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Das Knödel-Geheimnis

Donnerstag, 14. April 2011

Alter Zeitschriftentiteltextertrick: Überschriften, in denen das Wort „Geheimnis“ vorkommen. Meist wird der Leser dann zwar enttäuscht, aber man hat ihn zumindest erst mal im Sack. Ich hingegen kann nach beinharter Recherche zu einem der letzten Rätsel unserer Tage sagen: Ich habe das Knödel-Geheimnis gelöst. Zumindest einen Teil davon, nämlich wie die Chinesen es hinkriegen, superdünne transparente Knödel zu machen, durch die man die Füllung schimmern sieht und die auch beim Dämpfen nicht auseinanderfallen. Bereit? Gut.

In einer großen Schüssel 100 Gramm Weizenstärke (cheng mian) mit einem Esslöffel Zucker in 110 ml kaltem Wasser klumpenfrei auflösen. Dann 350 ml kochendes Wasser hineingießen. Schnell mit einem Holzspatel verrühren. Schnell, habe ich gesagt. Es formt sich eine klebrige Masse, leicht transparent, wenn sie gut ist. 250 g Kartoffelstärke (feng che) auf eine Arbeitsfläche kippen, eine Mulde hineindrücken. Die Weizenstärkemasse, leicht abgekühlt, hineingeben. Nicht gleich alles, erst mal nur die Hälfte. Kneten. (Fühlt sich gut an, oder? Fühlt sich toll an. Hmmm, so sanft, so… Entschuldigung.) Je nach Teiggefühl mehr von der warmen Masse zugeben, bis ein rollbarer Teig entsteht. Den in Klarsichtfolie einschlagen, damit er nicht austrocknet. Jetzt murmelgroße Teigstücke formen, zu handtellergroßen Kreisen rollen. Füllen. (Wir haben Schweinefleisch, Wasserkastanien, Bambussprossen, Shrimps und gehacktes, in Salz gepökeltes Enteneigelb genommen, siehe links. Gibt’s bei Penny in der Kühltruhe. Scherz.) Kleine Halbkreise formen. Vier Minuten dämpfen. (Nicht denselben Fehler wie ich machen und die fen guo zu nah nebeneinander in den Bastkorb legen.) In chinesischen Essig dippen. Essen. Aaaaah.

Eine Nebenwirkung des Knödelkurses, den ich heute morgen gemacht habe: eine handgeschriebene Seite voll San Francisco-Tipps von einem amerikanischen Ehepaar (mit Essigflecken). Eine Verabredung zum Tee mit einer Koreanerin, die hier lebt. Es war mal wieder einer dieser Tage.

Frühstück to go

Montag, 11. April 2011

Ich sollte vorausschicken: ich bin kein großer Frühstücker. Es gibt Leute, die fallen tot um, wenn sie morgens nicht sofort was zu essen kriegen, bei mir hingegen besteht Frühstück in der Regel aus einer Kanne Tee und einer WLAN-Verbindung. Trotzdem bin ich heute um 8 Uhr aufgestanden, um drei Stunden lang durch die Straßen zu laufen und dabei folgendes zu essen (in dieser Reihenfolge): jian bing (Pfannkuchen), jidan bing (Crepe mit Ei, Frühlingszwiebeln, scharfer Sauce, Hoisin-Sauce), jiang bing (Beijing-Pizza), guo tie (potstickers – angebratene, mit Schweinefleisch gefüllte Teigtaschen), cong you ban mian (Nudeln mit Frühlingszwiebelöl), qing jiao gansi (Paprika mit festem Tofu), qing jiao fuzhu (Paprika mit aus der Haut von Sojamilch gerollten Tofu-Stäbchen), rou jiamo (chinesischer Hamburger) und cong you bing (dicke kleine Pfannkuchen mit Frühlingszwiebeln). Und zum Nachtisch ein portugiesisches pastel de nata.

Mit mir unterwegs: Jamie und Kyle, auf dem Gruppenbild ganz links, Austin Hu, der Koch und Besitzer des Restaurants Madison, Liz und Megan. Alles Amerikaner, die seit ein paar Jahren in verschiedenen Jobs in Shanghai leben (Liz z.B. macht tagsüber Qualitätskontrolle für Stofffirmen und führt nachts auf pubcrawls durch die Kneipenszene). Jamie und Kyle haben vor zwei Jahren ihr alternatives Stadtführungsunternehmen UnTour gegründet, mit ihnen war ich eigentlich Ende des Monats auf eine Weird Meat-Tour verabredet, aber dann fragten sie, ob ich heute spontan mit zum Frühstücken gehen wolle. Und da mein Mantra für dieses Jahr „Klar, warum nicht“ ist… Den Rest des Tages dann nur noch Obst.

