Feiertag

Mittwoch, 26. Januar 2011

Es war neblig heute morgen, richtig dicke Suppe über der Bucht. Es fühlte sich wieder mal wie ein „Uuuund Action!“-Moment an, so als ob die Tourismusbehörde die große Nebelmaschine angeschmissen hatte. Denn heute ist Australia Day, der Nationalfeiertag, und er sollte am frühen Morgen mit einer Aborigine-Zeremonie im Botanischen Garten beginnen. Das Woggan-ma-gule schildert den Schöpfungsmythos des Yuin-Stammes, die Geburt von Mann und Frau aus einem Felsen und die Entstehung von Himmel und Erde. Der Nebel als Background über der Bucht kam da gerade recht.
Mir sind solche Folkloreveranstaltungen in der Regel unangenehm: Menschen, die sich für Touristen in Windeln werfen und mit Schlamm beschmieren, um hinterher nach Hause zu ihrer Mikrowelle zu fahren – nicht mein Ding. Hinzu kommt, dass dieser ganzen Veranstaltung etwas Feigenblattartiges anhaftete. Australia Day feiert die Landung der First Fleet am 26. Januar 1788, einer Flotte von elf britischen Schiffen mit 756 Strafgefangenen, die hier siedeln sollten – aber eben nicht in einem Niemannsland. Die Aborigines nennen den Tag deshalb Invasion Day. Dafür dürfen sie heute ein bisschen durch die Gegend hüpfen, bevor sich die Sydneysider dann erleichtert ihren Barbecues und Picknicks zuwenden. Also dem eigentlichen Sinn des Australia Day.

So dachte ich mir das jedenfalls. Und war dann überrascht, wie entspannt und unpeinlich das Ganze war. Der Stammesälteste, Uncle Max Dulumunmun Harrison, brachte alle Zuschauer dazu, erst mal aufzustehen und sich in Richtung Osten zu wenden, um der Sonne Respekt zu zollen. Sehr schön. Die Gesänge und Tänze – okay. Wie Tänze halt so sind. Aber als dann hinterher alle herumstanden, ihre Babys im Arm, und mit ihren Freunden plauderten, das war sehr rührend. Sehr selbstverständlich. Wenig vergangenheitsselig, sondern ganz und gar gegenwärtig.

Grandma Takes a Trip

Dienstag, 25. Januar 2011

Ich muss vorausschicken, dass ich Vintage-Shops hasse. Das kratzige Polyester, der Geruch, der einfach nicht aus den Klamotten rauszukriegen ist… Gegen diesen allerdings konnte ich mich nicht wehren. Grandma Takes a Trip hat eine sensationelle Sammlung von Fifties bis Seventies, alles tragbar und unkarnevalesk. Nein, ich habe nichts gekauft. Aber ich habe verdammt viel anprobiert. Für Vintage-Freunde ist Surry Hills das Mekka, an der Ecke Crown/Goulburn Street gibt es noch mehr Läden.

263 Crown Street, Surry Hills, NSW 2010

Eintauchen

Montag, 24. Januar 2011

Es hatte ein bisschen geregnet, die meisten waren schon nach Hause gegangen. Das Bad würde ohnehin in einer Stunde schließen. Die wenigen, die noch geblieben waren, saßen unter dem weißen Dach und leerten die letzten Tupperdosen. Unten im Pool schwammen nur ein drahtiger 60jähriger und zwei Frauen, die nach jeder zweiten Bahn ein Schwätzchen am Beckenrand hielten. Hier war er, der Ort, den ich die ganze Zeit gesucht hatte: einer dieser magischen, romantischen, verlorenen Plätze, an denen die Zeit gnädig vorbeigegangen ist.

Wylies Baths ist ein Meerwasserpool, ähnlich wie das Icebergs am Bondi Beach unmittelbar an den Pazifik angrenzend, aber ein in den Stein gehauenes Naturbecken und anders als das Icebergs angenehm verwahrlost. Der Boden und die Seiten des Beckens sind von Algen bewachsen, die Holzgeländer, die ins Wasser führen, wackeln schon ein bisschen. Oben auf der Holzplattform, die sich auf hohen Streben über den Pool erhebt, gibt es einen wunderschönen alten Umkleideraum (unten rechts), in dem ich lange ganz allein saß. Der stillste Ort, den ich bislang in dieser Stadt erlebt habe.

Das Bad ist 1907 vom Langstreckenschwimmer Henry Alexander Wylie gegründet worden, mit Hilfe eines speziellen Pachtvertrags für ein Grundstück unterhalb des Hochwasserpegels. Seine Tochter Wilhelmina und ihre beste Freundin Fanny Durack waren die ersten Australierinnen, die an einem olympischen Schwimmwettkampf teilnahmen, 1912 in Stockholm. Man wollte sie erst nicht fahren lassen, erst als sie ihre Reisekosten selbst übernahmen, bekamen sie die Erlaubnis zur Teilnahme. Fanny (links) holte Gold auf 100 Meter, Mina Silber.

