Robbie. Fucking. Williams

Donnerstag, 7. Juli 2011

Am Anfang der Schock. Nur Die Anderen Vier stehen auf der Bühne. Ist der Meister mal wieder umgekippt? Gary Barlow kündigt zur allgemeinen Erleichterung an, dass „später noch jemand dazustößt“, Die Anderen Vier singen ein bisschen was aus der Zeit-ohne-Robbie, anschließend wird die Nationalhymne vom ganzen Stadion angestimmt – „God save the queen“, 85.000 Leute, volle Brust. Ein Mann in Kaninchenkostüm hüpft durch die Gegend, und Mark Owen reitet auf einer rosa Raupe von der Bühne, gefolgt von den anderen. Kann man machen, muss man aber nicht. Ende Teil 1.

Und dann erhöht sich die Temperatur an diesem schönen Sommerabend schlagartig um gefühlte 10 Grad. Erst flimmert er nur über die Videowand, dann über die Bühne, startet natürlich mit „Let me entertain you“ in einer fieberhaft wahnsinnigen Version und stellt sich höflich mit „My name is Robbie fucking Williams“ vor. Zwischen „Rock DJ“, „I come undone“ und „Feel“ die rituellen Beleidigungen („Die Rolling Stones haben zwei Tage hintereinander in Wembley gespielt, Oasis drei. Take That spielt acht Tage. Noel Gallagher kann mich am Arsch lecken“). Aber wie er abliefert! Ich kenne keinen anderen, der auf der Bühne so schamlos geliebt werden will wie Robbie Williams, keine größere Rampensau und keinen größeren Könner im Umgang mit dem Baumaterial eines Konzerts. Er spielt auf dem Publikum wie auf einer 85.000stimmigen Orgel, den Mikrofonständer nutzt er fließend als Penisverlängerung, Krückstock, Golfschläger, Dirigentenstab, Zepter und Schwert, mit dem er sich selbst zum Ritter schlägt; so possierlich in seinem Über-Ego, dass man nicht anders kann als, ja, ihn zu lieben. Wenn er das denn nun mal so will… Dann noch „Angels“, tränenreich, er habe gerade drei Freunde verloren, das Stadion liegt sich in den Armen, und jetzt könnte man eigentlich nach Hause gehen. Denn das war Teil 2. Und was soll jetzt noch groß kommen?

Ganz einfach: das, was diese Tour zum „größten Comeback seit Lazarus“ macht, wie die Times schrieb. Die fünf vereint, zum ersten Mal seit 16 Jahren auf der Bühne, vor 1,76 Millionen Zuschauern allein in Großbritannien. Und es funktioniert. Aus Robbie & Den Anderen Vier wird im Lauf des Abends wieder Take That, die Jungs haben Spaß, besonders in der Passage, wenn sie, mit inzwischen leicht ergrauten Bärten, ihre Dance Moves aus den frühen Neunzigern persiflieren und die Greatest Hits sehr intim, fast wie ein Ratpack-Probenraumgeplänkel singen. „Back for good“ natürlich aus sämtlichen Rohren gefeuert. Zum Schluss, bei „Never forget“, steht inzwischen auch die 20 Meter hohe hydraulisch bewegte Roboterfigur Om und umarmt die Massen wie der Jesus von Rio. Und alle Schleusen sind weit offen.

Wie war’s also? Och, ganz gut, fand ich.


