Am Ende einer kurzen Nacht

Freitag, 11. März 2011

Nach einer Woche Mumbai. Nach drei Stunden Schlaf. Während die Sonne hinter der staubigen Scheibe aufgeht.

B ist 28, halb Deutscher, halb Australier. Abgebrochenes Volkswirtschaftsstudium an der Uni München, hängengeblieben in Indien. Er ist drei Monate durchs Land gereist, getrieben von Hesses Siddharta und Shantaram von Gregory David Roberts. Er hatte sich selbst beweisen wollen, dass er von 150 Rupien am Tag leben kann, dem indischen Durchschnittseinkommen. 2,50 Euro. Er hat es drei Monate lang durchgehalten: Von Kalkutta ist er per Zug, oft 12 Stunden im Stehen zwischen anderen eingeklemmt, von Kalkutta Richtung Süden bis nach Kerala und dann an der Westküste wieder hoch nach Mumbai gereist. Halbnackt im Lunghi, dem südindischen Wickelrock, im Rucksack 15 Kilo Kletterausrüstung. Ein paar Mal ist er in ungemütliche Situationen geraten, auch mal verhaftet worden. Das Shantaram-Leben. Über eine Facebook-Bekanntschaft ist er an einen Job als rechte Hand eines indischen Geschäftsmanns aus dem Restaurantgewerbe gekommen, für den er jetzt mit Unterbrechungen seit knapp einem halbem Jahr arbeitet. Was genau macht er da? „Alles, was anliegt.“ Nach dem Rechten sehen, den Angestellten wieder und wieder sagen, wie etwas zu tun ist. Weil das hier einfach nicht anders ginge, jeder einzelne Handschlag müsse genau vorgeschrieben und ausdrücklich verlangt werden. Er sagt das zu einem Viertel resigniert, zu einem Viertel zornig, zu einem Viertel verächtlich, zu einem Viertel sachlich, in diesem Tonfall, den ich so oft höre, wenn ich Westler über Inder reden höre. Es ist eine Stimme auf verlorenem Posten.

Wir sitzen im Indigo, einem der angesagtesten Restaurants in Mumbai, einen Steinwurf vom Taj Mahal Palace entfernt. Ein Laden für Expats und reiche Touristen, ein dreigängiges Menü für zwei kommt hier auf für Indien exorbitante 100 Euro. Es ist voll, natürlich. Zweiertische mit der international bewährten Kombo von altem Knacker und junger Frau, eine lange Tafel voller Männer, die anerkennend jaulen, als sich vier, fünf Frauen in mehrheitlich kurzen Röcken zu ihnen gesellen, die aussehen wie Professionelle.

B erzählt von seinen Reisen, von der Arbeit, von Indien. Die Erzählungen verästeln sich, er schweift ab, schiebt ein, erklärt, fällt sich selbst ins Wort. Anders kann man von Indien scheinbar nicht sprechen. Immer wieder Anekdoten, eine absurder als die andere, ich interpunktiere mit Kopfschütteln und ungläubigem Lachen. Aber nicht sehr ungläubig, denn so ist es, ich erfahre es ja gerade selbst.

Das Essen ist mäßig, ein ungelenker Versuch, den globalen Geschmack zu treffen. Ich esse Rawas, einen lokalen Fisch, mit Anis, gerösteter Kokusnuss und Panchamrut-Sauce, sinnlos verhunzt durch Artischocken und schwarze Oliven. Möchtegern-Essen. Der Kellner breitet mit Schwung eine schwarze Serviette über meinem Schoß aus, die Gabel ist verbogen. Wie erfolgreich der Laden ist, zeigt ein Schild vor der Tür. Dort wird ein neuer Service angeboten: „Let our chauffeur drop you home in your car. Indigo encourages responsible drinking.“

