10 Dinge, die ich in Buenos Aires gelernt habe
Dienstag, 1. März 20111. Spanisch. Un poco.
2. Tango. Un poquito. Und dass es nichts für mich ist.
3. So eine Kuh hat viele schöne Teile.
4. Es ist menschenmöglich, eine Blutwurst zu essen.
5. Wenn man spät zu Abend isst (wie hier, nämlich gegen 22 Uhr), bedeutet das nicht, dass man am nächsten Morgen nicht schon wieder Platz für drei Medialunas hätte.
6. Ich rede zu viel vom Essen. Muss sich ändern.
7. Bevor ich aber damit anfange: Gancia batido. Hammer. Sollte man sofort nach Deutschland importieren, es könnte endlich den blöden Aperol Spritz ablösen.
8. Practise random acts of kindness and senseless beauty.
9. Es gibt tatsächlich eine Stadt auf der Welt mit noch mehr Hundehaufen auf der Straße als Berlin.
10. Wenn man es besser weiß, sollte man es auch besser machen. Ein einziges Mal ziehe ich mit meiner gigantischen Lieblingstasche, die ich sonst nur als Handgepäck auf Langstreckenflüge mitnehme, auf den Flohmarkt, schon ritzt mir eine Diebin mit dem Skalpell einen Schlitz rein. Hat ihr nichts gebracht, der blöden Kuh, es gibt ein Innenfutter – und das wichtige Zeug ist sowieso nicht da unten im Beutel. Aber trotzdem: die Worte „eigentlich“ und „nur ein einziges Mal“ sind Garantie dafür, dass was Doofes passiert. In diesem Fall: fast passiert. Und überhaupt: Flohmärkte…
Markttag
Sonntag, 27. Februar 2011Das somnambule Geschiebe auf Flohmärkten ertrage ich normalerweise nicht. Und auch nicht das weltweit identische Angebot an Glitzerschals, Holzmasken, lustigen Sonnenbrillen, geschnitzten Trollen und kandelaberartigen Ohrgehängen. All das findet sich auch auf dem Sonntagsmarkt in San Telmo, besonders entlang der calle Defensa, ergänzt durch die lokalen Spezialitäten: Fedoras im Nadelstreifenmuster à la Gardel, Tangopaare aus Silberdraht, Strickmützen mit Inka-Muster und handgemalte Belle Epoque-Kloschilder („Pipi Room“). Gezögert habe ich immerhin kurz bei diesen Mate-Trinkgefäßen. Schon rührend, wie sich Gauchos auf diese Weise schöne Erinnerungen an ihre treuen Zossen verschaffen. (Oder ihr letztes gutes Steak.)
Nähert man sich der Plaza Dorrego, dem Epizentrum von San Telmo, wird es deutlich schicker. Hier finden sich teure Antiquitätengeschäfte, die natürlich auch und besonders am Sonntag geöffnet sind und in denen es auch mal in die Tausende, wenn nicht Zehntausende von Pesos geht bei den feinen Sachen aus den großbürgerlichen Palästen von Recoleta. Mich erheitern dabei am meisten die überall geparkten amerikanischen Männer, die gottergeben auf ihre antiquitätenjagenden Gattinnen warten. Hier eine kleine Auswahl:
Et tu, Meike? Nix gekauft? Öhm… doch. In einem der Geschäfte habe ich ganz hinten links ganz oben in der Ecke eine einsame kleine versilberte Teekanne entdeckt. Mit der Gravur „Pension Callao“. Und weil ich doch den letzten Monat sehr glücklich in meinem Palast in der Avenida Callao verbracht habe, musste ich einfach… Serendipity! Mein Spanischkurs hat sich sofort bezahlt gemacht („Esta teteria mi gusta, cuánto cuesta?“) und ich hab sie sogar von 45 auf 25 Euro heruntergehandelt (langes grübelndes Drehen in den Händen, Stirnrunzeln, Zurückstellen, Seufzen – „demasiado“ –, huldvolles Nachdenken über einen Gegenvorschlag, Zaudernzaudernzaudern: alles von meiner Mutter gelernt). Ich habe jetzt also exakt zwei Souvenirs: einen Salzlöffel mit Schnabeltier aus Sydney, eine Teekanne aus Buenos Aires. Ich sehe da natürlich ein Muster und habe beschlossen: ab jetzt in jeder Stadt ein Stück Tafelsilber. Oder Tafelblech. Zwei sind der Anfang einer Sammlung. Oh, ich höre gerade etliche Menschen in Hamburg aufstöhnen…
Außerdem gefällt mir die Idee, mit einer versilberten Teekanne um die Welt zu reisen. Es hat was von Phileas Fogg.
