Eine Familiengeschichte

Noch eine Geschichte aus der Zeitung, die letzte, denn es reicht mir langsam mit diesem grimmigen Entsetzen, das mich jedes Mal befällt, wenn ich hier eine Zeitung aufschlage. Der dreijährige Faizal Shaikh wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Er trug überall am Körper Brandverletzungen von ausgedrückten Zigaretten, seine Geschlechtsorgane waren mit einem glühenden Messer bearbeitet worden, sein Oberschenkel gebrochen, seine Vorderzähne ausgeschlagen. Was war passiert?

Die Geschichte begann 2006, als seine Eltern, Rehana und Nasir, heirateten. Rehana reichte die Scheidung ein, die Familie ihres Mannes habe sie über dessen Geisteskrankheit im Dunkeln gelassen. (Offensichtlich eine arrangierte Ehe.) Zum Zeitpunkt der Trennung war Faizal acht Monate alt. Rehana heiratete daraufhin einen Taxifahrer, der bereits zwei Kinder hatte und ihren Sohn nicht akzeptieren wollte. Also ließ Rehana ihn in der Obhut ihrer Mutter und ihrer Schwester Suraiya.

Dann verlangten die beiden Schwestern ihres Ex-Mannes das Sorgerecht und erhielten es 2010. Rehanas Familie war anschließend jeder Zugang zu dem Jungen verwehrt. Ende Februar fand Suraiya das Kind vor ihrer Wohnung, wo die beiden Tanten väterlicherseits, eine laut Mumbai Mirror 30jährige Lehrerin und eine 30jährige schwangere Hausfrau (Zwillinge?), ihn abgelegt hatten. In besagtem Zustand. Sie sind inzwischen verhaftet worden, das Tatmotiv ist allerdings unklar. Es mag, spekuliert Suraiya, damit zusammenhängen, dass der Großvater des Jungen ihm seine Wohnung im Wert von 150.000 Rupien (2.400 Euro) überschrieben hat, weil sein Vater geistig behindert ist.

Es ist alles so unsäglich.

18 Antworten to “Eine Familiengeschichte”

  1. Marie Says:

    Ich hatte ja schon mal bemerkt, ich bin empfindlich, wenn’s um das Leid von Kindern geht. Ich möchte niemals nach Indien reisen. Was sind das für Seelen, die Kindern so etwas antun und nichts dabei empfinden?

  2. Uschi aus Aachen Says:

    Puh, harter Stoff. So fern, so fremd, so menschenverachtend.

  3. meike Says:

    So fern? Ich weiß nicht. Solche Fälle gibt es in Deutschland auch, dort sind es dann oft die eigenen Eltern. Was mich an diesem Fall so fassungslos machte, ist die grausame Zwangsläufigkeit, mit der die Geschichte ablief: arrangierte Ehe –> keine Ahnung von der Krankheit des Mannes -> Scheidung -> neuer Ehemann will das Kind aus der Vorehe nicht -> Kind wird abgeschoben -> Sorgerechts– und Eigentumsstreit -> Katastrophe. Was im Zeitungsbericht auch stand: wie Tante Suraiya erst mal zwischen mehreren Polizeistationen hin- und herlief, weil niemand sich zuständig fühlte.

  4. Nictom Says:

    Ich glaube auch, dass man eine ähnliche Geschichte hier in Europa lesen kann…
    Aber bei solchen Geschichten bin ich immer froh, dass meine Tante damals meinen Cousin und Cousine aus Indien adoptiert hat. Die beiden leben nun gesund und quietschfidel seit mind. 15 Jahren in Deutschland und haben keinerlei Erinnerungen an ihr Heimatland.
    Ihnen ist ein solches Schicksal wie diesem Jungen aus dem Artikel erspart geblieben, beide Kinder konnten damals wohl nicht von ihren Müttern aufgezogen werden.

    Ich hoffe, dass Sie sich die Geschichten und die tagtäglichen Erlebnisse nicht so sehr zu Herzen nehmen.
    Nach zwei Tagen Dehli wären wir beinahe schon zurückgeflogen…

  5. Elisabeth Says:

    Die Normalität des Grauens … ohne Hornhaut auf der Seele ist es für Mitteleuropäer unerträglich, und eigentlich wollen wir doch gar keine Hornhaut haben, sondern sensibel für die Nöte der Welt bleiben. Zurück bleibt wohl Ratlosigkeit und Sprachlosigkeit, und ich bin beeindruckt, wie tapfer Sie trotzdem Ihr Blog weiterschreiben, liebe Meike. Danke!

  6. Maroussia Says:

    Da wird mir schlecht.

  7. KatjaW Says:

    Unsagbar grausam. Dabei aber doch nur eine Geschichte von vielen. Ich könnte es nicht aushalten, darum lockt mich Indien auch nicht, da fehlten mir der Mut und Entdeckergeist. Aber darum geht’s ja wohl bei Ihrer Reise – eben auch Städte und Länder zu besuchen, die eben nicht unbedingt ein ‘schönes’ Reiseziel sind.

  8. edith Says:

    furchtbar. stand in dem artikel etwas darüber, wo der kleine junge jetzt weiter leben soll?