10 Dinge, die ich in San Francisco gelernt habe

Samstag, 2. Juli 2011

1. Zeit nicht immer nur unter dem Aspekt des Mangels zu sehen. Jede Minute genießen, die kann nämlich ganz schön lang sein (erst recht zwei). Der Juni ist zwar schnell vergangen, weil mir die Stadt so gut gefiel, aber ich habe ihn bewusster erlebt als viele Monate zuvor.
2. Wieder mal: wie sehr meine Befindlichkeit von meiner Umgebung beeinflusst wird. Eben noch in Honolulu gliederschwere Faulheit, jetzt in San Francisco kribblige Neugier. Das Gefühl, dass ein guter Strom durch mich fließt.
3. Immer fein: die Dinge mal anders zu sehen. Das Knoblauch-Restaurant The Stinking Rose wirbt mit „Wir würzen unseren Knoblauch mit Essen.“ Die Hash House Harriers, die eines Abends in Laufschuhen und roten Kleidern (auch die Männer) im Vesuvio einfielen, stellten sich als „drinking club with a running problem“ vor.
4. Manchmal sind die Erinnerungen an Bücher toller als die Bücher selbst. Dachte ich mir so beim Wiederlesen von Armistead Maupins Stadtgeschichten. Und erst recht beim Ansehen der Musical-Version.
5. Rolfing. Interessante Sache. Danach geht man wie über einen sehr, sehr dicken Teppich.
6. Rosmarin-Focaccia von der Liguria Bakery, kurz im Ofen warmgemacht + Ziegenkäse von der Cowgirl Creamery + 1 Tropfen Honig = Quadratur des Kreises.
7. Überhaupt: Salz und Zucker. Zucker und Salz. Funktioniert. In Eis, in Keksen, überhaupt.
8. Louis CK. Laut lachen, sich dafür schämen und deshalb gleich noch mehr lachen.
9. Man ist nie zu alt, um alles über den Haufen zu schmeißen. Ich habe eine Frau kennengelernt, die mit 60 beschloss, nicht mehr Psychotherapeutin sein zu wollen („in einem Alter, wo ich unglaublich von meiner Erfahrung hätte profitieren können“), und Kunst studierte. Und eine 48jährige Ex-Bankerin, die sich gerade zur Masseurin und Pilates-Trainerin ausbilden lässt.
10. Hotels, in denen das Hundekuchen-Glas größer ist als der Menschenbonbon-Topf, sind nette Hotels.


Reisegarderobe Juni

Donnerstag, 30. Juni 2011

I left my heart

Donnerstag, 30. Juni 2011

Zum Abschied noch mal die Königin der anhimmelnden Blicke und schlimmen Frisuren mit dem Lied des Tages.

Gefangen

Donnerstag, 30. Juni 2011

Es hat den ganzen Tag geregnet, wirklich gnadenlos, unaufhörlich, durchgehend geregnet. Der perfekte Tag also für Alcatraz. Es war ein Pflichttermin, der Auftrag einer SZ-Leserin, Lust hatte ich eigentlich keine – und wieder mal habe ich hinterher ein kleines Dankesgebet nach Deutschland geschickt dafür, dass ich gelegentlich zu meinem Glück gezwungen werde.

Denn selten habe ich einen Ort so intensiv erlebt wie diesen beklemmenden grauen Bau an diesem niederschmetternd grauen Tag. Das ist einzig der brillianten, fesselnden Audiotour zu verdanken, die einen durch das Gefängnis leitet. Erzählt wird die nämlich nicht von einem langweiligen Historiker, sondern von ehemaligen Gefängniswärtern und ehemaligen Insassen von Alcatraz: Leon „Whitey“ Thomson (Waffenhandel, in Alcatraz 1960-62), John Banner (Bankraub, 1954-58), James Quillen (Kidnapping, 1942-52), Darwin Coon (Bankraub, 1959-63). Man sitzt quasi mit ihnen in der Zelle, geht zum Essenfassen und zum Hofgang, sehnt sich nach draußen – besonders zu Silvester, wenn das Lachen und die Gesänge bei günstigem Wind von San Francisco herüberdringen. Auch in eine Isolationszelle wird man gebeten, und einer der Häftlinge erzählt, wie er sich hier in völliger Dunkelheit einen Knopf abgerissen hat, ihn in die Luft geworfen hat und ihn dann am Boden zu finden versuchte, wieder und wieder und wieder.

