Willkommen im Club

Als ich vor ein paar Jahren mal eine Zeitlang in Brooklyn wohnte und mich meine New Yorker Freundin Sarah mit einem Mann verkuppeln wollte, pries sie ihn so an: Investmentbanker, superreich, frisch geschieden – und Mitglied des Knickerbocker Club. An all dem interessierte mich eigentlich nur letzteres: Ich habe eine Schwäche für alte Clubs, ich mag die getäfelten Räume, die knarrenden Dielen, das Ticken der Standuhren, das Rascheln der Zeitungen, das in der Regel fürchterliche Essen im Club-eigenen Restaurant. Die Idee eines third place, eines Ortes zwischen Arbeitsstätte und Zuhause, hat mir immer eingeleuchtet. Ich finde, man braucht solche Dekompressionskammern zwischen Nicht-mehr-da und Noch-nicht-hier, feste Orte für Gespräche, die sich um anderes drehen als die Banalität des Alltags oder die Banalität der Arbeit.

Aus dem Knickerbocker-Mann und mir wurde natürlich nichts (er fand sich spannender als mich, was in seinem Fall eine grobe Fehleinschätzung war), stattdessen suchte ich mir einen eigenen Club, den Montauk Club in Park Slope, und wieselte mich dort als Mitglied ein. Ich erzählte dem Auswahlkommittee, dass ich das Haus zum Schauplatz eines Romans machen wolle (aus dem dann auch nichts wurde – hm, fällt mir jetzt gerade wieder ein, könnte man ja eigentlich…) und dass ich mich deshalb ein bisschen umsehen müsse. Das genügte ihnen, und fortan stand ich ein paarmal in der Woche gegen sechs an der Bar neben anderen Clubmitgliedern, die mit Aktentaschen oder Einkaufstüten neben sich Gin Tonics tranken („easy on the tonic, please“) und den peruanischen Barmann Antonio zwangen, frisch gekaufte CDs abzuspielen, gern „The Mamas & the Papas“. Es waren die – zumindest vor diesem Jahr – glücklichsten zwei Monate meines Lebens.

Deshalb hatte ich mich auf gestern abend gleich doppelt gefreut: Nicht nur würde ich Michelle Witton wiedersehen (sie ist Punkt 5 meiner 10 Dinge, die ich in Sydney gelernt habe), wir würden uns auch im BAFTA Club treffen, in dem sie Mitglied ist. BAFTA ist die British Academy of Film and Television Arts, die jährlich ihre eigenen Oscar-ähnlichen Awards verleihen (gottlob gewinnt fast immer Colin Firth, der einfach die besten, nein: die allerbesten Dankesreden abliefert). Der BAFTA Club liegt in Piccadilly, ein paar Häuser von Fortnum & Mason und meinem Zweitlieblingsbuchladen Hatchards entfernt, ist überraschend, aber nicht enttäuschend unverstaubt und hat Sofas, die ich sofort auf dem Rücken nach Hause schleppen möchte.

Am schönsten fand ich einen Brief, den Gründungsmitglied David Lean auf Briefpapier vom Berkeley Hotel getippt hat. Darin geht es nicht nur um seine möglichen Einnahmen aus seinen Filmen „Die Brücke am Kwai“ und „Doktor Schiwago“ („they may amount to very little“) sowie „Lawrence von Arabien“ („hat noch keinen Gewinn gemacht und wird es vermutlich auch nicht“), sondern auch um eine der ersten Sitzungen des BAFTA Clubs, in der Alexander Korda, der Produzent von „Sein oder Nichtsein“ und „Der dritte Mann“, davon träumte, eines Tages die Royal Albert Hall für die Verleihung des Filmpreises anzumieten – „at which we chuckled politely“.

Michelle habe ich, wie gesagt, vor einem halben Jahr kennengelernt und auch zuletzt gesprochen; unsere Gespräche drehten sich folglich viel um das, was in diesen sechs Monaten mit uns jeweils passiert ist. Immer gut, gezwungen zu sein, Entwicklungen, die man hier im Blog ja fast auf Tagesbasis mitverfolgen kann, für jemanden aus der Vogelperspektive zusammenzufassen. Das Ergebnis ist wenig überraschend: Glück, Freiheit und Dankbarkeit für beides. Michelle wiederum, die ja wunderbarerweise sowohl als Rechtsanwältin wie auch als Schauspielerin arbeitet, hat es geschafft, ihre beiden scheinbar so widersprüchlichen Professionen zu einem Projekt zu vereinen: Schulungsvideos für britische Firmen zum Thema der neuen Antikorruptionsgesetze. Auch dies eine gute Lehre: Eines der besten Glücksrezepte ist ein entspanntes Sowohl-als auch.


