die Rückfahrt in die Stadt klemmten wir uns zweifelnd auf die Rückbank eines schrottreifen Lada, der vor dem Club parkte – wer oder was hier Taxi ist, ist immer Verhandlungssache. Keine drei Kilometer lagen hinter uns, als in voller Fahrt plötzlich die Tür neben Annette aufschwang. Der Fahrer griff leicht gelangweilt nach hinten und schloss sie, ohne den Fuß vom Gas zu nehmen. Was jede normale Frau sofort zum Aussteigen bewogen hätte, brachte Annette nur zum Lachen, und mir wurde wieder mal klar, warum es mit uns, die wir uns vor diesen zwei Wochen eigentlich gar nicht richtig gekannt hatten, so gut klappte: Die Frau ist völlig unhysterisch. Dinge, die schief gehen, amüsieren sie eher – und liefern ihr eine Anekdote mehr. Sie trinkt Rum und isst 300-Gramm-Steaks wie ein Kerl und kann wie einer schweigen. Und sie trifft im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen: Gestern stromerte sie allein durch die Gegend, während ich mich mal wieder im Hotel Parque Central mit dem Internet herumärgerte. Zufällig kam sie am Teatro Mella vorbei, in dem am Abend das Eröffnungskonzert vom Jazzfestival stattfinden sollte, das wir ins Auge gefasst hatten. Sie radebrechte sich durch, erfuhr, dass es gegen alle Auskünfte wohl doch noch Karten gäbe und in eineinhalb Stunden die Kasse geöffnet würde, parkte sich erst mal vor einem Mojito in einem Café in der Nähe, kaperte zwei Stunden später Karten für uns und bescherte uns damit einen der tollsten Abende dieser letzten Wochen. Bei aller Liebe zum Alleinreisen – es ist verdammt angenehm, mal nicht immer nur selbst der Taktgeber zu sein, sondern sich auch einfach mal mitnehmen zu lassen. Ich habe es wirklich genossen.

Noch viel mehr genossen habe ich diese (für mich) Neuentdeckung: Gonzalo Rubalcaba. Er spielte nur zwei Lieder, und ich saß trotzdem auf der Vorderkante meines Sitzes. Sensationell.

Ab heute Abend bin ich für die letzte Kuba-Woche wieder allein und werde ziemlich viel arbeiten müssen – Endspurt vor Weihnachten, vom Schiff aus werde ich nichts schicken können und die Heimat-Redaktionen trommeln ein bisschen mit den Fingern. Schön: Fäusten. Annette hat mich durch ihr Hiersein gezwungen, einfach mal zwei Wochen Urlaub zu machen, und auch das war ganz großartig.

Filmreif

Samstag, 17. Dezember 2011

Die Calle 23, „La Rampa“, die Hauptstraße von Vedado, ist ein Paradies für Leute wie mich, deren Schwäche für bröckelnde Kolonialpracht höchstens noch von ihrer Schwäche für bröckelnden Sixties-Charme übertroffen wird. Allein die Kinos!

Ein Stück die Straße hinunter: Kubanische Filmplakate an Wänden und Decke des ICAIC (Instituto Cubano del Arte e Industria Cinematograficos).

Instituto Cubano del Arte e Industria Cinematograficos, Calle 23 # 1555, 1040 Havana

Und rundherum: tolle Apartmenthäuser. Jedenfalls von außen.

Dulces

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Coppelia ist keine Eisdiele, sondern eine Eiskathedrale. Das gigantische Gebäude von 1966 in einem kleinen Park an der Vergnügungsmeile La Rampa wirkt, als ob es frisch aus einer freundlichen und vanilleliebenden Galaxie gefallen wäre. Drinnen bilden sich zu allen Tageszeiten lange Schlangen vor den Verkaufsständen mit in der Regel zwei bis drei Geschmacksrichtungen (heute: Minze und Haselnuss), draußen gibt es eine wartezeitfreie Zone für Leute, die in CUC zahlen. Die Kugel für Touristen kostet umgerechnet stolze 1,10 Euro, das so heißbegehrte Eis ist allerdings nicht das Dollste. Muss es auch nicht, der Bau ist Schau genug.

Coppelia, Calle 23 y I

Geschmacklich sehr viel besser fährt man im Museo del Chocolate, das mehr Café und Schokoladenladen als Museum ist: Eine Tasse vorzügliche dickflüssige & dampfende kubanische Schokolade kostet etwa 40 Cent und macht pappsatt und glücklich für Stunden.

Museo del Chocolate, Mercaderes esq. Amargura