Wenn schon kein Tango…

Ich drücke mich immer ein bisschen um die Muss-man-gesehen-habens herum, schon weil ich keine Lust habe, meine 12 Städte als 12 To-Do-Listen zu betrachten. Deshalb war es heute auch ein ausgesprochener Zufall, dass ich im legendären Café Tortoni gelandet bin, dem ältesten Café des Landes. Ich war gerade auf dem Fußweg von San Telmo nach Hause, mir war nach einer Pause, da war dieses Café, und erst als ich drinsaß, merkte ich, wo ich eigentlich war. So sollte es immer sein.

Ach so: Es ist natürlich genau so toll, wie alle sagen.

Nachtrag: Das Tortoni gehört zu den derzeit 60 bares notables, Cafés, Bars, Billiardhallen, die von der Stadtverwaltung als besonders erhaltenswert ausgezeichnet sind. Dazu gehört übrigens auch, wie ich gerade gesehen habe, die so nett runtergerockte Bar Plaza Dorrego von neulich.

Gran Café Tortoni, Avenida de Mayo 825

Tick tack

Webguru Ole und ich haben beschlossen, die Uhr wieder rauszuschmeißen. Seitdem sie da ist, gibt es Probleme, unter anderem den Absturz der Seite gestern. Es kann sein, dass sich ein Trojaner dahinter verbirgt – sie scheint zumindest eine (tschuldigung, aber der muss jetzt sein) tickende Zeitbombe zu sein. Sorry, aber im Sinn der Sache…

Asado mi amor

Man könnte ein Asado mit einem Barbecue vergleichen, aber das wäre zuviel der Ehre für das Barbecue. Das argentinische Asado ist Ballett gegen die grobe Hopserei des Barbecue: die präzise Choreographie des Glutanschiebens, die Auf- und Abtritte von choripan (Chorizo im Brot), morcilla (Blutwurst), tira de asado (flache Rippe), tapa de asado (Hüftdeckel) und lomo (Filet), alle lässigerweise gleichzeitig auf den Grill gelegt und trotzdem nacheinander serviert und natürlich genau zum richtigen Zeitpunkt perfekt gegart – wie, wissen nur der Himmel und der asadero, der Grillmeister.

Das Asado, zu dem ich heute, am klassischen Sonntag, im Haus von Constanza Brunet eingeladen war, war nicht nur gastronomisch ein Hochgenuss. Am Tisch saß unter anderem Gérard Aimé (oben, rechts Mitte), der vor 35 Jahren den Pariser Verlag Alternatives gegründet hat, weil er keinen Verleger für das Buch fand, das er geschrieben hatte, Le Catalogue des Ressources (es wurde einer der größten Bestseller der Siebziger). Gérard ist gerade einen Monat als Passagier eines Frachtschiffs von Frankreich über Senegal und Sierra Leone (dort wurden europäische Schrottautos für den afrikanischen Markt abgeladen) nach Buenos Aires gefahren. Er macht so eine Fahrt jedes Jahr, „da habe ich endlich mal meine Ruhe“. An Bord gibt es kein Handy, kein Internet, kein Fernsehen, gar nichts. Genau die Monotonie, die er zum Schreiben braucht, er sitzt gerade an einem Polizeiroman.

Dann war da noch Paola Caretta, eine französisch-argentinische Produktionsassistentin beim Film, die Spanisch, Französisch, Englisch und Mandarin spricht, weil sie schon überall auf der Welt gelebt hat, und die auf meine Frage, wo sie sich zuhause fühlt, lange zögerte. Sie ist die einzige Einheimische, die ich getroffen habe, die Tango tanzt. Auch der, sagt sie, sei eine Fremdsprache, von der man oft nicht mal wusste, dass man sie spricht: in jenen Momenten nämlich, in denen einem zehn Minuten perfekte Kommunikation mit jemandem gelingen, den man noch nie gesehen hat und nie wiedersehen wird.