Wir ziehen ein paar Häuser weiter, in den Royal Bombay Yacht Club. Ein riesiger viktorianischer Bau in bester Lage, von der Terrasse schaut man auf das Gateway of India und das Arabische Meer. Einst der Stolz der britischen Seefahrt, jetzt ein verwahrloster Kasten mit grellen Neonlampen. Hier findet heute abend der monatliche Cigar Club statt, ebenfalls ein Treffpunkt für in Mumbai lebende Ausländer, initiiert von einem Briten namens Dan. „Der da drüben im gestreiften blauen Hemd ist Dan“, sagt B. Ich muss lachen, denn hier tragen tatsächlich alle gestreifte blaue Hemden, die offizielle Wir sind heute mal lässig-Uniform der versammelten Geschäftsführer, Repräsentanten, Niederlassungsleiter aus aller Herren Länder. Zwei Deutsche lehnen mit einem Bier in der Hand an der Brüstung, ich höre nur Wortfetzen: „…weiß auch nicht mehr, wie… Report… die Zentrale sagt…“ Man wärmt sich hier am Feuerchen ähnlicher Erfahrungen, so scheint es. Alle sehen müde aus.

Weiter, hinaus zur Pferderennbahn. Im „Tote“ findet eine Party zur Eröffnung der Lakmé Fashion Week statt. Ein Bekannter von B schleust uns hinein. M, Australier, leitet eine Modelagentur. Gute Mädchen habe der M, sagt B, die halbe Vogue India sei voll mit ihnen. Derzeit gehen Brasilianerinnen gut, auch Spanierinnen – dunkelhaarig genug, um sich mit ihnen identifizieren zu können, aber auch genügend nicht-indisch, um aspirational zu sein, Sehnsucht nach einem anderen, besseren Leben auszulösen. Das, worum es hier immer geht, auch bei denen, die es schon längst geschafft haben. M und sein Bruder U haben drei Models im Schlepptau, alle schön, alle dunkelhaarig, alle nicht-indisch. B zeigt auf ein paar Leute. Der Typ da: ein paar 100 Millionen schwer. Der: auch. Alle im blauen Streifenhemd. Dazu ein paar bekannte Gesichter aus dem Cigar Club, die inzwischen auch den Weg hierher gefunden haben. Man kennt sich, und man bleibt unter sich. U, der Bruder von M und gerade zu Besuch, überlegt, ob er jetzt auch nach Indien ziehen soll. Warum? „Weil hier noch alles möglich ist“, sagt er mit Goldgräberblick.

Die Welten berühren sich hier nicht. Ich verstehe jetzt, warum ich jedes Mal so fassungslos angestarrt werde, wenn ich im Viertel rund um mein Hotel durch die Straßen gehe. Warum mich auch neulich die Männer in der S-Bahn so angestarrt haben. Ich hatte dort einfach nichts zu suchen. Ich hätte noch nicht mal was im Frauenabteil zu suchen gehabt, auch nicht in der ersten Klasse. Ich bin eine weiße Frau, für indische Verhältnisse stinkreich, ich darf bestenfalls im Taxi unterwegs sein, aber in Wirklichkeit nur in einer eigenen Limousine mit Fahrer, sagen mir die Mädchen von M. Im bereits zitierten „Bombay: Maximum City“ schreibt Suketu Mehta, dass er, der aus New York nach Mumbai zog, aus einer funktionierenden Stadt in eine nicht funktionierende, auch in ein fremdes Leben geworfen wurde, in eines mit Dienstmädchen und einem klimatisierten, Chauffeur-gesteuerten Wagen. „Wenn wir hier überleben wollen, müssen wir reich leben“, schreibt er, einigermaßen verzweifelt.

