Jubel & Trubel

Freitag, 11. Mai 2012

Also, es war so. Eine Frau Lisakowski vom Grimme-Institut mailt: ob ich sie mal bitte anrufen könne. Aber klar, was ist denn los? Das: „Herzlichen Glückwunsch, Sie sind für den Grimme Online Award nominiert.“ Ich bin bitte was? Wieso bin ich…? Gibt’s doch nicht. Wer kommt denn auf so was? Unglaublich!

Irgendein Blogfan muss mich vorgeschlagen haben, aus 1900 eingegangenen Vorschlägen hat eine tapfere Vorjury 25 Nominierte ausgewählt und sauber in vier Kategorien sortiert. Meine heißt „Kultur und Unterhaltung“ (hier geht es zu den anderen Nominierungen, alle toll, alle unbedingt mal angucken). Mich freut ganz besonders, mit so einem handgehäkelten kleinen Blog neben Giganten wie der Tagesschau-App zu stehen. Wie ermutigend: Jeder kann mit einem 5-Euro-im-Monat-Weblog und einer Digiknipse zum Grimme Award geladen werden (selbst eine Frau aus der Generation Wählscheibe). Am 20. Juni wird die Sache in Köln ausgekegelt, und ich fahre natürlich mit Webguru Ole „John E. Flamingeaux“ Kock hin. Daumen drücken circa am 19. anfangen, wir wollen keine kostbare Energie verschwenden.

Für den Fall aber, dass Sie dieser Seite etwas Gutes tun wollen: Es gibt neben der Juryentscheidung auch einen Publikumspreis, und da darf jeder abstimmen. Es gibt sogar etwas zu gewinnen. Hier geht es zur Website von TV Spielfilm, die die Abstimmung ausrichtet. Ja, genau: hier geht’s lang. Danke!

Und da wir gerade bei verrückten Geschichten sind: Die Älteren unter uns erinnern sich, dass ich mit einer vorzüglichen Hamburgensie auf Reisen gegangen bin, einem Reepschläger vom Mützenmacher Eisenberg. Eisenberg – genauer: Lars Küntzel, der irre nette derzeitige Besitzer –, macht 18 verschiedene Modelle von Elbseglern, Prinz-Heinrich-Mützen, Reepschlägern, Fleetenkiekern, Modell Altona, Modell Altstadt, Modell Helgoland und so weiter. Helmut Schmidt trägt natürlich eine Eisenberg-Mütze, Henning Voscherau auch, des weiteren Barkassenführer, Hafenarbeiter und anderes Hamburger Stammpersonal. Für die Wagenmeister des Hotel Atlantic macht Eisenberg die Zylinder. Jede Mütze ist maßgefertigt. Ich kam damals vor meiner Abreise mal wieder viel zu spät mit meinem Wunsch an, trotzdem hat der wunderbare Herr Küntzel in Rekordzeit genäht, damit die Mütze mit mir die Reise antreten konnte.

Und dann habe ich sie in Shanghai verloren. Verdammt.

Ein halbes Jahr später, im November, hatten meine Eltern die gloriose Idee, dem Kind zu Weihnachten eine neue Mütze nach Havanna zu schicken. Damit ich heil übers Meer nach Hause komme. Kein Problem: Küntzel hatte meine Maße noch im Archiv. Paket gepackt, selbstgebackene Kekse und Mandeln dazugelegt, Paket nach Kuba geschickt. Paket kam nie an. Noch mal verdammt.

Dann, vor zwei Wochen: Paket kehrte zu meinen Eltern zurück. Fünf Monate lang war es irgendwo auf der Welt unterwegs gewesen, inzwischen arg angedengelt, die Kekse hatten sich längst verkrümelt. Aber die Mütze (und die Mandeln): intakt. Fast. An der Eisenberg-Mütze fehlt rechts der Ankerknopf, der die Kordel hält. Ein Rätsel, wo der abgeblieben ist. Hat ihn ein kubanischer Zöllner als Souvenir behalten? Wir werden es nie erfahren.

Und jetzt trage ich meinen neuen Reepschläger ein, wie es sich gehört: im Hamburger Nieselregen. Eine Alternative wäre, ihn zusammengerollt und feucht über Nacht in einem Gummistiefel aufzubewahren. Nur so bekommt er seine korrekte Form.

