Eintauchen

Es hatte ein bisschen geregnet, die meisten waren schon nach Hause gegangen. Das Bad würde ohnehin in einer Stunde schließen. Die wenigen, die noch geblieben waren, saßen unter dem weißen Dach und leerten die letzten Tupperdosen. Unten im Pool schwammen nur ein drahtiger 60jähriger und zwei Frauen, die nach jeder zweiten Bahn ein Schwätzchen am Beckenrand hielten. Hier war er, der Ort, den ich die ganze Zeit gesucht hatte: einer dieser magischen, romantischen, verlorenen Plätze, an denen die Zeit gnädig vorbeigegangen ist.

Wylies Baths ist ein Meerwasserpool, ähnlich wie das Icebergs am Bondi Beach unmittelbar an den Pazifik angrenzend, aber ein in den Stein gehauenes Naturbecken und anders als das Icebergs angenehm verwahrlost. Der Boden und die Seiten des Beckens sind von Algen bewachsen, die Holzgeländer, die ins Wasser führen, wackeln schon ein bisschen. Oben auf der Holzplattform, die sich auf hohen Streben über den Pool erhebt, gibt es einen wunderschönen alten Umkleideraum (unten rechts), in dem ich lange ganz allein saß. Der stillste Ort, den ich bislang in dieser Stadt erlebt habe.

Das Bad ist 1907 vom Langstreckenschwimmer Henry Alexander Wylie gegründet worden, mit Hilfe eines speziellen Pachtvertrags für ein Grundstück unterhalb des Hochwasserpegels. Seine Tochter Wilhelmina und ihre beste Freundin Fanny Durack waren die ersten Australierinnen, die an einem olympischen Schwimmwettkampf teilnahmen, 1912 in Stockholm. Man wollte sie erst nicht fahren lassen, erst als sie ihre Reisekosten selbst übernahmen, bekamen sie die Erlaubnis zur Teilnahme. Fanny (links) holte Gold auf 100 Meter, Mina Silber.

Natürlich bin ich geschwommen. Schön langsam, weil ich mein Glück nicht fassen konnte, sanft getragen vom Salzwasser und von der Geschichte. Hinterher mit nassen Haaren ein Sandwich vor dem kleinen Kiosk. Einer der besten Tage in Sydney bisher.

Fanny Durack liegt übrigens auf dem Friedhof von Waverley begraben, den ich auf dem Weg hierher überquert hatte, mit ewigem Blick aufs Meer. Und wenn sich jetzt auch noch herausstellt, dass sie die Urgroßmutter von Terry Durack war, dann…

Wylies Baths, Neptune Street, Coogee, NSW 2034

17 Antworten to “Eintauchen”

  1. Toria Says:

    Wenn man solche Orte für sich findet, vergisst man sie auch nie wieder. Schön, dass Sie in Sydney so schnell fündig geworden sind. Ich wünsche Ihnen für die nächsten Städte genauso viel Glück!!

  2. Claudia Says:

    da würde ich mich auch wohlfühlen

  3. Astrid Wehling Says:

    Liebe Meike, es ist schade, dass du nur noch so kurz hier in der Stadt bist, denn solche verträumten Orte gibt es so manche in Sydney, wenn auch nicht so sehr in Innenstadtnähe. Aber du kannst ja nochmal wiederkommen ;-)

  4. Franziska Says:

    Hallo Meike,
    HAMMERSCHÖN,
    jeder Bericht ist eine kleine Auszeit in unserem heute wieder sehr grauen Kiel!
    Allerdings : akute Reisefieber-Ansteckungs-Gefahr !!
    gute Nacht nach Sydney
    Franziska

  5. Anna Says:

    Schön!!!! Und falls vor der nächsten Stadt noch ein kleiner Ausflug drin liegt: Southern Ocean Lodge auf Kangaroo Island – ein wildes, edles, unfassbar schön gelegenes Paradies auf Erden. Tobendes Wasser, kreischende Vögel, Wind….. http://www.southernoceanlodge.com.au

  6. Gisela Says:

    Liebe Meike, “der stillste Ort” ? Dabei denkst Du sicher auch an unseren Raum in HH ?
    Kaum zu fassen, daß die Zeit in Sydney in einer Woche schon Geschichte ist. Aber bis dahin sind wir – Deine Fans – weiter Deine Begleiter. Ich wünsche Dir noch wunderschöne Tage! Gisela