In ihrem Weblog Diary of a White Indian Housewife, das ich gerade fasziniert verfolge, schreibt die Australierin Sharell Cook, die einen indischen Mann geheiratet hat, viel von dem, was mich auch so umtreibt in dieser Stadt: die Einsamkeit, die Fremdheit, die Unzugehörigkeit. Was sie nicht sagt: wie man sich hier selbst fremd wird. Wie schnell man sich gegen das Elend panzert, wie kalt das Herz plötzlich wird. Wie wütend man durch die Stadt läuft, weil einen schon wieder jemand versucht hat zu verarschen, ein Händler, ein Taxifahrer, der „vergessen“ hat, die Uhr anzustellen, und jetzt einen Fantasiepreis verlangt, eigentlich jeder, mit dem man als Fremde in Kontakt kommt. Der Mann an der Rezeption, von dem ich regelmäßig zehn Stunden Internetzugang kaufen muss, hat plötzlich keine Zehn-Stunden-Tickets mehr, aber ich könnte zwei Tickets à fünf Stunden haben, leider ein bisschen teurer. Okay, mache ich. Am nächsten Tag: Es gibt wieder nur die Fünf-Stunden-Tickets. Auf denen aber nur 240 Minuten drauf sind. Am übernächsten Tag: geht das Internet gar nicht mehr, ein Techniker kommt, drückt ein bisschen auf meinem Laptop herum, wackelt mit dem Kopf, holt dann seinen eigenen Rechner und demonstriert, dass das Netz funktioniert. Und bietet nach einem Telefonat mit der Rezeption an: Ich könnte auch für 1000 Rupien Zugang für einen ganzen Tag kaufen, der sei zuverlässiger. Ich nicke entnervt, mir ist schon alles egal. Hauptsache, es funktioniert wieder. Hauptsache, ich muss mich nicht immer wieder mit demselben Mist beschäftigen. Muss ich natürlich, denn es funktioniert immer noch nicht. An guten Tagen nehme ich all das als ein Spiel. An schlechten nehme ich es persönlich. Heute ist ein eher schlechter Tag, würde ich sagen.

Und genau so geht hier alles, so kriegt man die Westler an ihrer Ungeduld und ihrer fehlenden dicken Schwarte zu packen: Man nervt sie. Es ist ein täglicher Kleinkrieg. Bettler ziehen so lange an einem, bis man ihnen einmal entnervt was gibt, damit sie verschwinden. Straßenhändler schmeißen sich einem so lange mit „Ma’am, look, ma’am, hello, hello, look, ma’am, look, hello, ma’am“ in den Weg, bis man einmal stehen bleibt. Das Nerven klappt vielleicht in einem von 100 Versuchen, aber das reicht. Und deshalb wird es gemacht. Es ist wie Spam. Das Verarschen klappt häufiger, und deshalb wird es erst recht gemacht.

Ich habe mich jetzt drei Tage mit dem verdammten Internet herumgeärgert, und nun bin ich marode. Mein Budget ist nach zehn Tagen Mumbai praktisch unberührt, ich kann es ohnehin für nichts anderes ausgeben als für meine Infrastruktur. Ich gebe mir noch einen Tag, dann ziehe ich in ein teureres Hotel, auch wenn ich dieses hier schon bezahlt habe und das Geld nicht wiedersehen werde. In eines mit funktionierendem Netz, wo einen die Housekeeping-Boys nicht schon morgens um halb acht aus dem Schlaf klopfen, wenn man vergessen hat, das Do Not Disturb-Schild rauszuhängen. In eines, in dem man nicht jede Rolle Klopapier extra ordern muss. Die Inder benutzen keins, sie finden Klopapier so eklig wie Küsse. Sie nehmen Wasser und die linke Hand; deshalb wird auch nur mit der rechten Hand gegessen. Was ich brav ebenfalls tue, denn es gehört sich hier so. Ich esse mit der Rechten, weil ihr euch mit der Linken den Hintern abwischt, verdammt. Also hört auf, mich immer zu verarschen.

Oder ich bleibe einfach. So schnell werdet ihr mich nicht klein kriegen.

Trost-Essen

Mittwoch, 9. März 2011

Die Straße runter liegt Swati Snacks, ein vegetarischer Fastfood-Laden, der schon nach zwei Besuchen ein Liebling von mir ist. Heute: Dal Dhokti, eine fruchtig-scharfe Linsensuppe mit dicken weichen Weizennudeln. Genau das, was man an so einem Tag braucht. Swati serviert in Wahrheit Gujarati-Streetfood wie Bhelpuri, wie man es hier an jeder Straßenecke bekommt, nur halt auf Tellern und mit Besteck. Alles ziemlich köstlich, und wenn ich bedenke, wie ich vor einer guten Woche noch dicke Steaks und ganze Flaschen Malbec weggehauen habe und jetzt das blanke, heilige Gegenteil davon zu mir nehme… Passt zur Fastenzeit.