Natürlich bin ich geschwommen. Schön langsam, weil ich mein Glück nicht fassen konnte, sanft getragen vom Salzwasser und von der Geschichte. Hinterher mit nassen Haaren ein Sandwich vor dem kleinen Kiosk. Einer der besten Tage in Sydney bisher.

Fanny Durack liegt übrigens auf dem Friedhof von Waverley begraben, den ich auf dem Weg hierher überquert hatte, mit ewigem Blick aufs Meer. Und wenn sich jetzt auch noch herausstellt, dass sie die Urgroßmutter von Terry Durack war, dann…

Wylies Baths, Neptune Street, Coogee, NSW 2034

Hoteltipp 1

Montag, 24. Januar 2011

Coogee ist einer der ruhigeren Strände in Sydneys Osten, etwa sechs Kilometer südlich vom Bondi Beach. Wer nicht direkt im Zentrum wohnen will, sondern Seebad-Atmosphäre bevorzugt (wohlgemerkt: eine halbe Stunde Busfahrt vom Circular Quay entfernt), ist hier gut aufgehoben. Besonders gut im Dive, einem familiär geführten 16-Zimmer-Hotel mit großer Frühstückstafel, einem Hund namens George und einer fetten Katze, die immer auf dem Schreibtisch in der Rezeption liegt: „unser Briefbeschwerer“. Alle Zimmer haben eine Kochnische. Einige haben Meerblick, die sind allerdings auch die lautesten.

Dive Hotel, 234 Arden Street, Coogee, NSW 2034

Ruhe sanft

Sonntag, 23. Januar 2011

Bislang wollte ich immer auf dem Cimetière du Vieux-Chateau im südfranzösischen Menton nahe der italienischen Grenze beigesetzt werden, hoch über der Stadt mit Blick aufs Meer, möglichst direkt neben dem britischen Rugby-Erfinder Reverend William Webb Ellis, dessen Grabinschrift seinen „fine disregard for the rules“ lobt. Aber seit heute gibt es eine Alternative: den Friedhof von Waverley, gelegen auf dem Küstenspazierweg von Bondi nach Bronte Beach.

Ins Schwimmen kommen

Sonntag, 23. Januar 2011

Vielleicht ist dies der berühmteste Swimmingpool der Welt, zumindest aber einer der schönsten: Der Bondi Icebergs Club, 1929 von ein paar Rettungsschwimmern gegründet, die auch im Winter trainieren wollten, liegt am südlichen Rand von Bondi Beach. Um Clubmitglied zu werden, musste man sich ursprünglich strengen Regeln unterwerfen: fünf Jahre lang an drei von vier Sonntagen Rennen schwimmen, dann war man drin. Ich wollte die ganze Zeit schon hierher, aber heute gab es einen richtig guten Grund: ein Charity-Schwimmen zugunsten der Opfer der Queensland-Flutkatastrophe. Klassischer Aussie-Humor: Schwimmen für Flutopfer, aber der Club war voll mit gut gelaunten Leuten, die zu Schwimmwettkämpfen antraten. Wild gemischt: Da schwamm eine Vierjährige neben Mitgliedern der Basketballmannschaft Sydney Kings.

Der Pool liegt unschlagbar schön: direkt am Meer, das alle paar Minuten dramatisch ins Becken schwappt. Es stört niemanden – die äußere Bahn ist zwar nicht leicht zu schwimmen, aber ein prima Training.

Bondi Icebergs, 1 Notts Avenue, Bondi Beach, NSW 2026

Freitagabend-Fleischbeschau

Samstag, 22. Januar 2011

Freitagabends geht man aus, ich natürlich auch. Und zwar in den heißesten Club der Stadt, die Fleischerei Victor Churchill. Victor Churchill ist eine Legende, sie produzieren fantastisches Fleisch, bis zu 600 Tagen gras- oder getreidegefüttert, alles vor Ort trockengereift. Das Fleisch hängt für etwa vier Wochen mitten im Laden in einer Kühlkammer vor einer Wand aus Himalayasalz. Es verliert dabei etwa ein Drittel an Gewicht, gewinnt aber ungemein an Geschmack. (Ich schwöre, das ist der letzte Fress-Eintrag für lange Zeit, es wird mir schon selbst peinlich.)

Es ist die mit Abstand schönste Schlachterei, die ich je gesehen habe. Irgendwo zwischen Boutique und Museum, eine Vision aus Marmor, Zebranoholz, Leder und Kupfer. Der Laden hat selbstverständlich schon alle Designpreise abgeräumt.

Aber dafür war ich nicht gekommen. Sondern, um schlachtern zu lernen.


Vier Männer und ich – David, Phlebologe/Spezialist für Gefäßerkrankungen, Stuart, Medizintechniker, Mark, Hotelier, Luke, Weißichnicht – wurden in der hohen Kunst des Fleischhauens angelernt, anschaulich erklärt von David II, dem Schlachter. Roastbeef, T-Bone-Steak: Wo sitzt das, wie kriegt man das aus einem Hinterviertel geschnitten? Wir haben Messerschleifen und Schlachterknoten gelernt, damit der Braten schön in Form bleibt. Und auch, wie lange ein Steak nach dem Braten wirklich ruhen muss, damit sich die Säfte setzen. Nämlich laaaaaange. So lange, dass man schon denkt, es wird kalt. Wird es nicht, es wird nur gut.