Das Gespräch mäanderte von Stéphane Hessel, dem 93jährigen Résistance-Veteranen, dessen Streitschrift „Empört Euch!“ sich bereits über eine Million mal verkauft hat, über die Paris-Fotos des Schweizer Fotografen Daniel Spoerri bis zur besten Dulce de Leche-Sorte („La Salamandra natürlich“). Zwischendrin gab es, wie es sich gehört, eine Runde Applaus für den asadero Guido. Es war ein Fest, in jeder Hinsicht.

Und dann holte die Gastgeberin Constanza, nachdem Paola sie lange genug genervt hatte, ihre Gitarre und sang ein paar Salsas.

Modern world

Das ist mal verdammt vorn dran. Auf der Mittelinsel der breitesten Straße der Welt, der Avenida 9 de Julio, gibt es eine Grünfläche mit eigener Facebook-Seite. Und die Stadtverwaltung von Buenos Aires hat dafür dieses stolze Schild aufgestellt. Sponsored by Mark Zuckerberg, keine Frage.

In meinem Element

Ah, schon besser. Bei solchen Angeboten dürfen Männer gern kleiner sein als ich. Dies ist Davin aus Alaska, der schon seit sechs Jahren in Buenos Aires lebt und hier, wie so viele Expatriates, gleich vier Jobs hat. Globale Software-Kundenbetreuung per Skype, Social Media-Beratung des argentinischen Weinverbandes, Werbefilmschauspieler (nächste Woche fliegt er nach Costa Rica, um dort einen Spot für einen polnischen Energydrink zu drehen – ja, die Welt ist voller Möglichkeiten) und Sommelier (mag er nicht so) bzw. wine guy des 6-Zimmer-Boutiquehotels Miravida Soho in Palermo. Dorthin hatte mich Besitzer und Ex-Kollege Cornel Faltin, langjähriger Washington-Korrespondent für Hamburger Abendblatt und Berliner Morgenpost, zu einer Weinprobe eingeladen. Ich kenne Massen von Journalisten, die eines Tages ein kleines Hotel eröffnen wollen – und keinen, der es tatsächlich getan hat. Bis auf Cornel. Das Miravida Soho gehört ihm seit Dezember 2009 und ist immer gut gebucht dank bester Empfehlungen im Tripadvisor – alles könnte so schön sein, sagt er, wenn nicht die argentinische Bürokratie mit ihrem kafkaesken Formularwahnsinn wäre.

Ein Grund mehr, noch ein Weinchen aufzumachen, und davon stehen hier viele, viele gute. Tintenfarbene Malbecs, ein wunderbarer Cabernet Sauvignon von Viña Cobos und ein toller Torrontés von Donald Hess, der dem Lichtkünstler James Turrell ein Museum in der Nähe seines Weinguts Colomé gebaut hat. Schöner Abend, spannende Gespräche.

Miravida Soho Hotel, Darregueyra 2050, Buenos Aires 1425

Honigkuchenpferd tanzt Tango

Zweite und letzte Tanzstunde. Kein Kommentar. Aber die Schuhe sind hübsch, oder? Die flachsten, die ich finden konnte.

Und jetzt?

Ich kann mich einfach nicht entscheiden, was soll ich mir heute Abend bloß angucken: eine Komödie, „um unaufhörlich zu lachen“? Eine Revue mit natürlichen Schönheiten? Zwei klassische Angebote auf der Avenida Corrientes, der Bücher- und Theatermeile.

To go/para llevar

Ich habe keine Ahnung, wie die Porteños das Ganze überleben. Um 22 Uhr zu Abend essen (dickes Steak, ordentlich viel Malbec), am nächsten Morgen schon wieder drei medialunas zum café con leche, zu Mittag ein paar Empanadas, ein halbes Pfund Eis pro Tag – und damit die Wartezeit bis zum Abendessen nicht allzu lang wird, auf dem Heimweg von der Arbeit noch schnell eine Pizza einschieben. Kein Wunder, dass Schönheits-OPs hier staatlich gefördert werden; mit legalen Mitteln kann man sein Gewicht jedenfalls nicht halten.

