Abschiede
Den Club Habana hatten wir neulich schon mal: ein für Havanna-Verhältnisse luxuriöser Privatclub im Westen der Stadt mit Pool, Tennisplätzen, Fitnessclub, Restaurants und eigenem Strand. Von all dem waren wir an Annettes letztem Tag nur an letzterem interessiert – genauer an Sand, Meer, Besinnungslosigkeit. Das kann man auch als Nicht-Mitglied für 10 CUC pro Tag kriegen. Plus das prickelnde Gefühl mild dekadenter Exklusivität.
Es war wieder mal windig, also waren außer uns nur wenige am Strand. Was den Genuss nur erhöhte. Auf Sonnenliegen in Handtücher eingepackt aufs Meer starren, dabei so wenig wie möglich reden – gibt es eine schönere Art, den Tag zu vertrödeln?
Für die Rückfahrt in die Stadt klemmten wir uns zweifelnd auf die Rückbank eines schrottreifen Lada, der vor dem Club parkte – wer oder was hier Taxi ist, ist immer Verhandlungssache. Keine drei Kilometer lagen hinter uns, als in voller Fahrt plötzlich die Tür neben Annette aufschwang. Der Fahrer griff leicht gelangweilt nach hinten und schloss sie, ohne den Fuß vom Gas zu nehmen. Was jede normale Frau sofort zum Aussteigen bewogen hätte, brachte Annette nur zum Lachen, und mir wurde wieder mal klar, warum es mit uns, die wir uns vor diesen zwei Wochen eigentlich gar nicht richtig gekannt hatten, so gut klappte: Die Frau ist völlig unhysterisch. Dinge, die schief gehen, amüsieren sie eher – und liefern ihr eine Anekdote mehr. Sie trinkt Rum und isst 300-Gramm-Steaks wie ein Kerl und kann wie einer schweigen. Und sie trifft im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen: Gestern stromerte sie allein durch die Gegend, während ich mich mal wieder im Hotel Parque Central mit dem Internet herumärgerte. Zufällig kam sie am Teatro Mella vorbei, in dem am Abend das Eröffnungskonzert vom Jazzfestival stattfinden sollte, das wir ins Auge gefasst hatten. Sie radebrechte sich durch, erfuhr, dass es gegen alle Auskünfte wohl doch noch Karten gäbe und in eineinhalb Stunden die Kasse geöffnet würde, parkte sich erst mal vor einem Mojito in einem Café in der Nähe, kaperte zwei Stunden später Karten für uns und bescherte uns damit einen der tollsten Abende dieser letzten Wochen. Bei aller Liebe zum Alleinreisen – es ist verdammt angenehm, mal nicht immer nur selbst der Taktgeber zu sein, sondern sich auch einfach mal mitnehmen zu lassen. Ich habe es wirklich genossen.
Noch viel mehr genossen habe ich diese (für mich) Neuentdeckung: Gonzalo Rubalcaba. Er spielte nur zwei Lieder, und ich saß trotzdem auf der Vorderkante meines Sitzes. Sensationell.
Ab heute Abend bin ich für die letzte Kuba-Woche wieder allein und werde ziemlich viel arbeiten müssen – Endspurt vor Weihnachten, vom Schiff aus werde ich nichts schicken können und die Heimat-Redaktionen trommeln ein bisschen mit den Fingern. Schön: Fäusten. Annette hat mich durch ihr Hiersein gezwungen, einfach mal zwei Wochen Urlaub zu machen, und auch das war ganz großartig.
Filmreif
Die Calle 23, „La Rampa“, die Hauptstraße von Vedado, ist ein Paradies für Leute wie mich, deren Schwäche für bröckelnde Kolonialpracht höchstens noch von ihrer Schwäche für bröckelnden Sixties-Charme übertroffen wird. Allein die Kinos!
Ein Stück die Straße hinunter: Kubanische Filmplakate an Wänden und Decke des ICAIC (Instituto Cubano del Arte e Industria Cinematograficos).