Ach, hatte ich erwähnt, dass man für diesen Blog beim Grimme-Publikumspreis abstimmen kann? Ganz einfach: hier.

100 Tage Deutschland

Donnerstag, 5. April 2012

Und, wie geht’s?
Geht so, danke.

Bisschen maulfaul, nicht?
Ja.

Wie kommt’s?
Ach. Achachach. Es ist gar nicht so leicht, eine Zustandsbeschreibung abzuliefern, wenn sich der Zustand alle paar Stunden ändert. Von Heimat- zu Fremdheitsgefühlen ist es oft ein so verdammt kleiner Schritt, dass ich meist selbst nicht weiß, wo ich gerade stehe. Von der Freude, wieder hier zu sein, zur Sehnsucht, wieder wegzufahren, ist es sogar ein noch kleinerer Schritt.

Herrje, das klingt ja gar nicht gut.
Ist schon okay so, ich habe es auch nicht anders erwartet. Das sind ganz klassische Heimkehrersymptome. Ich habe neulich mit einem ebenfalls lang und breit gereisten Kollegen gesprochen, und der sagte: Nach der ersten einjährigen Weltreise hatte ich ein Jahr lang schlechte Laune. Nach der zweiten ein dreiviertel Jahr. Es wird also besser.

Heißt das, dass Du derzeit ziemlich schlechte Laune hast?
Nein, ich bin eher verwirrt. Ich weiß nicht, wohin ich gehöre. Ich hatte gehofft, dass die Heimkehr die Antwort liefern würde, aber das tut sie nicht. Denn das, was ich erlebt und gesehen habe, ist ja nicht abgeschlossen und vorbei, das arbeitet weiter in mir. An unvermuteten Stellen blitzen plötzlich Bilder aus dem letzten Jahr auf, es ist ein ständiges Kreuzfeuer von kleinen Erinnerungs-Nadelstichen. Ich glaube, mir wird erst hier klar, was mir alles passiert ist. Und zweitens bin ich ja nicht heimgekehrt in das, was ich verlassen habe. Hier schließt sich nicht ein Kreis, die Bewegung ist eher spiralförmig. Der gleiche Ort, aber nicht derselbe Ort. An den ich als ebenfalls nicht dieselbe heimkehre.

Hat Dich dieses Jahr denn so verändert?
Das hoffe ich. (Aber das hoffe ich eigentlich von jedem Jahr.) Ich beobachte, dass es mich ungeduldiger gemacht hat, wenn es um die Kategorien „geht nicht/gibt’s nicht/haben wir noch nie so gemacht/könnte ja jeder kommen“ geht. Was alles geht und was es alles gibt, davon habe ich eine kleine Ahnung bekommen. Dass die Welt voller Möglichkeiten steckt, die Dinge anders zu sehen und anders zu machen, das kriege ich hoffentlich nicht mehr so schnell aus meinem System. Und: Es ist sicher kein Zufall, dass ich nach drei Monaten Hamburg in meine winzige Münchner Zweitwohnung geflüchtet bin, die bislang untervermietet war. Ich stelle fest, dass ich mich in einer reduzierten Umgebung mit einer Koffergarderobe und einem Schrank mit zwei Tellern deutlich wohler fühle als in meinem üppig ausgestatteten Hamburger Zuhause. Vielleicht muss ich den Begriff Zuhause neu definieren.

Was fällt Dir an Deutschland besonders auf?
Wie gut alles funktioniert, vergleichsweise. Wie sauber, sortiert, verlässlich hier alles ist. Das finde ich sehr angenehm und alles andere als selbstverständlich. Es ist ein ziemlich menschenfreundliches Land mit relativ wenigen Problemen, von außen betrachtet. Deshalb machen wir uns wahrscheinlich so gern welche, aus reiner Langeweile. An meinem ersten Abend ging ich nachts um eins über eine rote Ampel, die Straße war leer. Natürlich bin ich dafür sofort von einem älteren Herrn angepampt worden und habe sehr gelacht.

Lass mich raten: Die meistgestellte Frage ist wahrscheinlich „Wo war’s am schönsten?“
Richtig.

