Reisegarderobe Oktober

Dienstag, 1. November 2011

10 Dinge, die ich in Israel gelernt habe

Dienstag, 1. November 2011

1. Tauchen. Unter Wasser atmen. Schwerelos sein. Lauter existentielle Erfahrungen, unvergesslich.
2. Wasser trinken. In der Wüste, in Eilat und am Toten Meer, braucht man vier Liter am Tag, man trinkt sie ganz automatisch. Das muss man nur eine Woche lang machen, und endlich ist auch danach geschafft, wozu man mich sonst immer prügeln musste: genug zu trinken. Alles Gewohnheitssache.
3. Hüttenkäse lieben zu lernen. Aber bei dem hervorragenden israelischen keine große Kunst.
4. Das Laufen wieder lieben zu lernen. Aber auf der Promenade von Tel Aviv keine große Kunst.
5. Hinfahren, hingucken, mit Leuten reden. Es gibt wirklich keinen anderen Weg, sich ein Bild von der Welt zu machen. Wusste ich ja schon vorher, aber der Wahnsinn namens Nahost ist mir erst hier wirklich nahegekommen.
6. Widersprüche akzeptieren lernen, auch in mir selbst. Wo soll ich anfangen? An einem friedlichen Samstagnachmittag in Jaffa, während ein paar Dutzend Kilometer weiter südlich im Gazastreifen 11 Menschen sterben? Bei der Tatsache, dass ich am Morgen danach joggen gehe, als ob es einfach nur einer dieser Tage wäre?
7. Granatapfelsaft. Möglicherweise das beste Getränk der Welt.
8. Eine der Fragen, die ich mir vorher gestellt hatte: Wie geht es mir als Deutscher in Israel? Die Antwort: gut. Wunderbar. Alle Probleme, die ich damit hatte, finden im eigenen Kopf statt – wie so vieles.
9. Gelegenheiten entschiedener nutzen. Das ist mir in diesem Monat aufgefallen, wie gut ich inzwischen darin geworden bin. Mir ist nach Tauchen, mir ist nach einem Tag mehr Totes Meer, mir ist nach einem Bialy? Machen! Now or never.
10. Now: noch mal an den Strand.

Letztes Mahl

Montag, 31. Oktober 2011

Besser geht’s nicht in Tel Aviv. Feiner bestimmt, hipper auch, teurer problemlos. Aber besser? Manta Ray ist ein Strandrestaurant am Südstrand der Stadt, auf halbem Weg nach Jaffa. Mit bestem Blick aufs Meer und allerbestem Blick auf sich aus ihren Neos pellende Surfer. Das Essen: tolle Mezze, halb israelisch, halb international. Da ist von Hummus über Sashimi bis Ceviche alles dabei. Hauptgericht: Tagesfang von Jaffa, kleine blitzfrische Fischlein mit zitroniger Sauce zum Dippen und Nektarinen-Fenchel-Joghurt-Salat. Schlicht und ergreifend.

Manta Ray, am Alma Beach, westlich des Charles Clore-Parks

Matkot Madness

Montag, 31. Oktober 2011

Ich gehe da also durch Neve Tzedek, den ältesten Teil von Tel Aviv, und gucke und fotografiere und entdecke in der Shabazi Street dieses Haus. Sind das… Matkot-Schläger da ums Fenster herum? Tatsächlich. Ein kleiner alter Mann greift mich plötzlich von hinten am Arm: „That’s my apartment! Would you like to see it? Come with me!“ Klare Sache: Hinter ihm her, Treppe hoch, rein in die Wohnung. Und dort das, in allen Räumen:

Amnon Nisim, 67, liebt Matkot, das israelische Strandtennis. Kann man sehen, glaube ich. Er spielt seit 60 Jahren jeden Tag morgens um sechs vor dem Gordon-Strand, „nicht am Strand selbst, der Sand macht einen zu langsam. Auf dem Pflaster davor.“ Vor dreißig Jahren hat er angefangen, seine Wohnung zu einem Matkot-Museum zu machen. Schläger aus Glas und aus Marmor, gehäkelte Schläger und Schläger als Puzzle, Trophäen, Fotos, T-Shirts, ein zweieinhalb Meter langer Tisch in Form eines Matkot-Schlägers – die Wohnung ist der Wahnsinn. Viele Exponate haben Künstler speziell für ihn gemacht. Amnon legt mir zu Ehren („Sie sind deutsch?“) eine CD von Caterina Valente auf und singt mit, holt Süßes aus dem Kühlschrank und zeigt mir seine Plattensammlung. „Elvis!“ Hinreißender Typ, hellwach und topfit.

