Religionen, die ich noch nicht kannte 2

„Towers of Silence“ hieß es auf Google Map, das klang interessant und lag offensichtlich in einem Park mitten im Nobelviertel Malabar Hill. Also hin. Ich wurde gleich am Eingang von einer Wache abgefangen: „Sorry, ma’am. Nur für Parsen“.

Parsen sind eine religiöse Minderheit, Anhänger der Lehre von Zarathustra und deshalb im 9. Jahrhundert aus Persien – daher der Name – vertrieben worden. Kaum 90.000 gibt es heute noch, sie sterben aus, denn sie dürfen nur untereinander heiraten, akzeptieren keine Kinder aus Mischehen und auch keine Konvertiten. Parsen gehören wie die Jain zu den einflussreichsten Familien hier in der Stadt, der Großindustrielle Ratan Tata gehört zu ihnen, der Dirigent Zubin Metha – und auch Freddie Mercury, geborener Farrokh Bulsara, war Mitglied einer strenggläubigen Parsenfamilie auf Sansibar.

Weil für die Parsen Erde, Wasser und Feuer heilig sind, dürfen die nicht durch Beerdigungen verunreinigt werden. Also werden ihre Toten auf den Dächern der Towers of Silence, sechs stadionartigen Strukturen, den Geiern und Raben zum Fraß überlassen – auf dem Foto oben sieht man sie kreisen. Weil allerdings die Geierbevölkerung von Mumbai durch diverse Umweltgifte, speziell das Schmerzmittel Diclofenac, fast ausgestorben ist, funktioniert dieses Ritual nicht mehr sonderlich gut. Eine Zeitlang versuchte man sogar, Bengalgeier zu züchten – nicht nur für die Parsen, auch für die Beseitigung von verendeten heiligen Kühen. Derzeit gibt es Überlegungen, Sonnenkollektoren zu installieren, um den Verwesungsprozess zu beschleunigen – es kann inzwischen bis zu einem Jahr dauern, bis die Leichen dekarniert (entfleischt) sind. Die Knochen werden anschließend in der Mitte des Turms gesammelt, dort in Säure aufgelöst und durch verschiedenen Sand- und Kohlefilter geleitet. Und schließlich dem Meer zugeführt. (Freddie Mercury wurde übrigens feuerbestattet, elektrische Krematorien gelten als akzeptable Notlösung.)

11 Antworten to “Religionen, die ich noch nicht kannte 2”

  1. kaltmamsell Says:

    In John Irvings Roman “Son of the Circus” spielt ein konstant indignierter Parsi-Kellner eine Schlüsselrolle – falls Sie ein unernster Umgang mit dem Thema interessiert. (Ernsterer literarischer Umgang in “Such a Long Journey” von Rohinton Mistry.)

  2. Toni Says:

    Uuhh, das mit den Toten auf den Dächern, die von Geiern gefressen werden…aber eigentlich, wenn man drüber nachdenkt, gar nicht unschlau!

  3. Ines Schramm- Hartz Says:

    Liebe Meike,
    ganz kurz nur…ein riesen Lob u Tausend Dank
    Ich liebe Deinen blog…

  4. Tina aus OWL Says:

    Ich staune und lerne, sei es zum Thema Essen oder Religionen.

  5. Carla Says:

    Finde das super spannend, sehr interessant! Wie unterschiedlich man doch Leben und Sterben sehen, erleben, denken, interpretieren, gestalten kann.

    Ich bin jetzt schon gespannt auf Deine “10 Dinge, die ich in Mumbai gelernt habe”!

  6. Fabienne Says:

    Was es nicht alles gibt!

  7. Susanne Says:

    Das war gerade ein super Tipp für die Facharbeit meiner Tochter.Danke!

  8. Anne Urbauer Says:

    Liebe Meike,

    das ist so wahnsinnig interessant, ich klebe quasi an deinen Lippen. und vermute zugleich, dass das mit dem Bleiben-Wollen in Mumbai Zeit brauchen könnte. Whatever,

    Es ist so aufregend und inspirierend, can’t wait ro read more!

    Love
    Anne

  9. nelly fleckhaus Says:

    Gruselig. Aber auch das macht den Reiz Indiens aus. Wer sich nach Indien begibt, wird auf jeden Fall verwandelt wiederkommen. Wir haben bis jetzt nur das “Indien für Einsteiger” in Kerala erlebt.

    Bis zu unserer Abreise am 1. Dezember 2011 nach Goa werden wir noch Erfahrungsberichte von Indien-Reisenden sammeln. Um zu entscheiden, was wir uns “zumuten” wollen.

    Deine Blogs sind auf jeden Fall am interessantesten.

    viele Grüße

    Nelly Fleckhaus

  10. HollyGolightly Says:

    ich wollte auch grade zirkuskind von john irving empfehlen, für die dauer des auenthaltes, – aber das steht ja schon hier. ;)
    also einfach nur herzliche grüße.
    und das lachen nicht verlieren! das kommt einigen in mumbai abhanden.

  11. For 91 Days Travel Blog Says:

    Das mit den Geiern ist echt total abgefahren. Findest immer tolle Stories!