Und? Wo war’s am schönsten?
Oh bitte! Oder vielmehr: bitte nicht. Denn die Frage ist nicht zu beantworten. Schön war es überall, schön war vor allem, überall gewesen zu sein. Am heimischsten habe ich mich natürlich in den englischsprachigen Städten gefühlt. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man sich wirklich mit den Einheimischen unterhalten kann oder nur radebrechende Steak- und xiao long bao- und Doro Wat-Bestellungen aufgeben kann.

Würdest Du die Reise noch mal genau so machen?
Ich fand das Jahr perfekt so, wie es war – und das im Wissen, dass es natürlich unzählige andere Optionen gegeben hätte. Ansonsten: Würde ich eine zweite Runde drehen, würde ich mir auch wieder neue Städte aussuchen; ich bin noch längst nicht fertig mit der Welt. Diese besondere Form des Reisens – längere Zeit an einem Ort bleiben, um ein Gefühl für eine Stadt zu bekommen, nicht sonderlich viel vorplanen, sondern dem Zufall vertrauen – das würde ich ganz genau so wieder machen. Ich würde bei einem nächsten Mal allerdings vermutlich versuchen, mehr vom Land zu sehen, wie ich das in Israel und Äthiopien getan habe. Das hieße unter Umständen, dass man zwei oder drei Monate für einen Ort bräuchte. Wie gesagt, nur Gedankenspiele.

Was machst Du jetzt?
Ich mache die Reise gerade tatsächlich noch mal, indem ich ein Buch darüber schreibe. Das wird im Frühjahr 2013 erscheinen, also Geduld. Die muss ich auch mit mir selbst haben, denn so ein Buch ist ein Format, das mir noch fremd ist. Ein hoher Berg, an dessen Fuß ich gerade stehe, den Kopf im Nacken: Da will ich hoch? Oh Gott… Aber ein Jahr besteht aus Monaten und die aus Tagen, und ein Buch besteht aus Kapiteln und die aus Sätzen. Das wird schon, ich weiß ja eigentlich, wie es geht. Eigentlich.

Und danach?
Keine Ahnung. Herrlich.


Neue Heimat 13

Mittwoch, 11. Januar 2012

Der fünfte Tag zuhause und ich habe immer noch nicht den Koffer ausgepackt. Das soll ein anderer analysieren, ich deute es erst mal pragmatisch: Nichts daraus brauche ich gerade, die Reisegarderobe war für 12 Monate Mehr-oder-weniger-Sommer gedacht. Hier, im Mehr-oder-weniger-Winter, bediene ich mich an meinem Kleiderschrank wie an dem einer entfernten Bekannten. Schöne Sachen hängen darin, die einer anderen gehören müssen (einer mit einer kleineren Kleidergröße und einem etwas luxuriöseren Geschmack, aber es ergeben sich Schnittmengen).

Meine Wohnung: mir deutlich zu groß und gleichzeitig zu eng, zu voll. Ich bin zu Gast in meinem ehemaligen Leben, fühle mich umzingelt von Zeugs, erkenne manches wieder, manches nicht. Deshalb passen die Fotos oben auch gut zu meinem Gefühl: Die hat Katharina mal vor einiger Zeit gemacht, die hier ein Jahr lang eingehütet hat. Ein fremder Blick auf meine Sachen, die sehr meinem derzeitigen eigenen entspricht.

All das macht mir keine Sorgen, das sind typische Heimkehrer-Symptome. Ich werde schon wieder reinwachsen in das alles, und wenn nicht, kann ich es jederzeit verändern. Zum Teil habe ich damit schon begonnen. Fast das erste, was ich getan habe (nachdem ich zwei Tage lang Post geöffnet oder gleich ungeöffnet weggeworfen habe): einen großen blauen Müllsack mit Klamotten für das Rote Kreuz füllen. Ernsthaft: Wer braucht 12 Paar Jeans?

Das erste Mahl, nachts um halb drei: Essener Brot von der Bäckerei Pitzschel/Lange Reihe mit „Sultans Freude“ von Budni, dazu eine halbe Flasche Crémant in einem Glas aus der Bodega Nagel. Very St. Georg.