18 Antworten to “Willkommen im Club”

  1. Uschi aus Aachen Says:

    Diese reinen Herren-Clubs gibt es auch immer noch, oder?

  2. Aimée Says:

    Die Sofas sind ja auch … (hell) BLAU !

  3. Angelika Says:

    „easy on the tonic, please“ ;D
    Ich liebe die Engländer!
    Und ich will auch einen Club als Dekompressionskammer!
    Aber im oberbayrischen Hinterland eher Utopie … oder?

  4. lilyraines Says:

    Es ist ja völlig einzusehen, dass Sie die Sofas sofort mitnehmen möchten, aber könnten Sie nicht eins an mich schicken?

  5. bling.bling Says:

    mich ‘faszinieren’ solche clubs irgendwie. für meine eine völlig fremde welt.

  6. HollyGolightly Says:

    hatchards und fortnum & mason wollte ich auch noch empfehlen, aber das kann ich mir dann ja sparen. ;-)

  7. Daniela (Le-Sabra) Says:

    Bei uns ist ab 18 Uhr die sehr stylish’e Eisdiele, mit dem besten Cappuccino und dem allerbesten Eis, die Dekompressionskammer. Das funktioniert auch.

    Die Sofas, ja natürlich schön, sind ja auch blau und gefallen mir auch.

    Ach bis auf mein erstes Auto, das war gelb, waren alle anderen auch alle blau.
    Waren aber seit 1980 insgesamt nur 4 Autos.

  8. Emmily Says:

    In D gabs x früher die beliebte Eckkneipe
    Da konnten sich die. Väter etwas sortieren, Aerger ablassen,Kumpels um Ratschlag fragen
    Und die Muttis zu Hause in Ruhe lassen

    Wo sind diese Ecken nur geblieben ?

    Ps. Dafür gibt’s heute für die Mutti s die Sandbars mit Palmen auf den Parkhausdecks

  9. sarah Says:

    love you, Meike…have fun in London..

  10. Karina Says:

    Ist das da Guy Ritchie?

  11. meike Says:

    @Sarah: thanks. Luv ya right back.
    @Karina: hello, dear. Und: nein, das ist er nicht. Oder? Nein.

  12. Ute Maria aus Köln Says:

    Mich würde das label der Sofas interessieren. Sie sind gleichzeitig puristisch und wunderschön!

  13. meike Says:

    @Uta Maria: Ich habe es nicht recherchiert, aber ich würde tippen: George Smith. Bezogen mit Mohair Velvet in French Blue. (Sorry, ich bin Sofa-Fetischist.)

  14. Kristiane Says:

    Die Sofas…wunderbar. Echte Traumteile, sehen aus wie Wolken. Und dann der Farbton: French Blue. Mohair Velvet…was gibt es für schöne Sachen.
    Die Dame links (stehend) sieht aus wie Angela Jolie, der Speckmops in schwarz (von hinten zu sehen) könnte Nachrichtensprecher Jens Riewa sein. Guy Ritchie…ich finde, es könnte hinkommen! Wär ja ein interessantes Zusammentreffen.

  15. Heidi Says:

    “I’m afraid I have to warn you, I am experiencing stirrings…somewhere in the upper abdominals…that are threatening to form themselves into dance moves…”

    Oh, Colin Firth, the speech’s king (pun intended, yes!)
    …sigh….der wuerde sich uebrigens in so nem Clubsessel auch ganz passabel machen! Vielleicht laedst du ihn mal ein?

  16. jule Says:

    Meike, lieber Sofafetischist als couch potatoe. ;-)

  17. Vor mir die Welt… » Gen B Says:

    [...] Christopher Tee trinken. Ich erwähnte, dass ich mir gern ein neues Sofa kaufen würde, gern so ein fett gepolstertes britisches wie im BAFTA Club, und er gab mir einen Schnellkurs darin, wie man ein gutes von einem schlechten [...]

  18. Vor mir die Welt… » Blaue Stunde Says:

    [...] Druckausgleich zwischen dem Einen und dem Anderen (ich erwähnte es schon einmal anlässlich einer Londoner Clubs). Ich in meinem Home Office-Leben brauche also zumindest einen second place. Cafés sind gut, [...]