10 Dinge, die ich in Hawaii gelernt habe

1. Viele neue Ukulele-Lieder.
2. Es heißt „in Hawaii“, nicht „auf Hawaii“, weil es ein Bundesstaat aus 137 Inseln ist. Es gibt zwar eine Insel namens Hawaii, die allerdings in Hawaii selbst nur Big Island heißt. Ansonsten ist hier alles ganz, ganz einfach.
3. Polynesian Paralysis – auch bekannt als Waikiki-Wachkoma – ist die komplette Unfähigkeit, auch nur einen Finger zu rühren. Es ist eine ernstzunehmende Krankheit, von der man bitte niemals geheilt werden möchte.
4. Ich mag es deutlich lieber, deutscher Zeit voraus zu sein als ihr hinterherzutrotten (machen Sie was draus, Dr. Freud). 12 Stunden hinter der deutschen Zeit zu leben hat mich in einen Stupor sondergleichen versetzt: Der Tag ist ja eh schon vorbei…. Vielleicht war es aber auch wirklich nur Punkt 3.
5. Man kann jeden Tag Ananas essen, ohne dass es einem über ist.
6. Und Mai Tai trinken.
7. Man darf sein Leben nicht damit verschwenden, Erwartungen zu erfüllen. Nicht mal die eigenen. Es ist erstaunlich, wie wenig man wirklich muss, wenn man mal ernsthaft darüber nachdenkt.
8. Offenbar gibt es nur die Wahl zwischen Fernweh und Heimweh; Weh ist immer dabei. Schön – wenn ich schon wählen darf, entscheide ich mich vorerst für Heimweh.
9. Man hat jederzeit das Recht, die Regeln, die man selbst aufgestellt hat,
10. zu ändern.

Nur so

Mit trauriger Seele von dannen

Soweit ich weiß, wird meist Djerba für die Insel der Lotophagen aus der Odyssee gehalten. Nach einem Monat Hawaii habe ich da eine ganz andere Theorie.

Wer nun die Honigsüße der Lotosfrüchte gekostet,
Dieser dachte nicht mehr an Kundschaft oder an Heimkehr:
Sondern sie wollten stets in der Lotophagen Gesellschaft
Bleiben, und Lotos pflücken, und ihrer Heimat entsagen.
Aber ich zog mit Gewalt die Weinenden wieder ans Ufer,
Warf sie unter die Bänke der Schiffe, und band sie mit Seilen.
Drauf befahl ich und trieb die übrigen lieben Gefährten,
Eilend von dannen zu fliehn, und sich in die Schiffe zu retten,
Daß man nicht, vom Lotos gereizt, der Heimat vergäße.
Und sie traten ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke,
Saßen in Reihn, und schlugen die graue Woge mit Rudern.
Also steuerten wir mit trauriger Seele von dannen.

Homer, Odyssee, IX. Gesang

Stand up

Genau so muss es zu Ende gehen. Mit ein paar Leuten am Tisch sitzen, bis es völlig dunkel ist über der Bucht von Kaneohe, nach einem entspannten Nachmittag mit Paddeln und Stand Up Paddle Surfing (mein erstes Mal – und ich bin nicht einmal runtergefallen, ein Wunder).

Dieter hat gekocht, Lucie hat gesungen, und wenn es eine vorläufige Antwort auf die Frage „Was mache ich hier eigentlich?“ gibt, dann vielleicht die: Leute zusammenbringen, die sich sonst wahrscheinlich nicht getroffen hätten. Es ist ein Anfang.

Memorial Day

Ich habe meinen Kollegen vom Hamburger Raum der Stille versprochen, unterwegs immer mal wieder nach Orten der Stille Ausschau zu halten. Dieser hier war einer der bisher größten: das Valley of the Temples, ein wunderschön angelegter Friedhof im Schatten der Ko’olau-Berge, auf dem Buddhisten, Shintoisten, Protestanten und Katholiken friedlich nebeneinander liegen. Keine Grabsteine, sondern Platten, geschmückt von den schönsten hawaiianischen Blumen. Es war ein seltsam irrealer Anblick – als ob lauter Blumensträuße auf einer Wiese stünden. Und dazwischen dies:

Ganz still war es übrigens nicht. Von Zeit zu Zeit klang die große Glocke vom Byodo-In-Tempel herüber, die man immer anschlägt, bevor man den Tempel betritt. Sehr bewegender Ort, so einen habe ich heute gebraucht.