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Montag, 31. Oktober 2011

Demnächst sind wir zu siebenmilliardst auf diesem Planeten. Die BBC hat ein charmantes und informatives Tool, mit dem man errechnen kann, die wievielte Person man selbst war.

Abgedreht

Samstag, 29. Oktober 2011

Mit diesen drei Herren hatte ich heute ziemlich viel Spaß: Ein ZDF-Team kam, um einen Beitrag über die Reise für Mona Lisa zu drehen. Voraussichtlicher Sendetermin: nächster Samstag.

Falls man mich in dem Film beim Fotografieren in Jaffa sehen wird: Dies sind die Bilder, die dabei herausgekommen sind.

Dann brach mal wieder die Realität in die entspannte Sabbatnachmittags-Atmosphäre. Links ZDF-Korrespondent Bernhard Lichte mit klassischem „Das war’s wohl mit dem Feierabend“-Gesicht. Rechts die Nachricht, die er gerade per SMS bekommen hatte: Israelischer Angriff auf Al-Quds-Brigaden, fünf Tote. Unten, rund 100 Kilometer davon entfernt: Angler am Kai von Jaffa mit Tel Aviv im Hintergrund. Denn das Leben geht weiter und weiter und weiter.

@Gott

Donnerstag, 27. Oktober 2011

Hübsche Geschichte in der Hannoverschen Allgemeinen über einen Tel Aviver Studenten, der Twitter-Gebete ausdruckt und in die Ritzen der Klagemauer steckt.

Via Dolorosa

Donnerstag, 27. Oktober 2011

„Den ultimativen Spaziergang“ nennt der Lonely Planet-Führer die Via Dolorosa, die 14 Stationen des Kreuzweges. So kann man es natürlich auch sehen. 600 Meter, 30 Minuten (es sei denn, man bleibt unterwegs hängen, um gefälschte Calvin Klein-Socken zu shoppen) – nichts illustriert diesen unglaublichen Ort namens Jerusalem so gut wie diese Straße. Machen wir uns also auf den Weg.

I. Station. Jesus wird zum Tode verurteilt.
Die erste Station liegt ungünstigerweise innerhalb der islamischen Al-Omariyeh-Mädchenschule. Zutritt meist unmöglich, so auch heute. Kinderlärm dringt über die Mauer, es klingt nach großer Pause. Davor: Teppichtaschen mit Kreuzigungsmotiven für zwei Euro, Granatapfelsaft für drei, Bauchtanzkostüme für fünf. Ob der Kreuzweg hier überhaupt begann oder nicht vielleicht doch eher am anderen Ende der Stadt in der Zitadelle, der damaligen Residenz von Pontius Pilatus – unklar. Aber egal. Los geht’s.

II. Station. Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern.
Die Verdammungskirche. Hier starten am Freitagnachmittag die Kreuzweg-Pozessionen, die die Franziskaner seit dem 16. Jahrhundert abhalten. Aber man kann auf Voranmeldung auch zu anderen Zeiten sein Leihkreuz ordern, palästinensische Jungs tragen es von der Grabeskirche hierher.
Der Weg ist hier schmal. Ein Audi A6 mit Vatikan-Standarte und goldenem Zeichen des Fisches am Heck schiebt sich durch die Audi-breite Gasse, im Fond was Fettes mit Bauchbinde.
Der Weg führt an israelischen Soldaten mit Uzi-Maschinengewehren vorbei und an Andenkenhändlern (auf deutsch: „Wir haben echte alte russische Ikonen“, Stück fünf Euro).

III. Station. Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz (nicht in der Bibel erwähnt).
Pizzeria Basti, free Wifi. Muslimische Schulkinder mit zu schweren Ranzen. Einem kleinen Jungen fehlt ein Auge.

IV. Station. Jesus begegnet seiner Mutter Maria (nicht in der Bibel erwähnt).
Die Armenische Kirche, die Kapelle von der Ohnmacht Unserer Lieben Frau. Im Innenhof ein italienisches Restaurant, zwei Männer im Burnus trinken Espresso.