  7. Susanne Says:

    Liebe Meike (ich spreche Sie einfach mal mit dem Vornamen an, habe ich doch das Gefühl, Sie zu kennen oder macht das die ungezwungene Athmosphere Sydneys aus?),
    meist kann ich es kaum erwarten, morgens Ihren Blog zu öffnen. Sie nehmen mich mit in die Welt, zu mir bisher unbekannten Orten, Sie eröffnen neue Horizonte, auch wenn es draussen noch so sehr schneegriselt und im gewohnten Alltagseinerlei alles seinen Gang geht.
    Heute schwamm ich mit Ihnen mit Pool und konnte ein wenig das Sommer-Salzwasser-Feeling auf der Haut erahnen.
    Schluss mit der Wehmut, schlicht und einfach DANKE für Ihre Einblicke in andere Welten. Ich freue mich schon auf die nächsten 11 Monate mit Ihnen, auch wenn Sie meine “alte Heimat” Südafrika leider leider nicht besuchen.
    Herzlichst,
    Susanne

  8. meike Says:

    @Gisela: Ja, ich musste an den Raum der Stille denken. Dieser hier hatte eine ähnliche Wirkung auf mich.

  9. Eva Says:

    Danke für die unglaublich schönen “Wasserbilder”. Und diese Wasserlandschaft ist einfach traumhaft und verstärkt meine Sensucht bei diesem trüben Wetter hier in Deutschland nach SOMMER. Man kann die Stille beim Anblick des Bildes förmlich spüren.
    Für die nächsten Reisen wünsche ich Ihnen weitere besondere Entdeckungen, die Sie netterweise mit uns teilen (macht doch sicher viel Arbeit, oder?)

  10. Konstanze Says:

    ein Traum, dieses Bad – wie schön, dass Sie das gefunden haben.
    Es erinnert mich ein bisschen an das Seebad Rapperswil am Zürichsee aus dem Jahr 1940, das ich letzten September nach der Hauptsaison “gefunden” habe: Eintritt frei (auch in der Hauptsaison), keine Leute, gebrauchte “DU”-Hefte zum Leihen oder Kaufen, Sinalco in den Originalflaschen und ein Kioskbetreiber, der nichts zu tun hat und einem drum mal eben gegen den Hunger ein Spiegelei brät und zusammen mit einem dicken Kanten Brot auf dem Steg serviert. Sollten Sie also irgendwann außerhalb der Badesaison in der Nähe von Zürich sein, unbedingt mit dem Schiff hinfahren – das ganze ist mit dem Auto nicht erreichbar (sehr sympathisch): http://www.badi-info.ch/rapperswil-seebad.html
    Ich finde ja, man muss ein Seebad einfach lieben, das auf seiner Homepage mit dem Spruch “Seebad Rapperswil – besucht von Schriftstellern und Poeten” wirbt?! ;-)

  11. Petra Schober Says:

    Und, liebe Meike sind Sie nicht doch noch auf dem Weg von Wylies Bath über den Strand zum Dive Hotel über den Ring meines Mannes gestolpert?

    Wir beneiden Sie! Und wünschen noch eine tolle Woche!!

    Vielleicht finden Sie noch Zeit für eine Morgen-Yoga-Stunde in Whylies Bath!

  12. meike Says:

    @Petra: Ich habe jeden Quadratzentimeter abgesucht… Vielen Dank für die tollen Hinweise, ich werde auch in der SZ darüber schreiben, wenn es für Sie okay ist. Es ist nämlich eine wirklich besonders tolle Art zu reisen, den Empfehlungen anderer nachzugehen.

  13. Inga Says:

    Welches ist das Plugin an der Seite ? Das will ich auch!

  14. Beate Says:

    Ach ist das schön.
    Dein Blog ist Urlaub für meinen Kopf.

  15. Petra Says:

    Liebe Meike,
    was immer Sie schreiben – wir werden es gerne lesen.

  16. Melanie Says:

    Liebe Meike,

    sind das nicht auch die beiden Damen, die den (modernen) Badeanzug erfunden haben- also einen Badeanzug ohne unförmigen Wollsack im Beinbereich? Das fand ich grade aus modischer Sicht ganz Interessant ;)

    mit freundlichen Grüßen!

  17. Vor mir die Welt… » Die Welt ist ein Dorf… Says:

    [...] …und dann auch noch gefangen in einer Zeitschleife. Nachtrag zum Beitrag eben: Doris Duke, Besitzerin des schönsten Orts von Oahu, befreundet sich auf ihrer Hochzeitsreise 1935 mit Duke Kahanamoku. Der gewann 1912 bei den Olympischen Spielen in Stockholm Gold auf 100 Meter. Bei den Frauen siegte damals Fanny Durack, die mir am schönsten Ort von Sydney begegnet ist. [...]