Byodo-In Temple, 47-200 Kahekili Highway, Kaneohe

Nowhere

Er stand so da, als ich heute in aller Herrgottsfrühe den Strand von Hunakai entlangging, und schaute aufs Meer, seinen Hund neben sich. Als ich eine Viertelstunde später zurückkam, stand er immer noch an der gleichen Stelle, in der gleichen Haltung. Und ich sagte zu ihm das, was mir vor ein paar Wochen eine Kellnerin gesagt hat: „I’d like to be you.“ Er guckte genau so verwirrt wie ich damals und antwortete: „Well, thank you.“

Denn das ist das Harte am Reisen: Es ist kein Leben. Keine Zugehörigkeit, keine Kontinuität. Ich gehe an einem hawaiianischen Strand spazieren und denke schon jetzt an San Francisco, an Logistisches wie Schlüsselübergabe und Mietwagenrückgabe, an Abschiedsessen und erste Kontaktaufnahmen am nächsten Ziel. Und bin auf einmal furchtbar müde.

Ich will mal wieder ein Zuhause, dachte ich, ich will endlich wieder einen Garten. Ich will den Dingen beim Wachsen zugucken, ich will denselben Baum im Frühjahr, im Sommer und im Herbst sehen. Meinetwegen sogar im Winter. Ich will mich nicht ständig verabschieden müssen und ich will nicht immer wieder von Null anfangen. Ich bin es leid, allein um die Erde zu kreiseln. Mir fehlen meine Freunde, die blöden alten Witze, die Rituale. Ich will, ohne Licht zu machen, nachts zum Kühlschrank finden, ich will von der Bäckereiverkäuferin „Wie immer?“ gefragt werden. Ich will Verantwortung und Verpflichtung. Ich will einen Hund, mit dem ich jeden Tag raus muss. Ich will jeden Sonntag mit den gleichen Zeitungen auf meinem Sofa verbringen, und ich will, dass Nils Minkmar was in der FAS geschrieben hat.

Sonntag, der 29. Mai 2011: der Tag, an dem ich zum ersten Mal nach Hause wollte. Nein, das stimmt nicht ganz: der Tag, an dem ich zum ersten Mal irgendwo bleiben wollte. Irgendwo einrasten. Irgendwo hingehören. Ich setzte mich in den Sand und guckte aufs Meer. Das hilft in der Regel immer: Das Meer ist mein Breitbandtherapeutikum, der große Knotenlöser. Ganz ruhig, sagte das Meer, dreh jetzt nicht durch. Du hast alle Freiheiten der Welt, du kannst machen, was du willst. Genau das kommt dir zwar gerade wie ein Fluch vor, aber atme erst mal ein bisschen, und du wirst schon sehen. Fahr jetzt zurück nach Waikiki, kauf dir auf dem Heimweg eine New York Times wie jeden Sonntag, koch dir eine Kanne Tee wie jeden Tag, und du wirst schon sehen. Flieg weiter nach San Francisco, und du wirst merken: Du wirst auch dort wieder das Vertraute finden und das Vertraute tun. Du bringst dein Zuhause überall mit hin. Ich blieb noch ein bisschen sitzen und hörte dem Meer ein bisschen länger zu. Denn das Meer hat immer Recht.

Der Mann mit dem Hund ging nach Hause. Er trug etwas in der Hand, das ich erst nicht erkennen konnte. Dann aber doch: einen Plastikbeutel mit Hundekot.

Möglicherweise will ich ja doch keinen Hund.

Somewhere

Ich versuche gerade, Somewhere over the rainbow auf der Ukulele zu lernen. Und stieß dabei auf dies. Seufz – nicht mehr in diesem Leben.

On the road

Eine der schönsten Strecken auf der Insel führt von Kailua im Osten an den North Shore. An einem Samstag – speziell am Samstag des langen Memorial Day-Wochenendes – fährt man zwar Kolonne, aber es gibt Schlimmeres als hinter Pickup-Trucks voller Surfer zu fahren. Und es gibt definitiv Schlimmeres als den Anblick rechts neben der Straße:

Ich mag, dass hier alles aussieht wie frisch an den Strand gespült, inklusive der Kirchen (an dieser mag ich besonders, dass der Gottesdienst morgens auf englisch, nachmittags auf tonganisch abgehalten wird).

In der Höhe von Kahuku stehen die ersten Shrimp-Buden des North Shore. Die berühmteste ist der graffitibesprühte Giovanni’s Original White Shrimp Truck. Das Menü ist übersichtlich: 1. Shrimps in Knoblauch und Öl, 2. Shrimps mit scharfer Sauce („sehr scharf – Umtausch ausgeschlossen“), 3. Shrimps mit Zitronenbutter. Ich nahm den Klassiker, Nummer 1 – ein Pappteller mit einem Dutzend köstlicher, dicker, saftiger Scampi: Instant-Glück.

Mein Ziel (und das der Jungs im Pickup vor mir): Hale’iwa, das größte Städtchen an der Nordküste (2500 Einwohner), Heimat der berühmtesten Welle der Insel, wenn nicht gar der Welt: der Banzai Pipeline – allerdings nur im Winter, jetzt, im Sommer, plätschert es eher. Es heißt, dass man die Güte des Surfs immer daran ablesen kann, wie voll es in der Stadt ist. Wirkt sie verlassen, sind sie alle auf dem Wasser. Heute: pickepackevoll. Die Schlange vor Matsumoto Shave Ice: einmal ums Haus. Mist. Und jetzt?