Die Pizza- und Pastakultur hat die Stadt den italienischen Einwanderern zu verdanken, wobei Italiener wie mein Klassenkamerad Pirro, der Alitalia-Pilot i.R., nur die Augen verdrehen, wenn man die Worte Pasta und Argentinien in einem Satz benutzt. Auch Pizza ist hier eine eher freie Interpretation: Es ist nicht so sehr Teig mit Käsebelag als vielmehr Käse mit Teigunterlage. Sei’s drum: Einer der bekanntesten Pizzaläden der Stadt, Pizzeria Güerrin, liegt bei mir direkt um die Ecke, und heute habe ich ihn endlich getestet, porteño-style.

Und das geht so: Klar kann man auch im ersten Stock im Restaurant essen, lustiger aber ist der Imbiss im Erdgeschoss. Normalerweise ordert man ein Stück für umgerechnet einen Euro an der Kasse (ich natürlich, gierig, eine ganze Pizza zum Mitnehmen) und dazu ein Glas Moscato, süßen roten Muskateller. Und stellt sich dann zu den anderen Essern an die Stehtische. Während ich auf meine Pizza wartete, trank ich meinen Moscato, flirtete radebrechend mit dem cajero, dem Kassierer, und bekam nach zehn Minuten eine dampfende Pizza liebevoll in Karton, Papier („seit 1932“) und Schnur eingepackt.

Der Pizzateig ist relativ hefelastig, wer Mozzarella mag, kommt auf seine Kosten, wer satt werden will, auch. Ich hatte das Ding zuhause in zehn Minuten verputzt.

Pizzeria Güerrin, Corrientes 1368

Don’t cry for me

Nein, ich mache keinen Urlaub, erkläre ich immer wieder. Ich arbeite. Ich mache dasselbe wie in Deutschland: Ich schreibe meine diversen Kolumnen plus die eine oder andere Reportage. Eigentlich arbeite ich sogar mehr denn je, ich tue das alles nur bei besserem Wetter.

Oft komme ich nicht mal aus dem Haus (wenn man die vier Stunden in der Sprachschule nicht mitrechnet), ich verbringe ganze Tage am Schreibtisch. Wenn dann allerdings der Schreibtisch wie in diesem Fall ein vier Meter langer Esstisch mit Blick auf die abendliche Avenida Callao (und mit Ohr auf ihr Hupkonzert) ist, wenn meine Schreibtischlampe aussieht wie die hier links und mein Weg zum Kühlschrank über Bodenmosaiken führt, dann… Schön, dann mache ich halt Urlaub.

Feierabend

Die Bar Plaza Dorrego in San Telmo, dem ältesten Stadtteil von Buenos Aires, ist völlig menschenleer, genau der Zustand, den ich bei Bars und Kneipen am meisten mag. Ich liebe nichts mehr als diese Zeit am Abend, in der nicht das Geringste los ist; in Deutschland wäre es 18 Uhr, hier ist es 20 Uhr. Man kriegt schnell ein Glas Wein gebracht von einem Kellner, den man beim Schwatzen unterbrochen hat, er stellt noch einen Teller mit Erdnüssen in Schale dazu und lässt einen ansonsten in Ruhe. Hier war schon jeder von Gardel bis Bill Clinton, ohne dass es der Bar geschadet hätte. Sie ist trotz der großen Fenster, durch die man auf die kleine Plaza Dorrego blickt, dunkel und auf angenehme Weise dreckig, ein ganz und gar vertrauter Ort, auch wenn man noch nie zuvor hier war. Hola, da kommt auch schon mein Dinner-Begleiter, mit dem ich hier für den Aperitif verabredet bin. Schade, er ist pünktlich. Ich hätte gern noch ein bisschen vor mich hingeträumt.

Bar Plaza Dorrego, Defensa 1098, täglich 8 bis 3 Uhr.