V. Station. Simon von Kyrene hilft Jesus, das Kreuz zu tragen.
Eine Gruppe von philippinischen Katholiken, laut singend. Ein Junge, der Orangenkisten schleppt, leise fluchend.

VI. Station. Veronica reicht Jesus das Schweißtuch (nicht in der Bibel erwähnt).
T-Shirts. „Visit Israel before it visits you“, „Guns’n'Moses“, „Uzi does it“. An einem Stand liegen direkt nebeneinander: jüdische Kippas, palästinensische Kufiyas, Baseballmützen mit „Jerusalem“-Stickerei. Alles made in China.

VII. Station. Jesus stürzt zum zweiten Mal unter dem Kreuz (nicht in der Bibel erwähnt).
Jetzt sind wir mitten im Basar. Stürzen ist hier fast unmöglich, das Gedränge ist unbeschreiblich. Plastikspielzeug, Kreuzkümmeldüfte, Kochtöpfe, Glitzerunterhosen, Hühner, Kinderwagen. „Machine for falafel, lady? Where are you from?“

VIII. Station. Jesus tröstet die weinenden Frauen.
Eine ruhige Seitenstraße. Gegenüber ein Restaurant mit bestem Blick auf Nummer VIII, daneben ein Handyladen. Ein Händler mit Postkarten-Leporellos der Kreuzweg-Stationen, hier hat er am wenigsten Konkurrenz.

IX. Station. Jesus fällt zum dritten Mal (nicht in der Bibel erwähnt).
Die koptische Kirche. Innen ein rosafarbenener Thron für den Patriarchen. Zurück auf die Hauptgasse. Auf dem Weg zur Grabeskirche nur noch Devotionalienhändler. Holzkreuze, Weihrauchfässer, Kerzen, Rosenkränze, Ikonen. Dazwischen ein Händler für Jesuslatschen.

X. Station. Jesus wird seiner Kleider entledigt.
Die letzten fünf Stationen sind in der Grabeskirche. Auf dem Vorplatz: Getümmel. Gruppen mit verschiedenfarbenen Baseballmützen oder bunten Schals, damit die Führer ihre Schäflein besser auseinanderhalten können.

XI. Station. Jesus wird ans Kreuz geschlagen.
Eine Taube flattert durch die Kuppel. Wirklich.

XII. Station. Jesus stirbt am Kreuz.
Blitzlichter. Ein Gruppe aus Bad Wörishofen. „Ihr könnt das jetzt fotografieren, aber ihr habt das alles auch auf der DVD.“ – „Ist die auch auf deutsch?“ – „Natürlich. In sieben Sprachen.“
Ein griechisch-orthodoxer Priester führt zwei anscheinend hochrangige Besucher mit Herrenhandtaschen vor den Altar und fotografiert sie dort.

XIII. Jesus wird vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt.
Auch diese Station in der Hand der Griechisch-Orthodoxen, die sich mit den Franziskanern, der Armenisch-Apostolischen Kirche, der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien, den Kopten und der Äthiopisch-Orthodoxen Tewahedo-Kirche die Rechte an der Grabeskirche teilen (die von den Orthodoxen Auferstehungskirche genannt wird). Wer wann wo wie lange beten kann, ist genau geregelt. Oft werden die Gebetszeiten jedoch nicht eingehalten, es ist schon wiederholt zu Handgreiflichkeiten unter den Mönchen gekommen. Eine kleine Gruppe der Äthiopier lebt auf einem Dach der Kirche, das allerdings von den Kopten beansprucht wird. Es ist einsturzgefährdet, der Streit um die Besitzrechte verhindert seit Jahren eine Renovierung.
Menschen werfen sich weinend auf den Salbungsstein, küssen ihn, gießen Öl darauf und wischen es mit einem Tuch auf, das sorgsam in eine Ziploc-Bag gepackt wird.

XIV. Station. Der Leichnam wird ins Grab gelegt.
Das Heilige Grabmal (erbaut im Stil eines türkisches Kiosks). Polizeisperren. Ein Pater ruft: „Don’t push! In the name of God, don’t push!“ Auf der Rückseite des Grabmals eine winzige koptische Kapelle. Hier kann man eine Kerze anzünden und die Wand des Grabmals küssen. Ein Priester nimmt dafür dankend eine Spende entgegen.

