Messbare Unterschiede

Freitag, 23. September 2011

Links Kopenhagen: von minus 20 bis plus 28 Grad. Rechts Barcelona: von minus 5 bis plus 42 Grad. It’s all true, folks.

10 Dinge, die ich in Kopenhagen gelernt habe

Samstag, 3. September 2011

1. Auch wenn ich dieses Jahr praktisch unter Umgehung von Jahreszeiten lebe: Nicht sagt so klar und deutlich Herbst wie das satte Klatschen eines Ikea-Katalogs, der auf der Fußmatte landet. Sing it, Hilde.
2. Regen ist auch mal ganz schön. Aber um meine Mutter zu zitieren: Gut, dass Häuser innen hohl sind.
3. Arbeiten ist auch mal ganz schön. Aber um mich zu zitieren: Irgendwann reicht’s.
4. Hippies werden nicht schöner im Alter.
5. Aber Däninnen im allgemeinen schon.
6. Radfahren ist die schnellste, angenehmste, erkenntnisreichste, glücksstiftendste Fortbewegungsart in der Stadt. Möglicherweise aber auch nur in Kopenhagen.
7. Jemand schrieb es neulich in den Kommentaren und es ist die reine, lautere Wahrheit: Flødeboller von Summerbird sind die besten der Welt. Statt einer pappigen Waffel eine Schicht Marzipan und extradicke Grand Cru-Schokolade um sahnesanften Schaum mit polynesischer Vanille – ich höre ja schon auf.
8. Ich möchte eines Tages ein Haus am Meer haben, und es wird vermutlich ein kühles Meer sein. Das ist zwar keine ganz neue Erkenntnis, aber es ist schön, dass sie immer wieder bestätigt wird.
9. Kopenhagen hat sich ungeplant zu einer Reise in die Vergangenheit entwickelt. Kindheitserinnerungen, Treffen mit Eltern, ältestem Freund, einem Kollegen von vor 23 Jahren – und hinterher das Gefühl: Alles richtig gemacht. In diesem Jahr und in diesem Leben.
10. „Life shrinks or expands in proportion to one’s courage.“ (Anais Nin)

Reisegarderobe August

Mittwoch, 31. August 2011

Unter die Räder geraten

Dienstag, 30. August 2011

37 Prozent der Kopenhagener fahren mit dem Fahrrad zur Arbeit, die Stadtverwaltung will diese Zahl bis 2015 auf 50 Prozent erhöhen und baut dafür 26 Fahrrad-Superhighways, vor allem in den Vorstädten. Schon jetzt hat die Stadt eines der besten Radnetze der Welt – und einige Albernheiten, mit denen Radler bepuschelt werden: Fußbänkchen an großen Kreuzungen, so dass man nicht mehr absteigen muss, und geneigte Mülleimer, in die man seinen Müll quasi im Vorbeifahren entsorgen kann.

Das Programm, Kopenhagen zur Weltfahrradhauptstadt zu machen, ist so erfolgreich, dass sich jetzt neue Probleme ergeben: wo parkt man die Dinger? Rund um die großen S-Bahnstationen wie Nørreport stapeln sich die Räder, Ständer werden bereits doppelstöckig gebaut, sogenannte Fahrrad-Butler versuchen, halbwegs für Ordnung zu sorgen, und die Verwaltung denkt über Knöllchen für wildgeparkte Räder nach: Offenkundige Schrotträder könnten einkassiert und erst gegen Zahlung wieder freigegeben werden. Noch gibt es keine Meldepflicht für Räder, aber kürzlich hat ein Ingenieur den Prototyp einer Parkscheibe für Fahrräder vorgestellt: Man müsste den Tag eingeben, an dem man sein Rad abstellt, und das mit einem Schlüssel sichern. Wenn das Datum länger als 30 Tage zurück liegt, dürfte die Polizei das Rad entfernen. Kaum vorstellbar, dass das durchgesetzt wird, aber irgendwas Schlaues müssen sie sich bald einfallen lassen – die Fahrradpolitik ist einfach zu erfolgreich.

Abgefahren

Montag, 29. August 2011

In meinem Reisebudget steckt eine bislang unangetastete Summe für besondere Ausgaben. Unangetastet bis heute nachmittag. Denn nachdem ich gestern schon sabbernd um den Laden von Søren Sögreni herumgeschlichen bin, war ich heute reif. Zu Beginn der Reise hatte ich mal den Plan, mir während meines Londoner Monats einen Anzug in der Savile Row maßschneidern zu lassen, ein alter Traum. Ich hab’s gelassen, weil ich mir im Lauf des Jahres ein paar Kilo angefressen habe – macht derzeit wenig Sinn, sich auf diesen Leib was schneidern zu lassen. Some other time. Stattdessen: Plan B. Ein maßgeschneidertes Rad erträgt jede Gewichtsfluktuation.

