Rollkommando

Ein absolutes Muss. Auf so was reagiere ich ja in der Regel allergisch, besonders dieses Jahr. Nein, ich muss überhaupt nichts, das ist ja das Schöne. Harry’s Café de Wheels, eines dieser absoluten Müsse von Sydney, habe ich also bis jetzt immer umschifft. Harry’s ist eine Imbissbude, die es seit 1945 gibt und die inzwischen unter Denkmalschutz steht. Zu essen bekommt man hier das, was es immer schon gab: Pies, darauf einen Schlag Erbsenpüree und Bratensauce. Seit 1970 gibt es außerdem Hot Dogs – eine Revolution damals! –, unter anderem die Hausspezialiät „Hot Dog de Wheels“ mit Chili con carne, Erbsenpüree, Knoblauch-Zwiebeln, Käsesauce und Chili-Sauce. Ganz recht, alles zusammen.

Den Namen verdankt der Laden der Tatsache, dass laut damaliger städtischer Vorschrift temporäre Imbissbuden jeden Tag mindestens 30 Zentimeter bewegt werden mussten. Also mussten Räder dran. Und wie das immer so ist mit kulinarischen Legenden: Zuerst kamen die Matrosen (Harry’s steht direkt vor dem Marinehafen von Woolloomooloo, eine Bucht von der Oper entfernt), dann die Taxifahrer, dann die Nachtschwärmer, dann alle anderen. Im Lauf der Jahre unter anderen Frank Sinatra, Marlene Dietrich, Robert Mitchum. Elton John hat hier sogar mal eine Pressekonferenz gegeben. Fotos der berühmten Besucher sind an die Außenwände der Bude genagelt.

Und wie ist er nun, der berühmte Pie von Harry? Ich habe die pure Variante bestellt (es war morgens kurz nach neun am Australia Day, da war mir noch nicht nach Erbsenpüree), und zwar einen Curry Pie, formlos serviert auf einem Stück Pergamentpapier (die Servietten entnimmt man einer Kleenex-Box). Eine faustgroße Kalorienbombe, mit sehr gutem mageren Fleisch in einer dicken braunen Sauce, tatsächlich ziemlich lecker. Und ziemlich scharf. Ich war jedenfalls hinterher erstens satt und zweitens wach.

An der Ecke Cowper Wharf Roadway und Brougham Road, Woolloomooloo, NSW 2011

Feierabend

Über die Flughunde hier in Sydney hatte ich ja schon berichtet. So sehen sie aus, wenn sie Feierabend haben, nämlich den ganzen Tag: entspanntes Abhängen in den Bäumen des Botanischen Gartens.

Und wenn wir schon beim Abhängen sind: Dieses Spinnennetz in einer der vielen, vielen ruhigen Ecken des Botanischen Gartens hatte einen Durchmesser von gut anderthalb Metern, damit könnte man locker auch einen Flughund fangen. Gottlob war die Urheberin weit und breit nicht zu sehen.

Feiertag

Es war neblig heute morgen, richtig dicke Suppe über der Bucht. Es fühlte sich wieder mal wie ein „Uuuund Action!“-Moment an, so als ob die Tourismusbehörde die große Nebelmaschine angeschmissen hatte. Denn heute ist Australia Day, der Nationalfeiertag, und er sollte am frühen Morgen mit einer Aborigine-Zeremonie im Botanischen Garten beginnen. Das Woggan-ma-gule schildert den Schöpfungsmythos des Yuin-Stammes, die Geburt von Mann und Frau aus einem Felsen und die Entstehung von Himmel und Erde. Der Nebel als Background über der Bucht kam da gerade recht.
Mir sind solche Folkloreveranstaltungen in der Regel unangenehm: Menschen, die sich für Touristen in Windeln werfen und mit Schlamm beschmieren, um hinterher nach Hause zu ihrer Mikrowelle zu fahren – nicht mein Ding. Hinzu kommt, dass dieser ganzen Veranstaltung etwas Feigenblattartiges anhaftete. Australia Day feiert die Landung der First Fleet am 26. Januar 1788, einer Flotte von elf britischen Schiffen mit 756 Strafgefangenen, die hier siedeln sollten – aber eben nicht in einem Niemannsland. Die Aborigines nennen den Tag deshalb Invasion Day. Dafür dürfen sie heute ein bisschen durch die Gegend hüpfen, bevor sich die Sydneysider dann erleichtert ihren Barbecues und Picknicks zuwenden. Also dem eigentlichen Sinn des Australia Day.