Dienstleistungsgesellschaft

Mittwoch, 6. April 2011

Schon in Indien war auffällig, dass man ständig per Formular gefragt wird – von Restaurants, Hotels, Reiseführern, Fahrern –, wie man das alles so fand, was einem geboten wurde. Interessant aber die Unterschiede: In Indien lauteten die Ankreuzmöglichkeiten in der Regel „hat die Erwartungen bei weitem übertroffen“, „hat die Erwartungen erfüllt“, „wurde den Erwartungen nicht gerecht“. In China hingegen: „gut“, „ganz anständig/ausreichend” („fair“ fair übersetzt, isabo?), „schlecht“. Mit anderen Worten: deutlich defätistischer. Begeisterung ist gar nicht vorgesehen, dafür muss extra ein Kästchen geschaffen werden.

Wie zum Beispiel im Fall von Din Tai Fung. Das ist eine ursprünglich taiwanesische Restaurantkette mit Schwerpunkt auf xiao long bao, den chinesischen Knödeln, denen schon das Wort Knödel nicht gerecht wird. (Und das Foto links erst recht nicht.) Der Rest von China macht sich immer über Shanghai lustig, weil hier angeblich so kleine Portionen serviert werden. Und tatsächlich, die xiao long bao sind vergleichsweise winzig. Dafür aber auch vergleichsweise sensationell.

Eine kurze Einführung in die Knödelkunst von Shanghai (wir kommen nämlich bestimmt noch darauf zurück). Xiao long bao werden im Bambuskorb gedämpft. Eigentlich sind es Beutel aus dünnem Nudelteig, oben in 14 Falten zusammengerafft, wenn sie gut sind (mehr Falten = feinerer Teig) und meist mit Schweinefleisch gefüllt, bei Din Tai Fung aber auch gern mal mit Taschenkrebs oder Huhn & Trüffel. Diese Füllung schwappt in einem Hauch köstlicher Brühe – doch wie kommt die in den Knödel hinein? Indem ein Scheiblein Aspik mit der Füllung in den Teig gegeben wird und sich beim Dämpfen verflüssigt. Man isst das Ganze, indem man dem Knödel, mit Stäbchen ergriffen, vorsichtig den Kopf abbeißt, die Brühe herausschlürft, den Rest in eine Mischung aus schwarzem Reisessig, Sojasauce und gehobeltem Ingwer taucht und augenblicklich ohnmächtig wird vor Entzücken. In fast allen Chinarestaurants zuhause werden xiao long bao auf Pergamentpapier gedämpft serviert. Ergebnis: beim Herausheben mit Stäbchen bleibt der Teig kleben, der Knödel reißt und die Suppe geht perdu. Din Tai Fung dämpft auf Baumwollstoff, und der Knödel löst sich sanft mit nur minimalem, geradezu anmutigem Widerstand.

Zum Service: Hängt man wie ich nachlässig seine Jacke über die Stuhllehne, eilt sofort jemand herbei, um ein Stuhllehnencover über die Jacke zu breiten, auf dass man sie nicht verknicken oder beschmutzen möge (siehe links). Zahlt man die Rechnung (die in diesem Fall inklusive Tsingtao-Bier und einer köstlichen Bohnen-Vorspeise 90 RMB betrug, faire neun Euro) mit einem 100 RMB-Schein, kommt jemand, quittiert auf der Rechnung 100 RMB, damit auch ja alles mit rechten Dingen zugeht, bevor das Wechselgeld kommt, und stellt zur Sicherheit auch noch ein Schild auf den Tisch, dass man doch bitte seine Habseligkeiten nicht vergessen möge. Es kann sein, dass mir das nach einigen Wochen als fürsorgliche Belagerung auf den Geist geht, aber zurzeit finde ich es herrlich.

Din Tai Fung, mehrere Locations, hier: Shanghai Centre, 1376 Nanjing West Rd., Shanghai

Ebenso herrlich übrigens wie meinen zweiten Besuch im göttlichen Dragonfly, schon wieder für eine chinesische und eine Fußmassage, dieses Mal verbunden mit einer Pediküre. (Ja, ich weiß, ich hatte erst in Indien eine. Ja, ich weiß, das wirkt etwas fetischistisch. Sei’s drum, meine Füße haben es nach einem Monat Barfußlaufen im Dreck verdient.) Der Augenblick, in dem das Lackmenü mit einer Fantastillion OPI-Optionen (meiner Lieblings-Nagellackmarke) auf meinen Schoß ausgebreitet wurde – links nur eine von vier Doppelseiten –, gehört, ich gestehe es beschämt, zu den glücklichsten der letzten Wochen. Für andere OPI-Fans: Dieses Mal wurde es „Mrs. O’Leary’s BBQ“, weil meine ewige Lieblingsfarbe „I’m not really a waitress“ gerade aus war. Länger nachgedacht habe ich über „Bastille my heart“ und „No Spain no gain“. Irgendwann werde ich übrigens eine längere Abhandlung über Nagellacknamen schreiben. Heute bin ich zu satt und zu glücklich dazu.

