Mangomania

Ist jetzt nicht weiter spannend, aber ich liebe Mangos. Und ich gehöre zu den Leuten, die in kleine spitze Schreie ausbrechen, wenn sie etwas zu essen sehen, was sie gern haben. Was werde ich also bei dem Anblick oben getan haben? Richtig.

Schauplatz ist der Crawford Market, ein überdachter Markt für Obst und Gemüse, Gewürze und Parfum-Fakes, Wellensittiche und Hundewelpen. Halt für alles, was man im Leben so braucht. Wie die meisten asiatischen Märkte ein sensorischer Overkill. Nicht zuletzt wegen der akrobatischen Kulis und der Handwerker wie dem Messerschleifer unten, der seinen Stein mit Fahrradpedalen in Schwung bringt.

Mahlzeit!

Von den berühmten Dabbawallas von Mumbai hatte ich schon vorher gehört, ein klassisches Brandeins-Thema: wie Wirtschaft eben auch funktionieren kann. Die Dabbawallas sind 5000 in einem Kollektiv organisierte Essensausträger, die es jeden Tag schaffen, 200.000 Henkelmänner mit liebevoll gekochter Hausmannskost, dabba (Hindi) oder auch tiffin (englisch) genannt, aus den Vororten von Mumbai an ihre Empfänger in der Innenstadt auzuliefern. Es ist eine hocheffizient arbeitende Menschenkette mit etlichen Verzweigungen: Ein Henkelmann wird von einem Dabbawalla abgeholt, mit dem Fahrrad zur nächsten U-Bahn-Station gebracht, dort zusammen mit anderen Henkelmännern im Gepäckwagen in die Innenstadt gefahren, die von einem weiteren Dabbawalla ausgeladen, auf eine andere Linie umgeladen, am Zielort von wieder einem anderen ausgeladen, auf Holztragen sortiert, an einen weiteren Sammelpunkt gebracht und von dort mit dem Rad oder zu Fuß, per Holzkarren oder auf dem Kopf getragen pünktlich zur Mittagszeit ausgeliefert werden, so wie jeden Tag. Anschließend wird der leergegessene Henkelmann auf demselben Weg wieder nach Hause transportiert. Die Fotos sind gegen Ende der Mittagszeit entstanden, unser freundlicher Dabbawalla oben hat gerade Pause und wartet, dass die Essenden ihre Henkelmänner zum Sammelort bringen. Der Service kostet 400 Rupien im Monat, etwa sieben Euro.

Wie das funktioniert und dass es überhaupt funktioniert, ist das Thema vieler Studien. Das Wirtschaftsmagazin Forbes hat den Dabbawallas ein Sigma 6-Rating gegeben, die höchste Effizienzstufe, denn angeblich geht nur eine von sechs Millionen Lieferungen mal daneben. Richard Branson hat schon mal einen Tag mit einem Dabbawalla verbracht, um hinter ihr Geheimnis zu kommen – was keines ist, sondern nur die strikte Befolgung eines Farb- und Zahlencodes auf den Henkelmännern – die meisten Dabbawallas, die alle aus einem Dorf aus der Nähe von Pune stammen, sind Analphabeten.

Hier bzw. hier weitere Geschichten über sie, hier auch ein Filmbericht.

Marine Drive

Marine Drive ist eine etwa drei Kilometer lange Küstenstraße, die zum Feinsten zählt, was Mumbai zu bieten hat. Warum, hat sich mir zunächst nicht erschlossen, als ich die runtergekommenen Häuser sah, die sich hier aneinanderreihen. Teilweise wunderschöne Dreißiger-Jahre-Bauten, aber alle schwer gebeutelt vom Monsun. Drinnen, so sagte man mir, herrsche teils große Pracht, aber Geld in die Fassade stecken? Wozu? Die nächste Regenzeit kommt bestimmt.

Die Straße entfaltet ihre ganze Magie erst in der Dämmerung. Dann hocken alle dicht an dicht auf der Kaimauer, um der Sonne beim Untergehen zuzuschauen. Und tatsächlich, da wird sogar der Moloch kurz romantisch.



Auf dem Dach des Ambassador Hotels gibt es ein rotierendes Restaurant, und selbst das gewinnt in diesem Licht. Vielleicht mal hoch die nächsten Tage.

Ich bin dann mal offline

Ich bin vom lieblichen Krishna Palace, der Heimat von Laxury At Its Best, in ein Hotel am Marine Drive gezogen, hier beginnt die Rajasthan-Reise. Und hier beginnt der Kampf um das Internet erneut, derzeit sitze ich im nahen Oberoi auf eine halbe Stunde Prepaid-Karte. Was ich damit sagen will: Es kann sein, dass ich in den nächsten Tagen, vielleicht sogar den nächsten zwei Wochen nicht so regelmäßig ins Netz komme wie bisher. Nicht zagen, ich liefere die Reiseberichte dann natürlich nach. Aber ab jetzt ist wirklich Indien.