Jetzt schon auf meiner To-do-Liste, wenn ich wieder zuhause bin: sämtliche Alcatraz-Filme angucken. Flucht von Alcatraz mit Clint Eastwood, Der Gefangene von Alcatraz mit Burt Lancaster, The Rock
Das Thema ist unerschöpflich: Im Herbst startet hier in den USA eine neue Serie von J.J. Abrams, dem Mastermind hinter „Lost“. Kein Entkommen.

Und hier startet eine etwa 50minütige Dokumentation über den spektakulärsten Fluchtversuch auf Alcatraz.


Glückssache

Montag, 27. Juni 2011

Ein Geheimtipp, den jeder kennt, eine Touristenfalle, aber eine niedliche: die Golden Gate Fortune Cookie Factory in einer kleinen Gasse in Chinatown. Eines von diesen Dingen, an denen man einfach nicht vorbeigehen kann, ohne einmal die Nase reingesteckt zu haben. Glückskekse sind eine kalifornische Erfindung, bis in die Neunziger kannte man sie in China gar nicht. Die Damen falten hier mit sagenhafter Geschwindigkeit Weissagungen in die noch warmen Kekse, jede schafft pro Stunde 1000. Und wie es duftet!

Golden Gate Fortune Cookie Factory, 56 Ross Alley, San Francisco, CA 94108

Pride

Montag, 27. Juni 2011

Heute war Pride Parade auf der Market Street, quasi die Leistungsschau der hiesigen LGBT (Lesben/ Schwule/ Bisexuelle/ Transgender)-Gemeinde – und ich war verblüfft. Während beim CSD auf der Hamburger Langen Reihe alles in feinstem Sonntagsstaat aufläuft (Lederchaps, Transenfummel, Silbertangas, Hundehalsbänder), uniformiert sich die San Francisco-Gemeinde in identischen T-Shirts, lässt sich identische Ballons in die Hand drücken und läuft hinter Wagen her, die von Banken, Versicherungen, Google und Virgin gesponsort sind, oder reiht sich hinter Senats- und Kongressabgeordneten ein, die gleich einen Wahlkampf aus der Nummer machen. Das heißt einerseits, dass die Bewegung in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist (toll!), andererseits, dass das Schaulaufen zu einer relativ routiniert heruntergerissenen Angelegenheit geworden ist (schade). An Prominenz lediglich Olympia Dukakis und der Sohn (Ex-Tochter) von Cher, Chaz Bono (links). Skandalisieren kann man mit dem Thema ohnehin nicht mehr, vielleicht ist deshalb die Luft ein bisschen raus. Weniger dykes on bikes, mehr Lesbenpaare mit Kinderwagen – lustig war’s trotzdem.

Sicherheitshalber

Sonntag, 26. Juni 2011

Gestern ist vor meinen Augen eine Radfahrerin von einem Taxi angefahren worden. Sie stürzte auf die Straße, Leute eilten ihr sofort zu Hilfe, sie lag längere Zeit benommen da, irgendwann kam ein Krankenwagen. So Zeug passiert, niemand ist davor geschützt.

Neulich dachte ich plötzlich: Was, wenn mir unterwegs in irgendeiner Stadt so etwas passiert? Ich laufe vor einen Bus, ich stolpere blöd und falle die Treppe herunter, beim Spazierengehen im Wald fällt ein morscher Ast auf meinen Kopf. Und kein Mensch hätte die geringste Ahnung, wer ich bin. Oder wer jetzt benachrichtigt werden sollte. Irgendwann würde auffallen, dass ich hier nicht mehr blogge, meine Familie und Freunde würden sich Sorgen machen, derweil würde ich (im besten Fall) als Patient X bewusstlos in irgendeinem Hospital liegen, mit einem großen Fragezeichen in der Krankenakte.