Mahlzeit

Samstag, 2. April 2011

Okay, kommen wir zu einer weiteren VMDW-Tradition: Das erste Mahl im neuen Heim. Diesmal war es… keine Ahnung. Das Charmante an diesem Monat wird sein, dass ich blind und ahnungslos Lebensmittel kaufe, denn ich spreche (und lese) kein Wort Mandarin bis auf ni hao (hallo) und xie xie (danke). Das Zeug mit der Nummer 1911 war höchstwahrscheinlich Soja-Yoghurt, auf jeden Fall sehr lecker. Und die braune Flüssigkeit daneben, die ich für Cola gehalten hatte, war schwarzer Tee. Beides toll.

Überhaupt mag ich das Gefühl der sprachlichen Orientierungslosigkeit bis jetzt sehr gern. Es sollte für mich als manischen Leser/Schreiber ja eigentlich die Hölle sein, stattdessen empfinde ich es als angenehm befreiend. Man wird wieder darauf reduziert, mit dem Finger auf Dinge zu zeigen und einfach zu schauen, was man bekommt. Trial and error, ein schönes Abenteuer. In meinem Nachbarschaftsmarkt gibt es zum Beispiel diese Fett-Lollys, die werden als nächstes probiert.

Trost-Essen

Mittwoch, 9. März 2011

Die Straße runter liegt Swati Snacks, ein vegetarischer Fastfood-Laden, der schon nach zwei Besuchen ein Liebling von mir ist. Heute: Dal Dhokti, eine fruchtig-scharfe Linsensuppe mit dicken weichen Weizennudeln. Genau das, was man an so einem Tag braucht. Swati serviert in Wahrheit Gujarati-Streetfood wie Bhelpuri, wie man es hier an jeder Straßenecke bekommt, nur halt auf Tellern und mit Besteck. Alles ziemlich köstlich, und wenn ich bedenke, wie ich vor einer guten Woche noch dicke Steaks und ganze Flaschen Malbec weggehauen habe und jetzt das blanke, heilige Gegenteil davon zu mir nehme… Passt zur Fastenzeit.

Swati Snacks, 248 Karai Estate, Tardeo (gegenüber vom Bhatia Hospital)

Nur gucken

Montag, 7. März 2011

Ich esse noch nicht, aber ich schaue zumindest schon mal hin… Es geht also bereits wieder gut, danke für die guten Wünsche!

La Poésia

Sonntag, 27. Februar 2011

Buenos Aires ist mächtig stolz auf seine Schriftsteller. In jeder Bar und jedem Café hängen die Fotos der hiesigen Geistesgrößen, der arme Jorge Luis Borges kann eigentlich kaum zum Schreiben gekommen sein, wenn wirklich jedes Etablissement, das mit ihm wirbt, seine Stammkneipe gewesen ist. Das La Poesía in San Telmo, eine charmante Eckbar, behauptet das nicht – muss es aber auch nicht, denn es kamen genügend andere hierher. 1988 wurde es geschlossen, aber nie vergessen. Vor zwei Jahren machte es dann wieder auf und ist heute der richtige Ort für WWW-Poeten wie den jungen Mann oben links (Passwort für das WLAN hier: 5021).

Der Tisch am Fenster, an dem sitze, trägt eine verkratzte Messingplakette, fast nicht mehr zu entziffern: Hier habe der Dichter Horacio Ferrer 1982 Lucia Michelli kennengelernt. El mismo amor los une desde entonces, steht da: Seit damals vereint sie die gleiche Liebe.

La Poésia, Chile 502 y Bolivar

Swinging

Sonntag, 27. Februar 2011

Vieles in Buenos Aires scheint entweder ganz alt oder ganz neu zu sein, Bauten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts gehen dabei eher unter. Eine der schönsten Ausnahmen ist das Café Florida Garden, das mal nicht das Klischee der bröckelnden Pracht erfüllt, sondern reinrassiges Sixties-Design bietet – und zudem eine Rückzugsmöglichkeit von der etwas nervigen Fußgängerzone Florida. Draußen: alle paar Meter ein Lederjackenverkäufer oder Tourenveranstalter, der einen kobern will. Drinnen: weißlivrierte Kellner, die einem gern mal ein Stückchen Brownie zuschieben, wenn man an der Theke steht.