Instituto Cubano del Arte e Industria Cinematograficos, Calle 23 # 1555, 1040 Havana
Und rundherum: tolle Apartmenthäuser. Jedenfalls von außen.
Dulces
Coppelia ist keine Eisdiele, sondern eine Eiskathedrale. Das gigantische Gebäude von 1966 in einem kleinen Park an der Vergnügungsmeile La Rampa wirkt, als ob es frisch aus einer freundlichen und vanilleliebenden Galaxie gefallen wäre. Drinnen bilden sich zu allen Tageszeiten lange Schlangen vor den Verkaufsständen mit in der Regel zwei bis drei Geschmacksrichtungen (heute: Minze und Haselnuss), draußen gibt es eine wartezeitfreie Zone für Leute, die in CUC zahlen. Die Kugel für Touristen kostet umgerechnet stolze 1,10 Euro, das so heißbegehrte Eis ist allerdings nicht das Dollste. Muss es auch nicht, der Bau ist Schau genug.
Coppelia, Calle 23 y I
Geschmacklich sehr viel besser fährt man im Museo del Chocolate, das mehr Café und Schokoladenladen als Museum ist: Eine Tasse vorzügliche dickflüssige & dampfende kubanische Schokolade kostet etwa 40 Cent und macht pappsatt und glücklich für Stunden.
Museo del Chocolate, Mercaderes esq. Amargura
Liebesgeschichten
Der Stadtplan zeigt ein streng kariertes Straßenraster westlich der Altstadt, doch das Auge sieht überbordende Üppigkeit: prächtige Villen in prächtigen Alleen mit Südstaatenflair, dazwischen Fifties- und Sixties-Apartmentblöcke. Die ganze Gegend wirkt, wie so vieles in Havanna, eingefroren in einer anderen Zeit – in Vedado ist es allerdings fast unmöglich zu sagen, in welcher Zeit.
Am Paseo steht die Casa de la Amistad, ein Palazzo mit faszinierenden Art Deco-Räumen, darin unter anderem Arbeiten von René Lalique. Das Haus – heute ein Kulturzentrum – war ein Geschenk des Zuckerbarons Juan Pedro Baró an seine Geliebte Catalina Lasa. Die beiden waren in den Zwanzigern das Skandalpaar der kubanischen Gesellschaft: Señora Lasa war die erste Frau Südamerikas, die sich (für Baró) scheiden ließ, beide mussten für einige Zeit das Land verlassen und ließen sich in Paris mit Segen des Papstes trauen. Das Paar liegt auf dem Friedhof Cristóbal Colon in einem minimalistischen Marmormausoleum, ebenfalls von Lalique designt. Catalina Lasa wurde unter sechs Metern Beton begraben – um ganz sicher zu gehen, dass ihr liederlicher Leib nicht in derselben Erde ruht wie rechtschaffene Ehefrauen. Als Baró zehn Jahre später starb, wurde er seinem Wunsch gemäß stehend neben ihr beigesetzt, um immer über sie wachen zu können.
Wir saßen in der Bar der Casa für den ersten Mojito des Tages, in einem prächtigen Raum mit einem schmiedeeisernen Wandrelief, in den das Licht von drei Seiten strömt. Überall im Haus finden sich Anleihen an ägyptische Baukunst, für den Putz wurde sogar Sand vom Nil importiert.
Ein paar Häuser weiter am Paseo: ein weiterer Palast, in deutlich mieserem Zustand als die Casa de la Amistad. Auf der Veranda sitzt ein älterer Mann, der uns freundlich heran winkte: Achille, ein Fotograf, der das alte Haus als Studio und Dunkelkammer nutzt. Er führt uns durch die Räume, die auch schon Kulisse für Dreharbeiten waren, und zeigt uns seine Fotos, die er in einer alten Aktentasche aufbewahrt. Am Ende schenkt er uns einige Abzüge: historische Fotos von Fidel und Che und von Parteiveranstaltungen, die er in den Sechzigern gemacht hat. Ein Schatz, der Mann und sein Geschenk.