La Poésia
Sonntag, 27. Februar 2011Buenos Aires ist mächtig stolz auf seine Schriftsteller. In jeder Bar und jedem Café hängen die Fotos der hiesigen Geistesgrößen, der arme Jorge Luis Borges kann eigentlich kaum zum Schreiben gekommen sein, wenn wirklich jedes Etablissement, das mit ihm wirbt, seine Stammkneipe gewesen ist. Das La Poesía in San Telmo, eine charmante Eckbar, behauptet das nicht – muss es aber auch nicht, denn es kamen genügend andere hierher. 1988 wurde es geschlossen, aber nie vergessen. Vor zwei Jahren machte es dann wieder auf und ist heute der richtige Ort für WWW-Poeten wie den jungen Mann oben links (Passwort für das WLAN hier: 5021).
Der Tisch am Fenster, an dem sitze, trägt eine verkratzte Messingplakette, fast nicht mehr zu entziffern: Hier habe der Dichter Horacio Ferrer 1982 Lucia Michelli kennengelernt. El mismo amor los une desde entonces, steht da: Seit damals vereint sie die gleiche Liebe.
La Poésia, Chile 502 y Bolivar
Neue Heimat
Sonntag, 27. Februar 2011Vor zwei Wochen bekam ich diese Mail:
Sehr geehrte Frau Winnemuth,
ich bin in Buenos Aires geboren und habe dort meine Kindheit verbracht – eine Stadt, die ich liebe und die mir immer wieder Spaß macht, wenn ich sie besuche. Ich lebe seit 1985 in Deutschland.
Ich möchte Sie ganz herzlich einladen, für eine Woche in unserem Apartment in San Telmo zu wohnen. Die Einladung ist wirklich frei von irgend einer Gegenleistung, Sie sollen weder drüber schreiben noch es irgendwo erwähnen, wir werden es auch nicht machen.
Ein Hintergedanke ist aber selbstverständlich dabei: Ich möchte, dass Sie San Telmo eine Woche lang so erleben, wie San Telmo wirklich ist, ohne Klischees, ohne den Druck dahin fahren zu müssen, einfach sich mit den Menschen dort wohl fühlen und sie kennenlernen. Von San Telmo ist viel geschrieben worden und es steht in jedem Reiseführer, aber dort zu wohnen ist noch mal etwas anderes. Die Menschen dort sind sehr freundlich und hilfsbereit.
Das Angebot ist ernst gemeint, die Wohnung befindet sich in Dr. José Modesto Giuffra, zwischen den Straßen Defensa und Balcarce, mitten im Zentrum von San Telmo, der link dazu: http://tangoytango.com
Ich würde mich freuen, wenn Sie mein Angebot annehmen.
Beste Grüße,
András Semsey
Unglaublich, oder? Unglaublich nett, und deshalb habe ich das Angebot auch angenommen. Natürlich. The kindness of strangers. Auf San Telmo, den ältesten Stadtteil von Buenos Aires, war ich sowieso neugierig, ich hatte es bislang noch nicht so richtig hingeschafft. Wie toll also, mittendrin wohnen zu dürfen.
Die Wohnung entpuppte sich als kleines, kompaktes Apartment mit einer Wendeltreppe in die obere Etage, in der Schlafzimmer und Bad liegen, und einem schmalen Balkon mit schönem gusseisernem Gitter hinaus auf die ruhige Pasaje Giuffra. Das Schönste aber war das Haus selbst: um einen verwunschenen Innenhof herum gebaut, siehe oben. Aus organisatorischen Gründen bin ich erst gestern hergezogen und auch nur für ein verlängertes Wochenende – und habe es fast sofort bedauert. Denn dies ist ein ganz anderes Buenos Aires, als ich es bisher erlebt habe. Ein fast dörfliches.