Mit allen Wassern

Waschtag. Oder vielmehr: Waschenlasstag. Der Wäschezettel meines Hotels führt nur wenige Positionen mit westlicher Kleidung auf (besonders entzückend: „Handschuhe“ und „Taschentuch“), aber irgendwie sortiere ich mein Zeug da ein. Und erhalte es am Abend mit sorgfältig angebändselten Stofffetzen, auf denen meine Zimmernummer steht, die T-Shirts um Pappe herumgefaltet.


Heute habe ich mir angeschaut, wo sie vermutlich gewesen sind: im dhobi ghat, einer Open Air-Wäscherei. Die größte von Mumbai liegt in der Nähe der Mahalaxmi Station: 200 dhobis, Waschmänner, und ihre Familien arbeiten hier – das Geschäft ist erblich. Die Wäsche wird in Betonwannen eingeweicht, geschrubbt, geschlagen, gespült, in Kessel mit Stärke geworfen, aufgehängt, zusammengelegt – es ist ein wahnsinniges Schauspiel, scheinbar direkt aus dem Mittelalter. Vor allem Hotels und Krankenhäuser lassen hier waschen, aber von der benachbarten U-Bahn-Station werden auch immer wieder Bündel mit privater Wäsche hierher geschleppt.






Mein Zeug: blitzeblank. Und die raue Behandlung war ihm nicht anzusehen.

Dear Mr. Irikura

Mit Mr. Irikura habe ich unzählige Mails gewechselt in den letzten Monaten. Er ist der Manager eines Apartmentkomplexes in der Nähe der Ikebukuro-Station, der zweitgrößten Bahnstation von Tokyo. Dort wollte ich für den April eine kleine möblierte Wohnung anmieten, halbwegs bezahlbar, Internet-Zugang, das Übliche. Für die Wohnung musste ich mich bewerben, der Bewerbungsbogen wollte allerhand von mir wissen: Für welche Firma arbeite ich? Wie lange schon? Was verdiene ich? Wie hoch ist der Jahresumsatz der Firma? Notwendige Dokumente: Ausweiskopie, Einkommensnachweis, eine Selbstdarstellungsbroschüre der Firma, einen Geschäftsbericht der Firma und so weiter. Vorsichtig brachte ich Herrn Irikura bei, dass ich keine office lady bin, sondern freiberuflich, dass ich aber für verschiedene Zeitschriften schreibe. Ob ich dann bitte Exemplare der Zeitschriften schicken könne? Schwierig, lieber Herr Irikura, ich bin gerade in Buenos Aires.

So ging es ein wenig hin und her, in der Zwischenzeit war die gewünschte Wohnung nicht mehr verfügbar, dafür eine andere, wir kamen trotzdem nicht recht weiter. Bis ich mich entschloss, die Künstlerkarte zu ziehen. Wenn ich denn schon ein nach japanischem Verständnis liederliches Leben führe, dann richtig. Ich schrieb also, ich sei Autorin, hätte auch schon Bücher geschrieben, eines solle jetzt verfilmt werden, „Oscar-winning actor Christoph Waltz“ wolle Regie führen, hier die entsprechenden Links. Augenblicklich kam die Antwort von Herrn Irikura:

„Dear Meike Winnemuth san,
Now I know you are a great person.
I will take approval for your stay.
Best regards,
Hajime Irikura.
Ikebukuro Duplex Tower.

Gestern nun habe ich Herrn Irikura mit schwerem Herzen abgesagt und mich dabei wie eine Verräterin gefühlt. So als ob ich ihn im Stich lasse. Er schrieb zurück, dass es ihm gut gehe, danke der Nachfrage, auch den Bewohnern des Hauses. Dass das Haus nur ein paar kleine Risse habe. „But Tokyo is okay. While we are suffering from some transportation disorders and electric supply shortages, these are not serious ones and the recovery is being made quickly. We are still able to manage everyday life all right as we’ve got no serious damage to basic life line.“ Und dass er selbstverständlich keine Stornogebühren verlange.

Es ist so zum Heulen.

Indischer Humor

Heute morgen in der Zeitung:

Und dann doch wieder…

…Momente wie der, wenn der Mann gegenüber wie jeden Morgen mit einer Tüte Brotreste aufs Dach geht, um die Tauben zu füttern. Er sitzt immer nur 10, 15 Sekunden auf einer kleinen Bank, schaut zu und verschwindet dann wieder. Ich warte jeden Morgen auf ihn, wie die Tauben.

