
L’Onze de Setembre
Sonntag, 11. September 2011Heute ist… heute halt. Und außerdem noch L’Onze de Setembre, der katalanische Nationalfeiertag (gefeiert wird eine Niederlage: der Tag, als Katalonien 1714 seine Unabhängigkeit verlor). Auf dem Weg zu den Feiern habe ich mir gratuliert, dass ich so spät aufgestanden bin. Denn die berühmten Castellers, die ich mir eigentlich anschauen wollte, kamen mir bereits aufgeräumt auf der Straße entgegen, und bei ihrem Anblick habe ich mich erschreckt, denn da fiel es mir erst auf. Wirklich? An einem Tag wie diesem einen Turmbau aus Menschen anschauen, der vielleicht fällt? Einiges sollte man für sein eigenes Seelenheil besser lassen.
Vor zehn Jahren saß ich in einem Hotel in Tunesien vor dem Fernseher, heulte Rotz und Wasser und bewegte mich dann die nächsten zwei Tage nur noch zum Essen von ihm weg. Heute musste ich raus, zumindest kurz. Und ging gleich wieder rein: Das katalanische Parlament hatte aus Anlass des Diada Nacional Tag der Offenen Tür, etwas, dem ich nie widerstehen kann.
Und, super!, das Parlament hat einen Geschenkeshop. Papp-Parlamente zum Zusammenkleben, ministrable Krawattenadeln – und diese Bossa Catalana, einen den typischen katalanischen Kleiderbündeln nachempfundenen Beutel aus zwei großen Stoffdreiecken, zusammengenäht von Gefängnisinsassen. Verurteilten Taschendieben? Unwahrscheinlich, aber trotzdem ein schöner Zirkelschluss. Schien mir das perfekte Souvenir.
Mehr Licht!
Freitag, 9. September 2011Letzten Sommer habe ich für das SZ-Magazin eine Ode an die Espadrille geschrieben, ohne selbst welche besessen zu haben. (Ja, so sind wir käuflichen Autoren. Alles Schall und Rauch.) Deshalb fand ich, ich müsste der Sache zumindest eine Chance geben. In Barcelona geht das nur bei La Manual Alpargatera, wo angeblich sogar der König seine Schlappen kauft, mindestens aber Papst Johannes Paul II. selig. Und Jack Nicholson. Muss man nicht glauben. Vor allem nicht, wenn man den Laden gesehen hat. Sehr duster, sehr staubig, sehr schlecht gelaunte Verkäuferinnen, sehr… adios.
La Manual Alpargatera, carrer Avinyó 7
Ganz anders sieht die Sache in einem zweiten Traditionsgeschäft ganz in der Nähe aus: der Kerzenmacherei Subirà, die seit 250 Jahren existiert und seit 1847 in den jetzigen Räumen unweit der Kathedrale residiert. Eine reizende Freitreppe wie aus einer Operette, Kerzen in allen Höhen und Stärken (neben Mumpitz wie solchen in Form von Flamencotänzerinnen oder mit After Eight-Duft) und eine Verkäuferin, die jede Kerze wie eine Spargelstange behandelt, so delikat: ein echtes Vergnügen. Das dazu geführt hat, dass ich dies hier im Schein einer Subirà-Kerze schreibe. Die passenden Barockklänge darf man sich dazu denken.
Cereria Subirà, Baixada Llibreteria 7, 08002 Barcelona
Und wenn wir schon beim Thema Erleuchtung sind: Ich habe nirgends schönere Straßenlaternen gesehen als in Barcelona.
El Xampanyet
Freitag, 9. September 2011Barcelona kehrt langsam aus den Sommerferien zurück, Läden werden wieder eröffnet und vor allem: die Bars, die im August Betriebsferien gemacht haben. Am El Xampanyet, kaum 300 Meter von meiner Wohnung entfernt, bin ich schon ein paarmal vorbeigegangen, ohne es wirklich gesehen zu haben. Als vorgestern zum ersten Mal die Rolläden hochgezogen waren und die Familie den Laden durchfeudelte, dachte ich: Das könnte nett werden hier.