Swati Snacks, 248 Karai Estate, Tardeo (gegenüber vom Bhatia Hospital)

Eine Familiengeschichte

Mittwoch, 9. März 2011

Noch eine Geschichte aus der Zeitung, die letzte, denn es reicht mir langsam mit diesem grimmigen Entsetzen, das mich jedes Mal befällt, wenn ich hier eine Zeitung aufschlage. Der dreijährige Faizal Shaikh wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Er trug überall am Körper Brandverletzungen von ausgedrückten Zigaretten, seine Geschlechtsorgane waren mit einem glühenden Messer bearbeitet worden, sein Oberschenkel gebrochen, seine Vorderzähne ausgeschlagen. Was war passiert?

Die Geschichte begann 2006, als seine Eltern, Rehana und Nasir, heirateten. Rehana reichte die Scheidung ein, die Familie ihres Mannes habe sie über dessen Geisteskrankheit im Dunkeln gelassen. (Offensichtlich eine arrangierte Ehe.) Zum Zeitpunkt der Trennung war Faizal acht Monate alt. Rehana heiratete daraufhin einen Taxifahrer, der bereits zwei Kinder hatte und ihren Sohn nicht akzeptieren wollte. Also ließ Rehana ihn in der Obhut ihrer Mutter und ihrer Schwester Suraiya.

Dann verlangten die beiden Schwestern ihres Ex-Mannes das Sorgerecht und erhielten es 2010. Rehanas Familie war anschließend jeder Zugang zu dem Jungen verwehrt. Ende Februar fand Suraiya das Kind vor ihrer Wohnung, wo die beiden Tanten väterlicherseits, eine laut Mumbai Mirror 30jährige Lehrerin und eine 30jährige schwangere Hausfrau (Zwillinge?), ihn abgelegt hatten. In besagtem Zustand. Sie sind inzwischen verhaftet worden, das Tatmotiv ist allerdings unklar. Es mag, spekuliert Suraiya, damit zusammenhängen, dass der Großvater des Jungen ihm seine Wohnung im Wert von 150.000 Rupien (2.400 Euro) überschrieben hat, weil sein Vater geistig behindert ist.

Es ist alles so unsäglich.

Die Kunst des Bettelns

Mittwoch, 9. März 2011

Betteln weltweit – und das gilt genau so für Rumäninnen in der Hamburger Innenstadt – ist in der Regel organisiert. Wie organisiert es in Mumbai ist, wusste ich aber selbst nicht. Bis zu einem Artikel, den ich heute gelesen habe: Darin ging es vor allem um die Praxis, dass zum Betteln ausgebildete Frauen Babys von den ärmsten Einwanderern aus dem Südosten mieten, um mehr Mitleid zu erregen. Ein drei Monate altes Baby kriegt man für 100 Rupien pro Tag, etwa 1,60 Euro, ein einjähriges Kind für 50, ein dreijähriges für 30 Rupien. Hier noch ein etwas älterer Artikel darüber, wie ein junges Ehepaar herausfand, dass ihre Nanny das ihr anvertraute Baby tagsüber ebenfalls zum Betteln vermietet hat. Dem Kind waren Sedativa verabreicht worden.

Weil man’s ja immer nicht glauben kann

Dienstag, 8. März 2011

Moloch Mumbai. 18 Millionen Einwohner auf einem Platz, der höchstens für drei Millionen reicht. Vielleicht sind es auch 20 Millionen. Oder 24, keiner weiß das so genau. Hier die Luft zu atmen entspreche dem Äquivalent von zweieinhalb Päckchen Zigaretten pro Tag, schreibt Suketu Mehta in Bombay: Maximum City, das ich gerade parallel lese (tolles Buch übrigens). Die Stadt erstickt an sich selbst, an den Menschen, am Verkehr. Die Durchschnittsgeschwindigkeit einer Autofahrt in der Stadt: 20 Stundenkilometer. Dafür sinkt die Anzahl der Verkehrstoten – bei dem Tempo passiert einfach nicht mehr so viel wie früher.