  9. Annette B. Says:

    Ich war vor exakt einem Jahr in Kathmandu, da gibt es solche Geschichten ebenfalls zuhauf. Deshalb bewundere ich die Arbeit der Hilfsorganisation Shanti Sheva Griha (www.shanti-leprahilfe.de), die sich nicht nur um Leprakranke kümmert, sondern auch um Menschen mit Behinderung, Waisen, Witwen und viele, viele andere. Es ist die größte private Hilfsorganisation in Nepal, gegründet von einer heute 66-jährigen Deutschen, Marianne Großpietsch. Wenn sie und Shanti nicht wären, würden unzählige Menschen im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Müll landen. Genau das macht man dort nämlich mit behinderten Neugeborenen oder mit Menschen, die im Laufe ihres Lebens erkranken, z. B. auch an Kinderlähmung (dort immer noch ein großes Problem, ebenso wie Lepra).
    Das, was in den Zeitungen steht, ist ja nur die Spitze eines riesigen Eisbergs. Es ist gut, wenn wir uns dieser Probleme immer mal wieder bewusst werden – auch wenn es weh tut und wenn unsere Möglichkeiten, daran etwas zu ändern, beschränkt sind. Irgendetwas tun kann man immer.

  10. Juta Says:

    Bei solchen Berichten weiss man nicht ob man weinen, oder vor Wut schreien soll.
    Mich macht so etwas fassungslos, ich kann die Artikel garnicht zu Ende lesen.
    Aber wie schon gesagt, so etwas gibt es auch in Deutschland.
    Ganz herzliche Grüße aus München. Juta

  11. Toni Says:

    Furchtbar. Aber wie einige hier schon schrieben: das Böse ist überall, nicht nur in Indien.

  12. Fabienne Says:

    Ja, fremdartig ist das sicher nicht, auch wenn hier in Deutschland allzugern beide Augen verschlossen werden bis es zu spät ist.
    Halten Sie durch!!

  13. EVELYN HOLST Says:

    Kann es sein, mein Herz, dass es dir in Indien nicht so gut gefällt und du heilfroh bist, wenn der Monat vorbei ist? Ich weiß allerdings von Freunden, dass die Großstädte in Indien schrecklich sind, es aber in ländlichen Gebieten sehr viel schöner sein soll.
    Deine Eli

  14. Heike Weltweit Says:

    Es passieren auf dieser Welt tagtäglich unfassbare schlimme Dinge – in Indien, in Deutschland, überall. Und es passieren tagtäglich schöne und hoffnungsvolle Dinge – auch in Indien, nur schaffen die es nicht so oft in die Schlagzeilen.

  15. Diana Says:

    mir wird schlecht wenn ich das lese!!!! muss dass sein, muss der junge so leiden, für eine geschichte für die er nichts konnte. mir tut es so leid. ich hole selber gleich meine kleine tochter von der tagesmutter und bin sowieso schon sehr besorgt bei all den nachrichten. aber egal wo, leider passiert es immer wieder.
    ich hoffe jetzt nur sehr, dass der junge in gute hände kommt. mir tut das so leid!!!!!!!!!!!!!!!
    kleiner, ich wünsche dir ganz ganz viel kraft und ganz liebe hände in die du jetzt hoffentlich kommst!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

  16. meike Says:

    Eine Ergänzung: diese Geschichte aus dem SZ-Magazin.

  17. Andras Says:

    Liebe Meike,
    wir können nicht alle Schicksale diese Welt ändern oder heilen, ich glaube es gibt eine Menge Schicksale von Babys die sogar schlimmer sind als das hier berichtet, trotzdem, als ich das gelesen habe, es hat mich sehr getroffen, ich bin die Tränen nah.
    Können wir irgend etwas tun um dieses Kind ein würdiges Leben zu ermöglichen?
    Ich weis, Geld ersetz nicht fehlende Liebe und kann Wunden nicht heilen, aber vielleicht hilft ein würdigen Zukunft zu haben und ein geordnetes Leben zu führen.
    Konkret:
    Wir möchten diesen Kind helfen, schnell und ohne Umwege.
    Deswegen möchte ich hier unter alle die diesen Blog lesen eine Spendenaufruf für diese Kind starten.
    Ohne Spende Bescheinigung, ohne irgend eine Hilfsorganisation die 50% verschlingt, einfach schnell und unkompliziert.
    Wir zahlen Ihnen auf Ihre Konto den Spende Betrag und Sie leiten es weiter an die Zuständige Stelle die dieses Kind Helfen kann, ist das Möglich? Das wäre meine Aufgabe an Sie für Munbai 

    Von unsere Seite können wir 100 € spenden, es ist nicht viel, aber wenn alle mitmachen könnte ein gute Betrag zusammen kommen.

    Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Kraft und eine schöne Zeit auf die Reise, leider wird Tokio nach dem Erdbeben heute wahrscheinlich auch kein Zuckerschlecken..
    Herzliche Grüße

  18. Restaurant am Ende des Universums Says:

    Wegen solcher und unzähliger anderer Dinge verachte und verabscheue ich die Spezies Mensch. Weil sie zu allem fähig ist. Wirklich zu allem.