Deshalb trage ich jetzt dieses Armband, das eigentlich für Jogger entwickelt wurde. Wenn mir was passiert und mich jemand findet, kann man zumindest über eine Website mit Hilfe einer Seriennummer und einer PIN meine Kontaktpersonen und einige relevante medizinische Daten (Blutgruppe, die Tatsache, dass ich Organspenderin bin) ermitteln. Ich werde es hoffentlich nie brauchen, aber dasselbe sagt man sich von Sicherheitsgurten ja auch immer, wenn man sich anschnallt.

www.RoadID.com

Trainspotting

Samstag, 25. Juni 2011

Nach den Erfahrungen der ersten sechs Monate würde ich behaupten: Fast alles, was man über eine Stadt wissen muss, kann man an ihrem Nahverkehrssystem ablesen. Sydney: Busfahrer, die Jazz-Radio hören und bei denen man sich beim Aussteigen verabschiedet. Buenos Aires: das blanke Chaos von Buslinien verschiedener Betreiber, bei denen man nie recht weiß, ob und wann und wohin sie fahren. Mumbai: qualvolle Enge in der Bahn und jede Menge achselzuckend hingenommene Todesfälle, weil die Leute notgedrungen außen am Wagen hängen. Shanghai: die Perfektion einer Bevormundungs-Organisation, mit der einem das U-Bahn-System das Mitdenken abnimmt. Honolulu: Lautsprecherdurchsage des anhaltenden Busses: „Aloha. Welcome to TheBus line number 2 going to…“

In San Francisco: Cable Cars, klar, kennt jeder. Aber auch Hybrid-Busse, die mit Bio-Diesel betrieben werden. Und der F-Train, die Straßenbahnlinie auf der Vorzeigestrecke von Fisherman’s Wharf über Embarcadero und Market Street bis ins Castro, auf der ausschließlich historische Straßenbahnwagen aus den 30er bis 50er Jahren fahren. Und zwar nicht nur aus allen möglichen Städten der USA, sondern auch aus Mailand (oben links), Hiroshima, Zürich und Porto. Liebenswert.

Hören & Sehen

Samstag, 25. Juni 2011

Vor 100 Jahren war die Welt noch voller Wunder und Weltausstellungen waren, anders als die inzwischen etwas achselzuckend zur Kenntnis genommenen Leistungsschauen namens Expo, wahre Sensationen. So auch die 1915 ausgerichtete Panama-Pacific International Exposition, mit der San Francisco den im Jahr zuvor eingeweihten Panamakanal feierte – und auch die Tatsache, dass sich die Stadt nach dem großen Erdbeben von 1906 so schnell wieder berappelt hatte. Es muss spektakulär gewesen sein: Mittendrin stand ein 140 Meter hoher strahlender Tower of Jewels aus 100.000 Glaskristallen, auf 20.000 Quadratmetern wurde der Panamakanal im Miniformat nachgebaut, und es wurde die erste transkontinentale Telefonleitung nach New York gelegt, damit die Menschen im Osten einmal den Pazifik hören konnten.

Von der Ausstellung steht heute nur noch der Palace of Fine Arts, ein mächtiges Säulenensemble, das eigentlich verfallen sollte, „weil jede große Stadt ihre Ruinen braucht“, das man dann aber doch lieber erhielt. Zum Glück, denn wenn man die Blicke der Besucher sieht, die mit den Nacken gelegten Köpfen hier durchwandern, ist klar: Auch heute ist die Welt noch voller Wunder.

Ein P.S. für Hitchcockphile: In Vertigo sieht man James Stewart und Kim Novak am Palace vorbeigehen, hier anmutig nachgespielt vom Dichter Scott Wannberg.

Den Pazifik kann man auch heute noch auf ungewöhnliche Weise hören: Einen kurzen Spaziergang vom Palace entfernt, am Ende einer kleinen Mole, haben die beiden Künstler Peter Richards und George Gonzales eine Wave Organ gebaut, eine Orgel aus PVC-Rohren, auf denen das Meer bei Hochwasser glucksend sein Lied spielt.