Florida 899/Paraguay, Buenos Aires

In meinem Element

Donnerstag, 17. Februar 2011

Ah, schon besser. Bei solchen Angeboten dürfen Männer gern kleiner sein als ich. Dies ist Davin aus Alaska, der schon seit sechs Jahren in Buenos Aires lebt und hier, wie so viele Expatriates, gleich vier Jobs hat. Globale Software-Kundenbetreuung per Skype, Social Media-Beratung des argentinischen Weinverbandes, Werbefilmschauspieler (nächste Woche fliegt er nach Costa Rica, um dort einen Spot für einen polnischen Energydrink zu drehen – ja, die Welt ist voller Möglichkeiten) und Sommelier (mag er nicht so) bzw. wine guy des 6-Zimmer-Boutiquehotels Miravida Soho in Palermo. Dorthin hatte mich Besitzer und Ex-Kollege Cornel Faltin, langjähriger Washington-Korrespondent für Hamburger Abendblatt und Berliner Morgenpost, zu einer Weinprobe eingeladen. Ich kenne Massen von Journalisten, die eines Tages ein kleines Hotel eröffnen wollen – und keinen, der es tatsächlich getan hat. Bis auf Cornel. Das Miravida Soho gehört ihm seit Dezember 2009 und ist immer gut gebucht dank bester Empfehlungen im Tripadvisor – alles könnte so schön sein, sagt er, wenn nicht die argentinische Bürokratie mit ihrem kafkaesken Formularwahnsinn wäre.

Ein Grund mehr, noch ein Weinchen aufzumachen, und davon stehen hier viele, viele gute. Tintenfarbene Malbecs, ein wunderbarer Cabernet Sauvignon von Viña Cobos und ein toller Torrontés von Donald Hess, der dem Lichtkünstler James Turrell ein Museum in der Nähe seines Weinguts Colomé gebaut hat. Schöner Abend, spannende Gespräche.

Miravida Soho Hotel, Darregueyra 2050, Buenos Aires 1425

To go/para llevar

Mittwoch, 16. Februar 2011

Ich habe keine Ahnung, wie die Porteños das Ganze überleben. Um 22 Uhr zu Abend essen (dickes Steak, ordentlich viel Malbec), am nächsten Morgen schon wieder drei medialunas zum café con leche, zu Mittag ein paar Empanadas, ein halbes Pfund Eis pro Tag – und damit die Wartezeit bis zum Abendessen nicht allzu lang wird, auf dem Heimweg von der Arbeit noch schnell eine Pizza einschieben. Kein Wunder, dass Schönheits-OPs hier staatlich gefördert werden; mit legalen Mitteln kann man sein Gewicht jedenfalls nicht halten.

Die Pizza- und Pastakultur hat die Stadt den italienischen Einwanderern zu verdanken, wobei Italiener wie mein Klassenkamerad Pirro, der Alitalia-Pilot i.R., nur die Augen verdrehen, wenn man die Worte Pasta und Argentinien in einem Satz benutzt. Auch Pizza ist hier eine eher freie Interpretation: Es ist nicht so sehr Teig mit Käsebelag als vielmehr Käse mit Teigunterlage. Sei’s drum: Einer der bekanntesten Pizzaläden der Stadt, Pizzeria Güerrin, liegt bei mir direkt um die Ecke, und heute habe ich ihn endlich getestet, porteño-style.

Und das geht so: Klar kann man auch im ersten Stock im Restaurant essen, lustiger aber ist der Imbiss im Erdgeschoss. Normalerweise ordert man ein Stück für umgerechnet einen Euro an der Kasse (ich natürlich, gierig, eine ganze Pizza zum Mitnehmen) und dazu ein Glas Moscato, süßen roten Muskateller. Und stellt sich dann zu den anderen Essern an die Stehtische. Während ich auf meine Pizza wartete, trank ich meinen Moscato, flirtete radebrechend mit dem cajero, dem Kassierer, und bekam nach zehn Minuten eine dampfende Pizza liebevoll in Karton, Papier („seit 1932“) und Schnur eingepackt.

Der Pizzateig ist relativ hefelastig, wer Mozzarella mag, kommt auf seine Kosten, wer satt werden will, auch. Ich hatte das Ding zuhause in zehn Minuten verputzt.

Pizzeria Güerrin, Corrientes 1368