Liebesgeschichten

Der Stadtplan zeigt ein streng kariertes Straßenraster westlich der Altstadt, doch das Auge sieht überbordende Üppigkeit: prächtige Villen in prächtigen Alleen mit Südstaatenflair, dazwischen Fifties- und Sixties-Apartmentblöcke. Die ganze Gegend wirkt, wie so vieles in Havanna, eingefroren in einer anderen Zeit – in Vedado ist es allerdings fast unmöglich zu sagen, in welcher Zeit.

Am Paseo steht die Casa de la Amistad, ein Palazzo mit faszinierenden Art Deco-Räumen, darin unter anderem Arbeiten von René Lalique. Das Haus – heute ein Kulturzentrum – war ein Geschenk des Zuckerbarons Juan Pedro Baró an seine Geliebte Catalina Lasa. Die beiden waren in den Zwanzigern das Skandalpaar der kubanischen Gesellschaft: Señora Lasa war die erste Frau Südamerikas, die sich (für Baró) scheiden ließ, beide mussten für einige Zeit das Land verlassen und ließen sich in Paris mit Segen des Papstes trauen. Das Paar liegt auf dem Friedhof Cristóbal Colon in einem minimalistischen Marmormausoleum, ebenfalls von Lalique designt. Catalina Lasa wurde unter sechs Metern Beton begraben – um ganz sicher zu gehen, dass ihr liederlicher Leib nicht in derselben Erde ruht wie rechtschaffene Ehefrauen. Als Baró zehn Jahre später starb, wurde er seinem Wunsch gemäß stehend neben ihr beigesetzt, um immer über sie wachen zu können.

Wir saßen in der Bar der Casa für den ersten Mojito des Tages, in einem prächtigen Raum mit einem schmiedeeisernen Wandrelief, in den das Licht von drei Seiten strömt. Überall im Haus finden sich Anleihen an ägyptische Baukunst, für den Putz wurde sogar Sand vom Nil importiert.

Ein paar Häuser weiter am Paseo: ein weiterer Palast, in deutlich mieserem Zustand als die Casa de la Amistad. Auf der Veranda sitzt ein älterer Mann, der uns freundlich heran winkte: Achille, ein Fotograf, der das alte Haus als Studio und Dunkelkammer nutzt. Er führt uns durch die Räume, die auch schon Kulisse für Dreharbeiten waren, und zeigt uns seine Fotos, die er in einer alten Aktentasche aufbewahrt. Am Ende schenkt er uns einige Abzüge: historische Fotos von Fidel und Che und von Parteiveranstaltungen, die er in den Sechzigern gemacht hat. Ein Schatz, der Mann und sein Geschenk.

7 Antworten to “Liebesgeschichten”

  1. Franka Says:

    Dieses GRÜN.
    Dieses TÜRKIS:

    Diese Begegnungen.

    ♥ Franka

  2. Gunda Solleric Says:

    Unfassbar und unglaublich. ALLES… Die Bilder, die Geschichten dazu… und dass diese herrliche Reise doch zu einem Ende finden wird. Ohne ein wirkliches Ende. Danke dafür, Ihnen liebe Meike.
    Ich bin sicher, wir dürfen mit Sicherheit wieder mal mit Ihnen auf die Reise gehen. Bzw. fahren. Wir alle. Im blauen Bus.
    Leider muss ich mich hier verabschieden. Farewell.

  3. nico Says:

    meike
    was du immer alles findest :-D oder es findet dich.. wie man es nimmt

    sand vom nil,…
    es ist alles unfassbar interessant!!
    ich bin total traurig, dass es bald vorbei ist :-(

  4. Elisabeth Mardorf Says:

    @nico: Vielleicht ist diese Reise bald vorbei, aber Meike ist doch nach “vor mir die welt” nicht “aus der Welt”. Sie wird doch vermutlich und hoffentlich – wo auch immer – als Journalistin weiter arbeiten und und uns viele spannende und vergnügliche Einsichten bescheren?
    @Meike: danke für Deine erstaunlichen Entdeckungen in Kuba. Schneegrüße aus Deutschlands Norden,
    Lisa

  5. Christer Says:

    Hast du nur einen Fotografen getroffen, der dir sein Dunkelkammer und “seine” historischen Bilder gezeigt hat? Beim Vierten habe ich……

  6. Gabriella Says:

    Herrlich dieser “shabby chic”, die alten Gebäude haben einen Charme, das ist nicht zu glauben.
    Bei uns wurde leider viel zu viel abgerissen, oder schlecht renoviert.
    Das Mausoleum ist allerdings schon ein bißchen sehr dekadent, auch wenn von Lalique designt.
    Noch viel Spaß!

  7. Hanne Says:

    Diese Bilder!!!!! Der Knaller ist das Foto mit der Espresso-Kanne…..Und die lichtdurchfluteten Bilder! WUNDERSCHÖN :) Danke