600 Meter. 30 Minuten. Danach: ans Licht. An die Luft. Raus.

Yad Vashem

Dienstag, 25. Oktober 2011

„Jetzt warst du in soviel unterschiedlichen Kulturen, anderen Ländern, im fernen Asien und Bonbon-Honolulu, hast dich in den schrägsten Sachen ausprobiert und bist in bunte neue Welten abgetaucht, aber erstmals, nach dieser langen Zeit (auch wenn es dir vielleicht vorkommt wie ein Lidschlag), erstmals habe ich das Gefühl, jetzt wo du in Jerusalem bist, dass du in der Fremde bist“, schrieb mir heute jemand. Und konnte da noch gar nicht wissen, wie recht er hat: denn heute war ich in Yad Vashem, der Holocaust-Gedenkstätte. Tatsächlich, erstmals hatte auch ich das Gefühl, in der Fremde zu sein: angekommen in meinem eigenen Land vor 70 Jahren .

Yad Vashem ist nicht nur die hinlänglich aus den Nachrichten bekannte Kranzabwurfstelle, sondern ein kluges, nämlich fast sachliches Museum über die Judenvernichtung im Nationalsozialismus. Es erzählt Geschichten, nicht Geschichte. Es versucht, die Opfer nicht ein zweites Mal zu begraben – unter grauenhafen Statistiken und unfassbaren Zahlen –, sondern sie sichtbar zu machen. Wochenschaudokumente, Fotos, Film-Interviews mit Überlebenden, Fundstücke, Briefe, Tagebücher, moderiert von einem ganz unpathetischen Audioguide, machen diesen Ort so unentrinnbar. Man geht über das Original-Straßenpflaster des Warschauer Ghettos, steigt über die Eisenbahnschienen von Auschwitz, und alles wird entsetzlich präsent. Geschichte, das sind die Lügen der Sieger, las ich neulich im neuen Roman von Julian Barnes. Yad Vashem widerlegt geduldig jeden Versuch einer Lüge mit Dokumenten und noch mehr Dokumenten.

Schon gleich zu Beginn der Ausstellung war es um meine Fassung geschehen: In einer Vitrine lagen angekokelte Fotos aus den Taschen von Gefangenen des estnischen KZ Klooga. Beim Anrücken der Roten Armee wurden die etwa 2000 Insassen erschossen, vorher mussten sie sich auf Holzscheite legen, die anschließend angezündet wurden, um alle Spuren zu tilgen. Die Russen waren schneller da als gedacht, das Feuer hatte noch nicht alle Leichen erfasst. Und auch nicht alle Fotos. Ein Bild zeigt vier lachende Jungs in Badehosen, eines einen ernsten jungen Mann und eine ernste junge Frau beim gemeinsamen Kreuzworträtsellösen. Welche Erinnerungen mit diesen Fotos verbunden waren und warum sie wichtig genug für ihre Besitzer waren, um sie mit ins KZ zu nehmen, darum geht es in Yad Vashem. Immer wieder werden Einzelschicksale aus der Namenlosigkeit ans Licht geholt. Keines davon soll exemplarisch sein, jedes einfach nur – ein Leben.

Yad Vashem, Har Hazikaron, Jerusalem

Ankerplatz

Montag, 24. Oktober 2011

Das Café Rimon am Damaskustor, fünf winzige Tische mit bestem Blick auf die Gasse. Mein Hafen in Jerusalem. Morgens komme ich, um Tee mit frischer Minze zu trinken, abends für ein Taybeh, ein palästinensisches Bier, gebraut nach deutschem Reinheitsgebot in der Nähe von Ramallah. Ich kenne inzwischen die Tochter, den Schwiegersohn, die beiden Enkel des Besitzers, und ich kenne seinen 90jährigen Vater, der morgens um 7 Uhr den Laden aufmacht. Nebenan ist ein Änderungsschneider, der mir meine aufgerissene Hose zusammengeflickt hat, und ein Handyladen, dessen W-Lan stark genug ist, um mir die vorbestellte Steve Jobs-Biografie auf den Kindle laden zu können. Was natürlich sinnlos war, denn zum Lesen kommt man im Rimon sowieso nicht, dafür gibt es viel zu viel zu gucken.