Und nicht zuletzt deshalb, mitten im Zentrum:

Touristenprogramm

Dienstag, 8. März 2011

Muss ja auch mal sein: die Sehenswürdigkeiten. Zu Ihrer Linken, meine Damen und Herren, das Gateway of India. Das Tor zur Stadt und zum Kontinent, 1924 gebaut, zum Andenken an den Besuch von König Georg V. Sozusagen als britischer Triumphbogen. Just durch diesen Bogen allerdings zogen die letzten britischen Truppen 1948 ab, nachdem Indien seine Unabhängigkeit erlangt hatte. Heute: Flaniermeile.

Ein Steinwurf davon entfernt: ein weiteres Nationaldenkmal. „Sind Madam Gast des Hauses?“ Aber selbstverständlich bin ich das – zumindest immer dann, wenn es mir Zugang zu Heiligtürmern wie dem Garten des Taj Mahal Palace Hotel beschert, „for residents only“.

Leider fliegt der Schwindel schnell auf, als mich nämlich der Kellner bei der Bestellung nach der Zimmernummer fragt. So skrupellos bin ich dann doch nicht… Aber zumindest kurz habe ich hier im Laubengang gesessen.

Das Taj ist nicht irgendein 5-Sterne-Schuppen, sondern Symbol indischer Geschichte. 1903 ließ es der Parse (wir erinnern uns: Towers of Silence) und Gründer des Tata-Imperiums, Jamshetji Tata, bauen, nachdem ihm der Eintritt in das britisch geführte Watson’s Hotel verweigert worden war: „dogs and Indians not allowed“. Sein Plan war, das größte, schönste, luxuriöseste Hotel Indiens zu bauen. Das Watson’s ist längst geschlossen, zur Taj-Gruppe gehören dagegen heute 76 Hotels, sieben Paläste, sechs Privatinseln, zwölf Spa-Resorts… gewonnen, oder? 1947 handelte Mahatma Ghandi hier mit dem späteren Ministerpräsidenten Nehru die Unabhängigkeit von den Briten aus, eine Vitrine ziert Fotos von einer sehr jungen Queen Elizabeth, einer sehr alten Tina Turner und Dutzenden anderen Gästen aus dem Westen. Das Gästebuch allerdings: trotzig auf der Seite mit Ravi Shankars Unterschrift aufgeschlagen. Der brachte im Hotel George Harrison das Sitar-Spielen bei.

Damit ist die Geschichte natürlich noch nicht zu Ende. Im November 2008 wurde das Taj Ziel von pakistanischen Terroristen, die bei ihrem Amoklauf durch Mumbai mindestens 179 Menschen töteten, andere Quellen sprechen von über 200. Allein im Taj wurden 31 Gäste und Bedienstete umgebracht, der Dachstuhl brannte, in den Gängen wurden Tränengasgranaten geworfen, Hotelgäste seilten sich mit Bettlaken ab. Die Polizei brauchte drei Tage, um das Hotel zu stürmen. „Indiens 11. September”, schrieben die Zeitungen.

Im letzten Jahr wurde das Hotel wieder eröffnet, symbolträchtig am 15. August, Indiens Unabhängigkeitstag. Im Herbst stieg Barack Obama hier ab und hinterließ ebenfalls eine Nachricht im Gästebuch (sehr hübsche Handschrift übrigens). Heute war das Hotel nach neuerlichen Terrorwarnungen im Dezember wieder von Polizeisperren abgeriegelt, wer rein wollte, musste durch Metalldetektorschleusen gehen. Es bleibt ein Ort der ewigen Unruhe. Aber Unruhe de luxe.

Religionen, die ich noch nicht kannte 2

Dienstag, 8. März 2011

„Towers of Silence“ hieß es auf Google Map, das klang interessant und lag offensichtlich in einem Park mitten im Nobelviertel Malabar Hill. Also hin. Ich wurde gleich am Eingang von einer Wache abgefangen: „Sorry, ma’am. Nur für Parsen“.

Parsen sind eine religiöse Minderheit, Anhänger der Lehre von Zarathustra und deshalb im 9. Jahrhundert aus Persien – daher der Name – vertrieben worden. Kaum 90.000 gibt es heute noch, sie sterben aus, denn sie dürfen nur untereinander heiraten, akzeptieren keine Kinder aus Mischehen und auch keine Konvertiten. Parsen gehören wie die Jain zu den einflussreichsten Familien hier in der Stadt, der Großindustrielle Ratan Tata gehört zu ihnen, der Dirigent Zubin Metha – und auch Freddie Mercury, geborener Farrokh Bulsara, war Mitglied einer strenggläubigen Parsenfamilie auf Sansibar.