Juhu

Heute würde ich sie endlich treffen: Kashmera Shah, Bollywood-Schauspielerin, in letzter Zeit eher durch Skandale aufgefallen wie die Teilnahme an der beliebten Reality-Show Love Lock-Up, in der ein Paar mit Beziehungsproblemen acht Tage in einen Raum gesperrt wird (RTL 2, are you listening?). Dies ist eine Zusammenfassung der Folge, wirklich faszinierend. Und dann war da natürlich noch ihr erotischer Kalender, dessen feierliche Enthüllung ich neulich ja blöderweise verpasst habe. Hier ein paar… Impressionen. Aufschlussreich, was in Indien als sexy gilt, besonders dies hier:

Man muss sich Kashmera also als eine indische Daniela Katzenberger vorstellen. Mit anderen Worten: Ich freute mich wirklich auf sie. Sie schlug als Treffpunkt das Marriott Hotel in Juhu Beach vor, eine etwa einstündige Taxifahrt Richtung Norden. Gut, Juhu wollte ich mir sowieso angucken. Der übliche Taxi-Scheiß: Der Fahrer wollte erst nicht den Zähler einschalten, mir 100 statt 50 Rupien für die Route über den schnelleren Sea Link abknöpfen und mich dann in Bandra ganz rauswerfen, ich solle mir doch eine Motorrikscha für den Rest des Weges nehmen, er bekomme hier oben kein Benzin (Tank war halbvoll) – ich bin den Quatsch inzwischen gewohnt. Das Marriott: die übliche Security-Schleuse und Abtastung am Eingang, hier freundlicherweise durch eine Frau. (Bei der Gelegenheit: Habe ich schon erzählt, wie oft ich auf der Straße „unabsichtlich“ von Männern berührt werde, gern auch am Po, wenn ich an der Ampel stehe?)

Ich war früh dran, ich wollte noch an den Strand gehen: „Sorry, ma’am, nur für Hotelgäste“ – okay. Im Café: ein Kännchen Tee. Und warten. Und warten. Und warten. SMS geschickt, keine Antwort. Nach einer Stunde aufgegeben, zurück in die Stadt. Nur war da schon Rush Hour, keine Chance auf ein Taxi auf der Straße. Der Portier besorgte mir ein Pre-Paid-Taxi, natürlich für den dreifachen Preis. Rückfahrt: eineinhalb Stunden. Vier Stunden Sinnlosigkeit, ein weiterer Nachmittag in Mumbai.

Das mit Mumbai und mir wird nichts mehr, glaube ich. Wir sind nicht füreinander gemacht. Wir haben alles probiert, wir waren in Paartherapie, es hat nichts genützt. Ob es eine glückliche Beziehung wird, hängt natürlich immer von beiden Beteiligten ab. Ohne allzu esoterisch werden zu wollen: Meine bisherige Erfahrung beim Reisen war immer, dass man in eine Art Dialog mit einem Ort tritt. Wie man auf eine Stadt zugeht, so antwortet sie auch. Wenn einem die Stadt allerdings wiederholt in die Hand beißt, obwohl man versucht, sie zu streicheln, dann hat man irgendwann keine Lust mehr. Und das ist genau das, was hier gerade passiert: die berüchtigte Reise-Todesspirale. Die bisher eher freudlosen Erlebnisse führen dazu, dass ich dichtmache – und dass mir folglich kaum noch etwas Gutes widerfährt. Ich rechne mit dem Schlimmsten, und genau darum passiert es mir auch. Das Scheidungsverfahren läuft. Ein Schuldprinzip gibt es auch hier nicht.

Am Freitag allerdings ändert sich die Konstellation: Dann kommt eine Münchner Freundin nach Mumbai, wir werden am Montag von hier aus weiter nach Rajasthan reisen. Und dann: Neues Spiel, neues Glück.

Wie weiter?

Ich klebe seit Tagen vor BBC World und CNN, wie vermutlich die meisten. Mein nächstes Ziel Tokyo ist natürlich gestrichen, aber mir fällt derzeit auch das Nachdenken über eine andere Route schwer. Ich muss diese Woche entscheiden, wie es weitergeht. Und bin wie gelähmt. Unter diesen Umständen, bei diesen Bildern darüber nachzudenken, wie ich den Rest des Jahres weiter lustig durch die Welt fahre, erscheint mir monströs. Die Reise hat gerade ihre Unschuld verloren – aber das hat sie vielleicht schon mit der Ankunft in Mumbai. Und das ist auch nicht unbedingt schlecht.

Ich wollte ja, dass mir die Welt unter die Haut geht, und das tut sie gerade. Anders und heftiger als erwartet.