So dachte ich mir das jedenfalls. Und war dann überrascht, wie entspannt und unpeinlich das Ganze war. Der Stammesälteste, Uncle Max Dulumunmun Harrison, brachte alle Zuschauer dazu, erst mal aufzustehen und sich in Richtung Osten zu wenden, um der Sonne Respekt zu zollen. Sehr schön. Die Gesänge und Tänze – okay. Wie Tänze halt so sind. Aber als dann hinterher alle herumstanden, ihre Babys im Arm, und mit ihren Freunden plauderten, das war sehr rührend. Sehr selbstverständlich. Wenig vergangenheitsselig, sondern ganz und gar gegenwärtig.

And now for something completely different

Das Fernsehprogramm ist wieder mal mies? (Mit Ausnahme der Dschungelshow, versteht sich.) Dann möchte ich dringend den Berliner Internetfernsehsender Network Awesome empfehlen. Hier werden jeden Tag sechs neue Perlen der TV-Historie eingespeist. Heute zum Beispiel die Muppet Show mit Liberace (einer der Höhepunkte: Miss Piggy als Melina Mercouri mit Sirtaki tanzenden Schweinen), eine Dokumentation über Josef Beuys und eine Show mit Sammy Davis Jr. Gestern eine Folge von „What’s My Line?“, dem amerikanischen Vorbild von „Was bin ich?”, mit Yves Saint Laurent als zu Erratendem. Absolut suchtbildend.

via sugarhigh

Grandma Takes a Trip

Ich muss vorausschicken, dass ich Vintage-Shops hasse. Das kratzige Polyester, der Geruch, der einfach nicht aus den Klamotten rauszukriegen ist… Gegen diesen allerdings konnte ich mich nicht wehren. Grandma Takes a Trip hat eine sensationelle Sammlung von Fifties bis Seventies, alles tragbar und unkarnevalesk. Nein, ich habe nichts gekauft. Aber ich habe verdammt viel anprobiert. Für Vintage-Freunde ist Surry Hills das Mekka, an der Ecke Crown/Goulburn Street gibt es noch mehr Läden.

263 Crown Street, Surry Hills, NSW 2010

Eintauchen

Es hatte ein bisschen geregnet, die meisten waren schon nach Hause gegangen. Das Bad würde ohnehin in einer Stunde schließen. Die wenigen, die noch geblieben waren, saßen unter dem weißen Dach und leerten die letzten Tupperdosen. Unten im Pool schwammen nur ein drahtiger 60jähriger und zwei Frauen, die nach jeder zweiten Bahn ein Schwätzchen am Beckenrand hielten. Hier war er, der Ort, den ich die ganze Zeit gesucht hatte: einer dieser magischen, romantischen, verlorenen Plätze, an denen die Zeit gnädig vorbeigegangen ist.

Wylies Baths ist ein Meerwasserpool, ähnlich wie das Icebergs am Bondi Beach unmittelbar an den Pazifik angrenzend, aber ein in den Stein gehauenes Naturbecken und anders als das Icebergs angenehm verwahrlost. Der Boden und die Seiten des Beckens sind von Algen bewachsen, die Holzgeländer, die ins Wasser führen, wackeln schon ein bisschen. Oben auf der Holzplattform, die sich auf hohen Streben über den Pool erhebt, gibt es einen wunderschönen alten Umkleideraum (unten rechts), in dem ich lange ganz allein saß. Der stillste Ort, den ich bislang in dieser Stadt erlebt habe.

Das Bad ist 1907 vom Langstreckenschwimmer Henry Alexander Wylie gegründet worden, mit Hilfe eines speziellen Pachtvertrags für ein Grundstück unterhalb des Hochwasserpegels. Seine Tochter Wilhelmina und ihre beste Freundin Fanny Durack waren die ersten Australierinnen, die an einem olympischen Schwimmwettkampf teilnahmen, 1912 in Stockholm. Man wollte sie erst nicht fahren lassen, erst als sie ihre Reisekosten selbst übernahmen, bekamen sie die Erlaubnis zur Teilnahme. Fanny (links) holte Gold auf 100 Meter, Mina Silber.

Natürlich bin ich geschwommen. Schön langsam, weil ich mein Glück nicht fassen konnte, sanft getragen vom Salzwasser und von der Geschichte. Hinterher mit nassen Haaren ein Sandwich vor dem kleinen Kiosk. Einer der besten Tage in Sydney bisher.