Weil für die Parsen Erde, Wasser und Feuer heilig sind, dürfen die nicht durch Beerdigungen verunreinigt werden. Also werden ihre Toten auf den Dächern der Towers of Silence, sechs stadionartigen Strukturen, den Geiern und Raben zum Fraß überlassen – auf dem Foto oben sieht man sie kreisen. Weil allerdings die Geierbevölkerung von Mumbai durch diverse Umweltgifte, speziell das Schmerzmittel Diclofenac, fast ausgestorben ist, funktioniert dieses Ritual nicht mehr sonderlich gut. Eine Zeitlang versuchte man sogar, Bengalgeier zu züchten – nicht nur für die Parsen, auch für die Beseitigung von verendeten heiligen Kühen. Derzeit gibt es Überlegungen, Sonnenkollektoren zu installieren, um den Verwesungsprozess zu beschleunigen – es kann inzwischen bis zu einem Jahr dauern, bis die Leichen dekarniert (entfleischt) sind. Die Knochen werden anschließend in der Mitte des Turms gesammelt, dort in Säure aufgelöst und durch verschiedenen Sand- und Kohlefilter geleitet. Und schließlich dem Meer zugeführt. (Freddie Mercury wurde übrigens feuerbestattet, elektrische Krematorien gelten als akzeptable Notlösung.)

Religionen, die ich noch nicht kannte 1

Montag, 7. März 2011

Jainismus. Nie gehört, aber das will bei Religionen ja nichts sagen. Es ist auch eine vergleichsweise kleine, gerade mal 4,5 Millionen Anhänger hat sie, fast alle in Indien. Jainisten sind sowas wie die Calvinisten von Indien, sie glauben, Erlösung müsse man sich selbst verschaffen, sonst tut’s keiner. Sie führen ein ungemein asketisches Leben, geprägt von drei Gesetzen: Gewaltlosigkeit gegenüber allen Lebewesen, Unabhängigkeit von unnötigem Besitz und Wahrhaftigkeit. Weder Tiere noch Pflanzen dürfen für sie sterben, deshalb kommen die meisten Berufe für sie nicht in Frage, nicht mal die Landwirtschaft (beim Pflügen könnten Würmer sterben). Sie sind strikte Vegetarier und essen kein Wurzelgemüse, auch keine Zwiebeln und keinen Knoblauch, weil deren Ernte den Tod der Pflanze bedeutet.

All das wusste ich vorher auch nicht, nur, dass es einen schönen Tempel in Malabar Hill geben soll, dem reichsten Stadtteil von Mumbai, ein paar Kilometer von meinem Hotel entfernt. Der kauert auch tatsächlich im Schatten von bewachten Apartmenthäusern, ein kleines Schatzkästchen von einem Tempel, alles andere als asketisch: eine Minaudiere in gut gelaunten Juwelentönen. Der Hauptraum ist gerade mal 60 Quadratmeter groß, mit schönem Kuppeldach. In den offenen Seitenflügeln kann man sich mit Wasser aus Messingeimern und –schalen die Füße waschen. Fotografieren? Aber gern, nur soll man bitte den Götterbildern dabei nicht den Rücken zukehren. Geht klar, ist nur fair.

Endlich: der erste ruhige Ort in Mumbai.

Nur gucken

Montag, 7. März 2011

Ich esse noch nicht, aber ich schaue zumindest schon mal hin… Es geht also bereits wieder gut, danke für die guten Wünsche!

Hochzeiten

Montag, 7. März 2011

Die taz berichtet heute über eine Millionenhochzeit in Delhi, und auch in meinem Hotel wird gefeiert. Heute morgen auf dem Gang vor meinem Zimmer: eine spontane Morning-after-Party. Alle Zimmertüren stehen offen, mehrere ältere Herren tanzen im Unterhemd mit einem Handtuch um den Bauch, Damen im Sari haben sich Stühle aus den Zimmern geholt. Hinreißend.