Shave Ice ist im Unterschied zu sonstigen hawaiianischen Spezialitäten – der berüchtigte Plate Lunch kommt mit Herzinfarkt-Garantie – geradezu Diätnahrung. Es ist nichts anderes als feingeraspeltes Eis (wir reden hier von gefrorenem Wasser) von der Konsistenz frisch gefallenen Schnees, über das Sirups in allen Regenbogenfarben gegossen werden. Wer das am besten und buntesten macht, darüber wird heftig gestritten: Matsumoto? Island Snow? (Immerhin geht Obama immer hierher.) Waiola? (Immerhin gehe ich immer hierher.)

Mein Gott. Es sind wirklich nur noch zwei Tage.

Das große Gelb

Das Schöne am Alleinreisen ist ja, dass man seinen Obsessionen völlig ungehindert folgen kann. Nach Magnum gestern heute also: Ananas. Ich habe hier praktisch jeden Tag eine gegessen, Gegenwehr wäre auch sinnlos gewesen bei Stücker 50 Cent und diesem überwältigenden Duft. Auf Oahu befindet sich die historische Dole Plantation, die heute in klassisch amerikanischer Tradition ein Vergnügungspark mit Huschebahn und Riesenshop ist.

Was für eine Heidenarbeit Anbau und Verarbeitung dieser Stachelbiester ist, wird erst hier klar: Ananas werden von Hand gesetzt und geerntet, bis zur ersten Frucht dauert es 20 Monate. In fünf Jahren gibt es nur drei Ernten, und die finden in Schutzkleidung statt, die eher einer Rüstung gleicht. Obwohl die Ananas ursprünglich gar nicht auf Hawaii heimisch war, wurde sie durch die Plantagen und die damals weltgrößte Konservenfabrik von James Dole zu einem Exportschlager: Einst kamen 75 Prozent der Weltproduktion aus Hawaii.

Kleiner Ananas-Grundkurs: Die Reife erkennt man nicht an der Farbe, sondern am Duft. Wenn sich aus dem Inneren der Krone leicht ein Blatt zupfen lässt: kaufen! Ananas reift kaum nach, es lohnt sich also nicht, eine unreife zu kaufen und liegen zu lassen. Auf der Dole-Plantage werden die reichlich verteilten Probierstücke übrigens mit Li Hing Powder bestreut, einer für mich sensationellen Entdeckung: Extrakt von salzig eingelegten Pflaumen und Lakritz, süß-salzig-sauer und einfach suchtbildend.

Dole Plantation, 64-1550 Kamehameha Hwy., Wahiawa

Must See TV II

So könnte es gehen. So könnte ich es vom Sofa runter schaffen: indem ich mich auf die Suche nach meiner Jugendliebe mache. Thomas (seufz) Sullivan (das wussten Sie nicht, oder?) Magnum IV. (doch wirklich, der IV.). Oder auch: Magnum. Es war, man sieht es gleich, in jener grauen Vorzeit, als Magnum noch kein Eis am Stiel war und die wirklich Großen unter ihren Nachnamen (Bogart, Gandhi etc.), nicht ihren Vornamen (Madonna, Lena etc.) bekannt waren.

Jede Generation hat ihr eigenes Hawaii-Bild, glaube ich. Ich bin mit Magnum und Hawaii Five-O aufgewachsen, die Generation davor vermutlich mit Elvis Presley, Tiki-Kitsch und „Es gibt kein Bier auf Hawaii“, die danach mit Lost. Ich wollte also wissen: Wo hat Magnum seinen roten Ferrari 308 GTS geparkt? Wo hat Higgi-Baby Apollo und Zeus auf ihn gehetzt?

Die Antwort: 41-505 Kalanianaole Highway, kurz vor Waimanalo. Es ist ein Privatgrundstück, aber ein paar hundert Meter weiter gibt es einen Strandzugang, und man kann bei Ebbe auf der Rückseite der Grundstücke bis zu Robin’s Nest waten. Was ich natürlich getan habe.

Viel zu sehen ist nicht. Um so besser, denn die Phantasie wird allemal mehr dadurch befeuert, dass man auf Zehenspitzen am hinteren Zaun steht und versucht, das Gästehaus von Robin Masters, Magnums Zuhause, durch die Botanik zu sehen. Erfolglos.

Was allerdings geht: im hauseigenen Gezeitenpool baden. Das Meer ist hier von ein paar Steinmauern zu einem Plantschbecken gezähmt und so unverschämt türkis, dass man sich einfach reinschmeißen muss. Ich war nicht allein, eine Familie aus North Dakota war ebenfalls mit hochgekrempelten Hosen hierher gepilgert. Wir knipsten uns gegenseitig vor Rabbit’s Island und kamen uns auf allerglücklichste Weise wahnsinnig albern vor.