Und das war es auch. Eine herzliche Thekenmannschaft, lecker Cava plus zwei Tapas für 5,50 Euro: der ideale Ort für einen Aperitivo. Ich traf mich hier mit Hans, dessen Wohnung ich fast gemietet hätte: einem weiteren Nomaden in meiner Sammlung. Gebürtiger Österreicher, als Fernsehrechtedealer in Barcelona, Köln, New York und Kapstadt zuhause. Und natürlich erzählte er mir als erstes, wie alle anderen, seine schönsten Diebstahls- und Einbruchserlebnisse in Barcelona („schlimmer als in Kapstadt“). Langsam glaube ich, es ersetzt in dieser Stadt die Gespräche über Wetter und Fußball. Und falls sich allmählich der Eindruck breitmachen sollte, ich stünde jeden Abend in Bars und tränke Cava: stimmt absolut, tue ich.
El Xampanyet, Montcada 22, 08002 Barcelona
High Society
Donnerstag, 8. September 2011Zum Essen geht niemand ins Mirablau (zum Trinken schon eher), aber warum sollte die Küche sich auch Mühe geben? Die Leute haben sowieso keinen Blick für ihre Teller. Sondern für die Fußballer am Tisch nebenan und für den Hammerblick über die ganze Stadt bis zum Meer.
Ich war hier mit Adriana, die seit drei Jahren als IT-Spezialistin in Barcelona lebt. Mit 16, erzählt sie, zog sie von Rumänien nach Deutschland, deutsch hat sie schon als Kind von ihrer Mutter, einer Banater Schwäbin, gelernt. „Wir rollten das R auch immer so – Spanisch zu lernen ist mir also ganz leicht gefallen.“
Bar Mirablau, Plaça Doctor Andreu 1, Tibidabo
Barcelo-no
Mittwoch, 7. September 2011 „This is not the image the city wishes to project.“ I bet. Die Stadtverwaltung verbietet den Verkauf dieser Kunstbuttons in den städtischen Museumsshops. Schnell noch ins Macba und eines der kostbaren Sammlerstücke ergattern.
Via Tourististan. Und darüber auch ein Link zu der tollen Reisedepesche, dem mit dem diesjährigen Grimme Online Award preisgekrönten Reiseblog von Johannes Klaus, der 410 Tage unterwegs war.
Gigantesco
Mittwoch, 7. September 2011Wenn ich nach einer Woche unter Barcelonesen etwas kapiert habe, dann das: Zurückhaltung ist nicht so ihr Ding. Das gilt auch und besonders für die Bauten. Gestern wollte ich mich eigentlich nur kurz in einer Schreibtischpause (sorry, wenn ich derzeit noch wenig Stadtbilder poste, ich bin bis Mitte nächster Woche mehr oder minder am Tisch angekettet) für ein Stündchen in den nahen Parc de la Ciutadella setzen und stand staunend vor diesem Monster. Andere Stadtparks stellen einen Brunnen auf und gut is’, hier ergießt sich ein Wasserfall über mehrere Stockwerke aus einer Treppenanlage mit Quadriga und Venus und Drachen, an dem auch der junge Gaudí mitgearbeitet hat. Unbeschreiblich. Was mir gut gefiel: Der Efeu kann hier wachsen, wohin er will. Ist ja schließlich auch sein Job. Und: Im wirklich schönen Park gibt es erstaunlich ruhige Ecken. Ich saß eine Stunde lesend auf einer Bank am See, guckte den zusammengeketteten Ruderbooten beim Rumtreiben zu. Und atmete. Und muss jetzt zugeben: Bei allem Fluchen über die lieben Nachbarn, besonders die blöde Kuh von gegenüber, die jede Nacht zwischen vier und halb fünf noch mal besoffen die Anlage hochdreht: Umziehen kommt nicht in Frage. Wenn man in zehn Minuten Fußentfernung einen Park, zwei Märkte (Santa Caterina und La Boqueria), drei Kathedralen und ein Meer hat, geht das einfach nicht besser in einer europäischen Innenstadt.
Wie wahr
Dienstag, 6. September 2011Most adventures happen when you say yes.
Make sure you can be okay with your own thoughts.
And third, take a tampon everywhere. They also work well to stop blood if you scrape your knee or get a nosebleed. Really, tampons are awesome.
Sehr interessantes Stück von Seth Kugel, dem derzeitigen Frugal Traveller der New York Times (was ich wirklich mal werden will, wenn ich groß bin), über die Unterschiede von männlichem und weiblichem Alleinreisen.