Fanny Durack liegt übrigens auf dem Friedhof von Waverley begraben, den ich auf dem Weg hierher überquert hatte, mit ewigem Blick aufs Meer. Und wenn sich jetzt auch noch herausstellt, dass sie die Urgroßmutter von Terry Durack war, dann…

Wylies Baths, Neptune Street, Coogee, NSW 2034

Hoteltipp 1

Coogee ist einer der ruhigeren Strände in Sydneys Osten, etwa sechs Kilometer südlich vom Bondi Beach. Wer nicht direkt im Zentrum wohnen will, sondern Seebad-Atmosphäre bevorzugt (wohlgemerkt: eine halbe Stunde Busfahrt vom Circular Quay entfernt), ist hier gut aufgehoben. Besonders gut im Dive, einem familiär geführten 16-Zimmer-Hotel mit großer Frühstückstafel, einem Hund namens George und einer fetten Katze, die immer auf dem Schreibtisch in der Rezeption liegt: „unser Briefbeschwerer“. Alle Zimmer haben eine Kochnische. Einige haben Meerblick, die sind allerdings auch die lautesten.

Dive Hotel, 234 Arden Street, Coogee, NSW 2034

Ruhe sanft

Bislang wollte ich immer auf dem Cimetière du Vieux-Chateau im südfranzösischen Menton nahe der italienischen Grenze beigesetzt werden, hoch über der Stadt mit Blick aufs Meer, möglichst direkt neben dem britischen Rugby-Erfinder Reverend William Webb Ellis, dessen Grabinschrift seinen „fine disregard for the rules“ lobt. Aber seit heute gibt es eine Alternative: den Friedhof von Waverley, gelegen auf dem Küstenspazierweg von Bondi nach Bronte Beach.

Ins Schwimmen kommen

Vielleicht ist dies der berühmteste Swimmingpool der Welt, zumindest aber einer der schönsten: Der Bondi Icebergs Club, 1929 von ein paar Rettungsschwimmern gegründet, die auch im Winter trainieren wollten, liegt am südlichen Rand von Bondi Beach. Um Clubmitglied zu werden, musste man sich ursprünglich strengen Regeln unterwerfen: fünf Jahre lang an drei von vier Sonntagen Rennen schwimmen, dann war man drin. Ich wollte die ganze Zeit schon hierher, aber heute gab es einen richtig guten Grund: ein Charity-Schwimmen zugunsten der Opfer der Queensland-Flutkatastrophe. Klassischer Aussie-Humor: Schwimmen für Flutopfer, aber der Club war voll mit gut gelaunten Leuten, die zu Schwimmwettkämpfen antraten. Wild gemischt: Da schwamm eine Vierjährige neben Mitgliedern der Basketballmannschaft Sydney Kings.

Der Pool liegt unschlagbar schön: direkt am Meer, das alle paar Minuten dramatisch ins Becken schwappt. Es stört niemanden – die äußere Bahn ist zwar nicht leicht zu schwimmen, aber ein prima Training.

Bondi Icebergs, 1 Notts Avenue, Bondi Beach, NSW 2026

Freitagabend-Fleischbeschau

Freitagabends geht man aus, ich natürlich auch. Und zwar in den heißesten Club der Stadt, die Fleischerei Victor Churchill. Victor Churchill ist eine Legende, sie produzieren fantastisches Fleisch, bis zu 600 Tagen gras- oder getreidegefüttert, alles vor Ort trockengereift. Das Fleisch hängt für etwa vier Wochen mitten im Laden in einer Kühlkammer vor einer Wand aus Himalayasalz. Es verliert dabei etwa ein Drittel an Gewicht, gewinnt aber ungemein an Geschmack. (Ich schwöre, das ist der letzte Fress-Eintrag für lange Zeit, es wird mir schon selbst peinlich.)

Es ist die mit Abstand schönste Schlachterei, die ich je gesehen habe. Irgendwo zwischen Boutique und Museum, eine Vision aus Marmor, Zebranoholz, Leder und Kupfer. Der Laden hat selbstverständlich schon alle Designpreise abgeräumt.

Aber dafür war ich nicht gekommen. Sondern, um schlachtern zu lernen.


Vier Männer und ich – David, Phlebologe/Spezialist für Gefäßerkrankungen, Stuart, Medizintechniker, Mark, Hotelier, Luke, Weißichnicht – wurden in der hohen Kunst des Fleischhauens angelernt, anschaulich erklärt von David II, dem Schlachter. Roastbeef, T-Bone-Steak: Wo sitzt das, wie kriegt man das aus einem Hinterviertel geschnitten? Wir haben Messerschleifen und Schlachterknoten gelernt, damit der Braten schön in Form bleibt. Und auch, wie lange ein Steak nach dem Braten wirklich ruhen muss, damit sich die Säfte setzen. Nämlich laaaaaange. So lange, dass man schon denkt, es wird kalt. Wird es nicht, es wird nur gut.