An Sonntagen, wenn hier der große Antiquitätenmarkt stattfindet (um den ich an diesem Wochenende definitiv nicht herumkomme) und an den Abenden kann San Telmo zu einer Art Tango-Disneyworld werden, tagsüber und unter der Woche ist es ein verschlafenes kleines Kopfsteinpflaster-Paradies. Im Mercado, rechts oben, kann man Rinderzunge und Perlmuttknöpfe kaufen, im Fenster der Bar Sur, links unten, hängt ein Foto, das den Besitzer stolz mit „Frank Beckembaüer“ zeigt (und mit Liza Minelli, die übrigens in jedem Fenster der Stadt hängt, die hat hier wirklich nichts ausgelassen). Die nächsten Tage also: nur San Telmo, ein schöner Abschluss dieses Monats.
Buenos Haires
Sonntag, 27. Februar 2011Argentinische Männer gehören objektiv zu den bestaussehenden Kreaturen der Erde. Von vorn. Von hinten hingegen… Vokuhilas, Kevin-Zöpfchen, ölige Minipli-Matten, wohin man schaut. Eine Tragödie.
Mein Vertrauen in das hiesige Friseurwesen war also nicht überwältigend groß. Trotzdem brauchte ich dringend einen Haarschnitt. Was tun? Per Mundpropaganda stieß ich auf Ryan Oakley, einen Kanadier, der vor drei Jahren nach Buenos Aires gezogen war, mit zwei Koffern, einer Buddha-Statue und einer gewissen Zickigkeit im Gepäck. Hieß es jedenfalls. Er sei teuer, aber jeden Cent wert.
Teuer bedeutet in Buenos Aires: 27 Euro für einen richtig guten Schnitt, für den man in Deutschland das Doppelte hingelegt hätte. Plus eine vergnügte Stunde in seiner Wohnung in Recoleta mit vielen Geschichten. Wie zum Beispiel derjenigen, als er seinem Vater, der die längste Zeit ein Problem damit hatte, einen schwulen Friseur zum Sohn zu haben, vor seiner Abreise nach Südamerika zum ersten Mal die Haare schnitt. Und der ihm dafür 1000 Dollar zahlte. „Das wollte ich dir mit auf die Reise geben. Ich glaube an dich, du machst das schon.“
Termine über: r_oakley@hotmail.com
Swinging
Sonntag, 27. Februar 2011Vieles in Buenos Aires scheint entweder ganz alt oder ganz neu zu sein, Bauten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts gehen dabei eher unter. Eine der schönsten Ausnahmen ist das Café Florida Garden, das mal nicht das Klischee der bröckelnden Pracht erfüllt, sondern reinrassiges Sixties-Design bietet – und zudem eine Rückzugsmöglichkeit von der etwas nervigen Fußgängerzone Florida. Draußen: alle paar Meter ein Lederjackenverkäufer oder Tourenveranstalter, der einen kobern will. Drinnen: weißlivrierte Kellner, die einem gern mal ein Stückchen Brownie zuschieben, wenn man an der Theke steht.
Florida 899/Paraguay, Buenos Aires
Wenn schon kein Tango…
Dienstag, 22. Februar 2011Ich drücke mich immer ein bisschen um die Muss-man-gesehen-habens herum, schon weil ich keine Lust habe, meine 12 Städte als 12 To-Do-Listen zu betrachten. Deshalb war es heute auch ein ausgesprochener Zufall, dass ich im legendären Café Tortoni gelandet bin, dem ältesten Café des Landes. Ich war gerade auf dem Fußweg von San Telmo nach Hause, mir war nach einer Pause, da war dieses Café, und erst als ich drinsaß, merkte ich, wo ich eigentlich war. So sollte es immer sein.
Ach so: Es ist natürlich genau so toll, wie alle sagen.
Nachtrag: Das Tortoni gehört zu den derzeit 60 bares notables, Cafés, Bars, Billiardhallen, die von der Stadtverwaltung als besonders erhaltenswert ausgezeichnet sind. Dazu gehört übrigens auch, wie ich gerade gesehen habe, die so nett runtergerockte Bar Plaza Dorrego von neulich.
Gran Café Tortoni, Avenida de Mayo 825
Asado mi amor
Montag, 21. Februar 2011Man könnte ein Asado mit einem Barbecue vergleichen, aber das wäre zuviel der Ehre für das Barbecue. Das argentinische Asado ist Ballett gegen die grobe Hopserei des Barbecue: die präzise Choreographie des Glutanschiebens, die Auf- und Abtritte von choripan (Chorizo im Brot), morcilla (Blutwurst), tira de asado (flache Rippe), tapa de asado (Hüftdeckel) und lomo (Filet), alle lässigerweise gleichzeitig auf den Grill gelegt und trotzdem nacheinander serviert und natürlich genau zum richtigen Zeitpunkt perfekt gegart – wie, wissen nur der Himmel und der asadero, der Grillmeister.