Ebenso wie in der Savile Row beginnt alles mit dem Vermessen. Die Beinlänge wird ermittelt, der Rahmen ausgewählt, Reifenstärke, Anzahl der Gänge. Søren, der seinen Laden vor 30 Jahren gegründet hat (hier ist seine Geschichte) setzt sich mit mir eine Stunde an den Tisch, springt zwischendrin auf, um Materialproben zu holen, scheucht mich vor die Tür zu einer Probefahrt auf seinem eigenen Rad, weil wir in etwa eine Beinlänge haben, rät ab von neun Gängen („brauchst du nicht“), debattiert das Für und Wider der wahnsinnig schönen Holzschutzbleche. Ergebnis: ein Rad mit Unisex-Rahmen in dunkelblau matt mit honigfarbenem Brooks-Sattel und Ledergriffen, mit Kupferblechen und Kupferklingel, die bald aufs Schönste matt patinieren werden (ich: „Kriegen die grüne Patina wie Kirchendächer?“ Søren: „Nur wenn ich drauf pinkle“), mit drei Gängen von Sachs („Shimano ist Mist, das ist das Microsoft der Gangschaltungen“) und mit einem hohen Lenker, denn ich sitze gern gerade auf dem Rad. Die bauen das jetzt in aller Ruhe und nächstes Jahr hole ich es ab. Es wird das schönste Rad der Welt.

Und wie es der glückliche Zufall will, ist Søren Kuba-Spezialist. Er war schon oft dort, er wird Anfang nächsten Jahres mehrere Radtouren über die Insel führen und er wird mich vorher mit jeder Menge Geheimtipps versorgen für meinen Havanna-Monat. Es war ein sehr glücklicher Nachmittag.


Sögreni of Copenhagen, Sankt Peders Stræde 30A, 1453 København K

Søndag

Montag, 29. August 2011

Eltern weg, ältester Freund da (36 Jahre, Michi!), Alberheitsquotient hoch. Und ein paar letzte touristische To Dos abgehakt: Nasen plattgedrückt am Laden der Fahrradmanufaktur Sögreni und beschlossen, mir nächstes Jahr endlich mal ein richtig, richtig schönes Rad zu kaufen. Und dann den Schneckenaufgang des Rundetårn hochgelaufen.

Der Turm ist ein schönes Beispiel für die Pragmatik der Dänen: eine Mischung aus Observatorium, Universitätsbibliothek und Kirchturm. Selbst der Glockenboden wurde kreativ genutzt: zum Wäschetrocknen, Kräutertrocknen, zur Aufbewahrung von Rindsleder und zum Bemalen von Theaterkulissen.

Außen am Turm: ein Bilderrätsel, ersonnen vom Bauherrn Christian IV. Besonders gut gefällt mir das Fragezeichen mit den zwei Punkten. Wäre es übrigens nicht langsam mal Zeit für ein paar neue Satzzeichen? Dieses Fragezeichen zum Beispiel: perfekt für rhetorische Fragen. Ein umgedrehtes Ausrufezeichen: Ich bin zwar laut, aber ich meine es gar nicht so.

Ich hatte eine Farm in Afrika

Samstag, 27. August 2011

„Ich hatte einen alten hölzernen Wandschirm, bemalt mit Figuren von Chinesen, Sultanen und Negern mit Hunden an der Leine. Er hatte seinen Platz am Kamin. Abends, wenn das Feuer hell brannte, traten die Gestalten hervor und dienten als Bilder zu Geschichten, die ich Denys erzählte. Ich schaute ihn lange an, klappte ihn zusammen und legte ihn in eine Kiste; da mochten die Gestalten sich vorerst einmal ausruhen.“

Aus dem Kapitel „Abschied von der Farm“ aus Afrika, dunkel lockende Welt. In der Übersetzung von Rudolf von Scholz

Den Paravent, von dem hier die Rede ist, findet man heute in Karen Blixens Haus in Rungsted, und wenn man davor steht, glaubt man kurz, endlich am Boden all der Sedimentschichten angekommen sind, die sich über ihr Leben gelegt haben. Die oberste, weltberühmte sind die Bilder aus „Jenseits von Afrika“: Meryl Streep als Karen Blixen, Robert Redford als Denys Finch Hatton, Kenia als Afrika, Publikumsseufzer als Soundtrack. Die Haarwaschszene! Die Beerdigungsszene! Es war alles so verdammt ergreifend.

