





Kaum war ich im Apartment, klingelte das Telefon. „Hi, this is Carl“, sagte eine erstaunlich junge Stimme. „Ich weiß, es ist spät, aber haben Sie Lust, noch mal hochzukommen? Ich kann Ihnen ein bisschen was zur Wohnung sagen.“ Carl ist mein Vermieter, er wohnt im 15. Stock und hat dort auch sein Büro. Außerdem hat er Wohnungen in Wien und London, von dort ist er am Nachmittag eingeflogen und direkt zu einem Empfang der schwedischen Botschaft gefahren. Morgen früh geht er ins Fitnessstudio, danach hält er einen Vortrag. Am Sonntag fliegt er schon weiter. Der Mann ist 87.
Carl ist Dr. Carl Djerassi, der Vater der Antibabypille, einer der berühmtesten Chemiker der Welt. Er lehrt seit 1959 in Stanford, hat 21 Ehrendoktorwürden, nebenbei mehrere Romane und Theaterstücke geschrieben und besitzt eine der größten Paul Klee-Sammlungen der Welt, die im San Francisco Museum of Modern Art hängt. Dass ich jetzt in seinem Gästeapartment wohne, ist eigentlich Zufall. Ich hatte vor einigen Wochen auf der Suche nach einer Wohnung in London auf Sabbatical Homes eine entdeckt, die mir gefiel. Vermieter: Carl Djerassi. Ungläubig mailte ich ihn an: „Sind Sie DER Carl Djerassi?“ Er grantelte zurück: „Ich heiße Carl Djerassi, ich weiß nicht, ob DER.“ Wir wurden uns aber schnell einig, und als er auf dem Blog entdeckte, dass ich auch nach San Francisco kommen würde – er liest deutsch, er ist in Wien geboren –, bot er mir seine Gästewohnung an. Die hat er bislang noch nie vermietet, es sei ein Versuch, sagte er.
Die Wohnung könnte nicht besser liegen: im schönsten Haus von Russian Hill, dem Bellaire Tower von 1930. Von hier aus kann man praktisch überallhin zu Fuß gehen. Ich war heute, am ersten Tag, im City Lights Bookshop (dazu morgen mehr), im Café Trieste (dazu auch), an der berüchtigt kurvigen Lombard Street, am Ghiradelli Square, auf eine Clam Chowder und ein halbes Dutzend Austern an der Bar von Sabella & La Torre an der Fisherman’s Wharf, habe in der Ferne Alcatraz gesehen und kann jetzt eigentlich wieder abreisen. Scherz. Denn die Golden Gate fehlt mir noch.
San Francisco ist nach dem Monat Delirium in Hawaii wie ein Nebelhorn. Ich bin hellwach und unternehmungslustig, bin für einen Monat Mitglied im Crunch Gym geworden, habe einen Personal Trainer namens Rusty angeheuert und einen Kühlschrank voll Health Food gekauft. Bis zum Ende des Monats sollen drei Kilo runter, jetzt ist Schluss mit lustig. Hier ist allerdings bloßes Spazierengehen schon wie eine mittlere Bergwanderung, die Filbert Street, zwei Block von mir entfernt, hat eine Steigung von 31,5 Prozent. Rusty und ich werden eine Menge Spaß haben.