Blond sein für Fortgeschrittene
Dienstag, 6. September 2011Nach vier Monaten Englischsprechen am Stück (denn das war auch in Kopenhagen praktisch zweite Landessprache) habe ich eigentlich gedacht, dass mir der Rückfall in die gefühlte Sprachlosigkeit (denn ich spreche gerade mal Minimalst-Spanisch und null Katalan) schwer fallen würde. Stattdessen: wieder das schon bekannte Entzücken, auf dem Markt oder in einem Geschäft einzukaufen, was irgendwie interessant aussieht und dann zuhause per Google Übersetzer herauszufinden, was es ist. „Anguila ahumada con azafran precortada“: aha, Carpaccio von Räucheraal mit Safran. Hätte ich vermutlich nie gekauft, wenn ich es vorher gewusst hätte, aber es ist absolut köstlich. „Altramuces“: oh, Lupinenkerne. Und wie isst man die? Aha, so also. Die glückliche Ahnungslosigkeit und damit das tägliche Entdecken von Neuem hat mich wieder, und ich finde es ganz herrlich.
Zum Prinzip der Ahnungslosigkeit gehört auch, auf meinen Spaziergängen durch den Born auf Läden wie diesen hier zu stoßen, Vila Viniteca mit Weinen bis unter die Decke und fachmännisch dreinschauenden Verkäufern, die sich gerade ein kleines bisschen langweilen. Besser wird’s nicht, denn jetzt bringe ich meinen Zaubersatz an, No sé lo que es bueno, ich habe keine Ahnung, und dann blond zu lächeln. Es klappt praktisch immer. Man überschlägt sich, berät mich, gibt mir zu probieren, und am Ende ziehe ich glücklich mit was ziemlich Gutem von dannen. Darin steckt eine der wichtigsten Lehren dieses Jahres: Nichts ist schädlicher für erfolgreiches Reisen als bestens vorbereitetes Bescheidwissertum. Wie soll man denn überhaupt was lernen mit dieser Haltung? Abends ein bisschen schlauer sein als morgens dagegen – unbezahlbar.
Vila Viniteca, carrer Agullers 7 (in Nummer 9 gibt es den dazugehörigen Deli mit einem unglaublichen Schinkenraum)
Heimat
Dienstag, 6. September 2011Gestern abend bin ich mit meiner Vermieterin Candela auf ein Glas Cava ins La Vinya del Señor gegangen, direkt am Eingang der wirklich wunderschönen Kirche Santa Maria del Mar. (Das Foto oben hat übrigens nicht das Geringste damit zu tun, das stammt aus dem Markt La Boqueria. Mir war nur gerade so.) Gegenüber wurde der Herr gelobt, hier in der gleichnamigen Bar über Barcelona geschimpft („Die Ramblas? Furchtbar! Wir kreuzen die höchstens mal, aber auch nur, wenn es nicht anders geht“). Candela ist Argentinierin aus Buenos Aires, wird ab Herbst Schiffsingenieurswesen studieren, um dann über alle Meere zu fahren, ist mit einem Japaner liiert und lebt seit drei Jahren hier. Ihre zweite Option wäre New York gewesen, sie spricht fließend Englisch.
Mir gefallen ja solche Menschen, die den ganzen Globus als potentiellen Wohnort betrachten. Wie sähe ihr ideales Zuhause aus? Halb Barcelona, halb Berlin, sagt sie. Die Leute dort seien so locker! Ihre Heimat Buenos Aires dagegen – nein, das kann sie sich nicht mehr vorstellen. So laut! Und die Leute so rücksichtslos! Immer drängeln sie sich vor!
Damit ist sie die zweite hier, die Deutschland als Sehnsuchtsort nannte. Ihr Freund Momo, der mich vom Flughafen abgeholt hat, schwärmte ebenfalls. Er, Pakistani, hat 14 Jahre lang in Freiburg/Breisgau gelebt und seufzt bis heute beim Gedanken an die Zeit. Wann immer ich unterwegs auf Deutschland zu sprechen komme und die Argumente Fremder dafür höre, überkommt mich so ein kleines warmes Gefühl. Sie hat schon was, die olle Heimat.