Der Film beruhte auf gleich mehreren Büchern von Tania Blixen, wie sich Karen als Autorin nannte (in England nutzte sie einen Männer- und ihren Mädchennamen: Isak Dinesen), die Bücher wiederum auf Szenen aus ihrem Leben: Kindheit in Dänemark, Flucht aus dem Elternhaus nach Kenia, wo sie eine Kaffeefarm betrieb, die Heirat mit Bror von Blixen, der ihr Geld verjuxte und ihr die Syphilis anhängte, die Liebesaffäre mit dem Großwildjäger Denys Finch Hatton, die Rückkehr nach 17 Jahren Afrika in ihr dänisches Geburtshaus, die ersten Buchveröffentlichungen. 1962 starb sie mit 77 Jahren, ein kleines, dürres Vögelchen von 35 Kilo, begraben unter einer Buche im schönen wilden Garten hinter dem Haus. Diesseits von Afrika, aber für immer mit der Ferne verbunden.

Das Haus ist hell und freundlich. Ihr Schreibtisch steht in einem Raum mit Blick zum Meer, viele Möbel sind mit ihr nach Afrika gereist und wieder zurück. Der Paravent, aber auch der bemalte Holzstuhl mit dem Korbgeflecht, auf dem Denys Finch Hatton so gern gesessen hat.

Karen Blixen Museet, Rungsted Strandvej 111, 2960 Rungsted Kyst

Haus am Meer

Samstag, 27. August 2011

Ein Haus wie ein Déjà-Vu. Als ob man schon dreißigmal hier gewesen wäre, jeden Sommer wieder, immer im Eckzimmer oben rechts. Die Schaukelstühle auf der Veranda, die Wolldecken im großen Weidenkorb, die gestreiften Leinensofas, die geweißten Gläserregale im Speisesaal – das Badehotel Helenekilde in Tisvildeleje im Nordwesten von Seeland, etwa 60 Kilometer von Kopenhagen entfernt, ist auf eine fast unwirkliche Weise perfekt, ohne dass man allzu große Styling-Anstrengung dahinter spürt. Es hat genau die geschrubbte Gemütlichkeit, die man sich von einem Hotel am Meer wünscht. Leider ziemlich hellhörig und leider auch beliebtes Ziel für Business- und Kreativseminare. Nichts verdirbt die Ferienstimmung ja so verlässlich wie eine Gruppe von Menschen mit Namensschildchen.

Aber: das Mittagessen! Wir kamen recht spät angetrödelt, fast halb drei. Die Kellnerin musste erst nach dem Koch fahnden, um herauszufinden, ob es noch etwas zu essen gäbe. Nach zehn Minuten erschien sie, verkündete strahlend „Ich hab ihn gefunden!“ und begann, uns den Tisch vollzustellen. Mit Schüsseln voll Hähnchensalat, Krebsfleisch mit Avocado, Lachs mit Äpfeln, Rindercarpaccio mit Ziegenfrischkäse und einem unglaublichen gemischten Salat mit kandierten Walnüssen und Pistazien. Dazu selbstgebackenes Roggenbrot und gesalzene Butter und dieser Blick über den Kattegat, der süchtig macht.

Badehotel Helenekilde, Strandvejen 25, 3220 Tisvildeleje

Flødebolle

Samstag, 27. August 2011

Wer hat’s erfunden? Angeblich die Dänen, vor rund 200 Jahren. In jedem Fall ist der Flødebolle (Schokokuss, formerly known as Negerkuss) so etwas wie ein dänisches Grundnahrungsmittel: Jeder Däne isst im Schnitt 45 davon im Jahr. Verpackt sind sie doppelt und dreifach bruchgesichert in Volvo-artigen Tupperdosen. Mehr Schoko + weniger Schaum + essfreundlicheres konisches Design + Kokosstreusel = Samstagsfrühstück. Alles im Dienste der Recherche.

Bei Königs

Samstag, 27. August 2011

Ich hatte schon immer ein Schwäche für das dänische Königshaus, es scheint mir so angenehm menschlich. Die kettenrauchende, gelbzähnige Königin Margrethe, der nette Kronprinz Frederik, dem in der Kirche beim Anblick seiner Braut die Tränen über die Backen kullerten und der auf dem offiziellen Foto mit Frau und Zwillingen angenehm verwilderten Zehntagebart trägt, die putzige Operettenarmee, die zum Wachwechsel zinnsoldatenhaft durch die Fußgängerzone marschiert – es ist alles herzallerliebst. Den Hof von Schloss Amalienborg mit seinen vier vergleichsweise bescheidenen Gebäudeteilen – links wohnt die Königin, rechts der Prinz, hinten links die Gäste, hinten rechts ist ein Museum – kann jedermann betreten; nur wenn man sich auf die Treppenstufen vor Margrethes Haustür hockt, guckt eine Wache mal ein bisschen grimmiger. Und nicht weit davon stehen am Hafenrand die Pavillons, in denen gewartet wurde, wenn die königliche Yacht von der gegenüberliegenden Hafenseite herangeschippert werden musste. Keine Ahnung, ob die noch in Betrieb sind – falls ja, sind sie karger ausgestattet als jede deutsche Bushaltestelle: keine noch so harte Sitzbank weit und breit.