Das Asado, zu dem ich heute, am klassischen Sonntag, im Haus von Constanza Brunet eingeladen war, war nicht nur gastronomisch ein Hochgenuss. Am Tisch saß unter anderem Gérard Aimé (oben, rechts Mitte), der vor 35 Jahren den Pariser Verlag Alternatives gegründet hat, weil er keinen Verleger für das Buch fand, das er geschrieben hatte, Le Catalogue des Ressources (es wurde einer der größten Bestseller der Siebziger). Gérard ist gerade einen Monat als Passagier eines Frachtschiffs von Frankreich über Senegal und Sierra Leone (dort wurden europäische Schrottautos für den afrikanischen Markt abgeladen) nach Buenos Aires gefahren. Er macht so eine Fahrt jedes Jahr, „da habe ich endlich mal meine Ruhe“. An Bord gibt es kein Handy, kein Internet, kein Fernsehen, gar nichts. Genau die Monotonie, die er zum Schreiben braucht, er sitzt gerade an einem Polizeiroman.
Dann war da noch Paola Caretta, eine französisch-argentinische Produktionsassistentin beim Film, die Spanisch, Französisch, Englisch und Mandarin spricht, weil sie schon überall auf der Welt gelebt hat, und die auf meine Frage, wo sie sich zuhause fühlt, lange zögerte. Sie ist die einzige Einheimische, die ich getroffen habe, die Tango tanzt. Auch der, sagt sie, sei eine Fremdsprache, von der man oft nicht mal wusste, dass man sie spricht: in jenen Momenten nämlich, in denen einem zehn Minuten perfekte Kommunikation mit jemandem gelingen, den man noch nie gesehen hat und nie wiedersehen wird.
Das Gespräch mäanderte von Stéphane Hessel, dem 93jährigen Résistance-Veteranen, dessen Streitschrift „Empört Euch!“ sich bereits über eine Million mal verkauft hat, über die Paris-Fotos des Schweizer Fotografen Daniel Spoerri bis zur besten Dulce de Leche-Sorte („La Salamandra natürlich“). Zwischendrin gab es, wie es sich gehört, eine Runde Applaus für den asadero Guido. Es war ein Fest, in jeder Hinsicht.
Und dann holte die Gastgeberin Constanza, nachdem Paola sie lange genug genervt hatte, ihre Gitarre und sang ein paar Salsas.
In meinem Element
Donnerstag, 17. Februar 2011Ah, schon besser. Bei solchen Angeboten dürfen Männer gern kleiner sein als ich. Dies ist Davin aus Alaska, der schon seit sechs Jahren in Buenos Aires lebt und hier, wie so viele Expatriates, gleich vier Jobs hat. Globale Software-Kundenbetreuung per Skype, Social Media-Beratung des argentinischen Weinverbandes, Werbefilmschauspieler (nächste Woche fliegt er nach Costa Rica, um dort einen Spot für einen polnischen Energydrink zu drehen – ja, die Welt ist voller Möglichkeiten) und Sommelier (mag er nicht so) bzw. wine guy des 6-Zimmer-Boutiquehotels Miravida Soho in Palermo. Dorthin hatte mich Besitzer und Ex-Kollege Cornel Faltin, langjähriger Washington-Korrespondent für Hamburger Abendblatt und Berliner Morgenpost, zu einer Weinprobe eingeladen. Ich kenne Massen von Journalisten, die eines Tages ein kleines Hotel eröffnen wollen – und keinen, der es tatsächlich getan hat. Bis auf Cornel. Das Miravida Soho gehört ihm seit Dezember 2009 und ist immer gut gebucht dank bester Empfehlungen im Tripadvisor – alles könnte so schön sein, sagt er, wenn nicht die argentinische Bürokratie mit ihrem kafkaesken Formularwahnsinn wäre.
Ein Grund mehr, noch ein Weinchen aufzumachen, und davon stehen hier viele, viele gute. Tintenfarbene Malbecs, ein wunderbarer Cabernet Sauvignon von Viña Cobos und ein toller Torrontés von Donald Hess, der dem Lichtkünstler James Turrell ein Museum in der Nähe seines Weinguts Colomé gebaut hat. Schöner Abend, spannende Gespräche.
Miravida Soho Hotel, Darregueyra 2050, Buenos Aires 1425