Strandtag
Havanna hat keinen eigenen Stadtstrand, man muss schon etwa 20 Kilometer in Richtung Osten fahren, um sich mal für einen Tag lang zu machen. Vom Zentrum aus pendelt ein Bus zu den Playas del Este, wir stiegen gleich an einer der ersten Haltestellen in Santa Maria del Mar mit dem schönen Namen Hotel Tropicoco aus. Es blies ein ordentlicher Wind, ein Seegang mit roter Flagge machte das Baden unmöglich – wurscht, Hauptsache Meer. Wildes Meer. Die Haare flatterten, die Palmen wedelten, irgendwann begann es auch noch zu regnen, und das machte die ganze Sache sogar noch besser: Alles flüchtete sich unter das Blätterdach einer Strandbar, inklusive einer Drei-Mann-Kapelle. Zwei steife Mojitos später war dies einer der besten Tage in Havanna. Nach der Rückfahrt auf der Hinterbank eines rumpeligen alten Jeeps sogar einer der allerbesten.
Großartig auch die Antwort des Barkeepers auf meine Frage, ob es hier irgendwo eine Toilette gäbe: „The tree or the sea.“
Mein wunderbarer Friseursalon
Der Tipp kam von einer Kollegin: „Wenn du in Havanna bist, ein Supertip – der Friseurladen ARTECORTE von Papito – ich verrate nichts, Du wirst ausflippen, Deine E.“ Der Supertip war gar nicht so leicht zu finden: In Reiseführern kommt er nicht vor, die Straße, in der er sich befinden soll, wird gerade umgepflügt, ein Schild war auch weit und breit nicht zu entdecken. Also einfach mal die Treppe hoch und überall klopfen. Im zweiten Stock öffnete sich eine Tür – zu einem Friseurparadies. 100 Jahre alte Friseurstühle und Barbierinstrumente, antike Scheren, Rasierer, Spiegel und Bürsten, an den Wänden Gemälde, die alle im weitesten Sinn mit Haarschneiden zu tun haben – claro, dass ich mich sofort zu einem Haarschneidetermin angemeldet habe, es war sowieso mal wieder fällig.
Papito – Gilberto Valladeres – ist weitaus mehr als ein Friseur, er ist das Epizentrum der kubanischen Friseurszene. Neben seinem eigenen Salon und Haarschneidemuseum organisiert er verschiedene Kommunalprojekte, darunter ein jährliches Friseurfestival, bei dem hunderte von Haarkünstlern die Plaza Vieja in einen gigantischen Outdoor-Salon verwandeln. Schwieriger war es, mit ihm darüber zu verhandeln, wie viel Zentimeter bei mir runter sollten – er spricht kein Englisch, mein Friseur-Spanisch tendiert gegen null („mas corto, pero no demasiado“ – und was heißt „schräger Pony“ auf spanisch?). Irgendwann habe mich einfach per internationaler „Mach einfach mal“-Geste ganz in seine Hände begeben: Et hätt ja immer jot jejange. Und tatsächlich: Er hat mir einen der besten Schnitte dieses Jahres verpasst, fabelhafte Arbeit. Hier auf dem Foto noch mit Gewalt glattgeföhnt, aber gegen meine Wellen hat keine Friseur-Frisur lange eine Chance.
Hinterher saßen Annette, eine Kubanerin und ich einträchtig in einem winzigen Raum im Obergeschoss, die Kubanerin für neue Wimpern, wir für Mani- und Pediküre, immer hübsch reihum. Ein großartiger Morgen.
