
Er stand so da, als ich heute in aller Herrgottsfrühe den Strand von Hunakai entlangging, und schaute aufs Meer, seinen Hund neben sich. Als ich eine Viertelstunde später zurückkam, stand er immer noch an der gleichen Stelle, in der gleichen Haltung. Und ich sagte zu ihm das, was mir vor ein paar Wochen eine Kellnerin gesagt hat: „I’d like to be you.“ Er guckte genau so verwirrt wie ich damals und antwortete: „Well, thank you.“
Denn das ist das Harte am Reisen: Es ist kein Leben. Keine Zugehörigkeit, keine Kontinuität. Ich gehe an einem hawaiianischen Strand spazieren und denke schon jetzt an San Francisco, an Logistisches wie Schlüsselübergabe und Mietwagenrückgabe, an Abschiedsessen und erste Kontaktaufnahmen am nächsten Ziel. Und bin auf einmal furchtbar müde.
Ich will mal wieder ein Zuhause, dachte ich, ich will endlich wieder einen Garten. Ich will den Dingen beim Wachsen zugucken, ich will denselben Baum im Frühjahr, im Sommer und im Herbst sehen. Meinetwegen sogar im Winter. Ich will mich nicht ständig verabschieden müssen und ich will nicht immer wieder von Null anfangen. Ich bin es leid, allein um die Erde zu kreiseln. Mir fehlen meine Freunde, die blöden alten Witze, die Rituale. Ich will, ohne Licht zu machen, nachts zum Kühlschrank finden, ich will von der Bäckereiverkäuferin „Wie immer?“ gefragt werden. Ich will Verantwortung und Verpflichtung. Ich will einen Hund, mit dem ich jeden Tag raus muss. Ich will jeden Sonntag mit den gleichen Zeitungen auf meinem Sofa verbringen, und ich will, dass Nils Minkmar was in der FAS geschrieben hat.
Sonntag, der 29. Mai 2011: der Tag, an dem ich zum ersten Mal nach Hause wollte. Nein, das stimmt nicht ganz: der Tag, an dem ich zum ersten Mal irgendwo bleiben wollte. Irgendwo einrasten. Irgendwo hingehören. Ich setzte mich in den Sand und guckte aufs Meer. Das hilft in der Regel immer: Das Meer ist mein Breitbandtherapeutikum, der große Knotenlöser. Ganz ruhig, sagte das Meer, dreh jetzt nicht durch. Du hast alle Freiheiten der Welt, du kannst machen, was du willst. Genau das kommt dir zwar gerade wie ein Fluch vor, aber atme erst mal ein bisschen, und du wirst schon sehen. Fahr jetzt zurück nach Waikiki, kauf dir auf dem Heimweg eine New York Times wie jeden Sonntag, koch dir eine Kanne Tee wie jeden Tag, und du wirst schon sehen. Flieg weiter nach San Francisco, und du wirst merken: Du wirst auch dort wieder das Vertraute finden und das Vertraute tun. Du bringst dein Zuhause überall mit hin. Ich blieb noch ein bisschen sitzen und hörte dem Meer ein bisschen länger zu. Denn das Meer hat immer Recht.
Der Mann mit dem Hund ging nach Hause. Er trug etwas in der Hand, das ich erst nicht erkennen konnte. Dann aber doch: einen Plastikbeutel mit Hundekot.
Möglicherweise will ich ja doch keinen Hund.