Salon de Belleza Artecorte, calle Aguiar 10 entre Peña Pobre y Avenida de las Misiones, Habana Vieja
Flagge zeigen
Eines der skurrileren Kapitel der amerikanisch-kubanischen Geschichte spielt am Malecon: Im Januar 2006 wurde in den Fenstern des fünften Stocks der ehemaligen US-Botschaft (heute: United States Interests Section) ein LED-Schirm aufgestellt, der kontinuierlich Anti-Castro-Sprüche abspulte („Wie schade, dass alle Leute, die wüssten, wie man dieses Land regieren sollte, Taxifahrer sind“). Einen Monat später schlug Fidel zurück und ließ ein Feld von 138 Fahnenmasten vor das Gebäude pflanzen – und schon war nichts mehr von den Botschaften zu sehen.
Im grünen Bereich
Raus aus der Stadt, das habe ich ja nun gelernt, bewährt sich immer. Also haben wir mal wieder einen Fahrer angeheuert, Alfredo, der uns in den Nationalpark Viñales fuhr, etwa 200 Kilometer westlich von Havanna. Viñales ist berühmt für seine mogotes, dicht bewachsene Kalksteinfelsen, die aussehen, als ob sie jemand von sehr weit oben in die grüne Landschaft hat fallen lassen. Rund um die Felsen verteilt stehen die palmengedeckten Hütten zum Trocknen des Tabaks, der hier in der braunroten Erde wächst; Zentrum des Tals ist das verschlafene Städtchen Viñales mit seinen schönen pastellfarbenen Veranden.
Die Cueva del Indio, eine der größeren Tropfsteinhöhlen der Gegend. Man kann etwa 300 Meter zu Fuß hineingehen, die restlichen 400 Meter sind nur per Boot über einen unterirdischen Fluss zu bewältigen. Die Höhle wurde in den Zwanzigern wiederentdeckt, nachdem sie Jahrhunderte zuvor als Indianer-Versteck vor spanischen Kolonialisten und Grabstätte gedient hatte.
Das Mural de la Prehistoria, eine von Fidels schlechteren Ideen: die Auftragsarbeit eines Diego-Riviera-Schülers, eine 120 mal 180 Meter große Monstrosität auf der Seite eines mogote. Man steht davor und denkt: All die schöne Farbe, wofür hätte man die nutzen können.
Eine Hütte am Straßenrand mit unwiderstehlichem Angebot: frische Ananas und Papaya, junge Kokosnuss, mit Honig serviert – und einer der besten Drinks der Insel. Eine Grapefruit wird ausgehöhlt, mit etwas Honig wird der Saft gezogen, dann noch Ananassaft und einen guten Schuss weißen Rum hinein, ein Strohhalm wird aus dem Dach gezogen und zugeschnitten – fertig. Und köstlich.
Mittagspause im Paladar von Bimba und Julia, einem reizenden jungen Ehepaar. Sie sind erst kürzlich in dieses Haus gezogen, haben im Hinterhof eine Hütte für ihr Privatrestaurant gebaut und im winzigen Haus auch ein Gästezimmer eingerichtet. Wie immer in Paladars rührte mich, wie liebevoll aus nichts etwas gemacht wird: die Gurkenscheiben mit Radieschen geschmückt, selbstgemachte Malanga-Chips mit grobem Salz. Das Huhn war köstlich – und Hummer hätte es auch gegeben, an dem man sich in Kuba für relativ schmales Geld wirklich satt essen kann.
Der Tabakfarmer Montecito vor seinem Feld. Im Januar werden die Pflanzen schon eineinhalb Meter hoch sein, dann wird geerntet. 90 Prozent der Blätter liefert er an den Staat für die Cohiba-Produktion, den Rest behält er für sich und rollt daraus seine eigenen Zigarren, die er unter der Hand an Touristen verkauft. Uns wollte er gleich welche in die Taschen stecken, ich habe abgewinkt und lieber einen Guayabita getrunken, eine lokale Rumspezialität mit eingelegten Guaven. Überhaupt, der Rum – ich stehe hier auf Kuba kurz vor dem Alkoholismus. Wer hätte gedacht, dass Rum das tollste Getränk der Welt ist?