Stranger than fiction

Freitag, 21. Januar 2011

Ich hätte ihn fast nicht erkannt. Nicht dass ihn schon jemals getroffen hätte, aber Terry Durack, mein Terry Durack war eine Tonne. Ein Drei-Zentner-Mann, ein Ich-bin-zwei-Olivenöltanks-Mann. Wie gesagt, ich hatte ihn noch nie gesehen, nur sein Autorenfoto in einem meiner liebsten Kochbücher, einer Ode an die Verfressenheit namens „Yum“, Untertitel: „A Voyage Around My Stomach“. Diese Reise wäre damals ein Tagestrip gewesen, heute ist es einmal kurz um den Block: Der Mann hat sich halbiert. Er sieht meinen Blick und sagt, ja, er habe ein bisschen abgenommen. Ein bisschen: von 160 auf 80 Kilo.

Ich hatte ihn zum Essen eingeladen, weil ich ihm eins schuldete, wie ich fand. Ich mochte „Yum“ so sehr, dass ich seinen Namen vor 11 Jahren für eine Romanfigur verwendete, einen fetten, genusssüchtigen, ganz und gar hinreißenden Wiener Kochbuchautor in „Auf und davon“. Er meldete sich sofort, fand’s gottlob lustig und nahm die Einladung an, „an offer I can’t refuse“. Und so trafen wir uns heute.

Er hatte das Universal vorgeschlagen: „Aufregende Küche, sehr gewürzbetont“ – schon gekauft. Terry ist Restaurantkritiker und Herausgeber von Sydneys alljährlich neu erscheinender Food-Bibel „Good Food Guide“, die hier soviel Gewicht wie der Gault Millau in Europa hat. Er ist nach acht Jahren Londoner Exil wieder nach Sydney zurückgekehrt, zusammen mit seiner Frau Jill Dupleix, die ebenfalls eine Food-Schreiberin ist und deren Bücher ich ebenfalls liebe. Es muss die perfekte Ehe sein: Seit 29 Jahren arbeiten sie den ganzen Tag Seite an Seite an ihren Büchern und Artikeln, jeder für sich. „Abends gucken wir uns an und fragen: Na, wie war dein Tag so, Liebling?“ Und dann kochen sie, mal er, mal sie. „Zu zwei Dritteln sie“, sagt er. „Vor allem, weil sie Spezialistin für die schnellen, leichten Gerichte ist. Ich dagegen koche erst mal eine Stunde lang einen Fond. Es dauert ewig, bis man bei mir was zu essen kriegt.“

Das Essen war köstlich. In jeder Hinsicht. Tolle Gerichte (ich lass’ es mal gut sein für heute mit der Beschreibung, ich rede hier ja nur noch vom Essen. Na schön, nur das oben rechts: Lakritzmousse mit Aperol-Gelee, karamelisiertem Fenchel und rosa Grapefruit), puppenlustiges Gespräch. Der Typ ist klasse. Zwar nur noch halbfett, dafür doppelkomisch. Später setzte sich noch die Chefin des Universal, Christine Manfield, zu uns. Stellt sich heraus: Erstens fliegt sie nächsten Monat nach Mumbai, um dort für ihr nächstes Kochbuch zu recherchieren, und klar hat sie tausend Tipps für mich dort. Und zweitens wohnen wir in derselben Straße. Im selben Haus. Im selben Stockwerk. Genau nebeneinander, sie Apartment 7C, ich 7B. Unfassbarer Zufall. Und schon habe ich ein Date für einen Feierabendwein.

Universal, Republic 2 Courtyard, Palmer Street (zwischen Burton und Liverpool Street), Darlinghurst, NSW 2010

Nachtrag: Kaum war ich zuhause, kam schon eine Mail von Christine mit zwölf Restauranttipps für Mumbai und einem Artikel, den sie mal über Buenos Aires geschrieben hat. Die Australier quatschen nicht nur, sie machen auch gleich. Man muss sie lieben.

Lesen und leben lassen

Mittwoch, 19. Januar 2011

Angela Purnell hatte letzten Herbst eine ziemlich großartige Idee: Wieso nicht zwei der angenehmsten Beschäftigungen der Welt – Lesen und Essen – zu einer neuen Form von Buchclub kombinieren? Also veranstaltet sie in Cafés, Cocktailbars und Schokoladenshops Lesungen und Diskussionsveranstaltungen – nein, die Wörter streichen wir gleich wieder, denn was hier tatsächlich stattfindet, ist die perfekte Fusion von Debatte und Dekadenz. Wie heute zum Beispiel in der Präsidentensuite des feinen Observatory Hotel: Maniküre & Martinis zum neuen Roman der australischen Bestsellerautorin Monica McInerney, At Home with the Templetons, der einem vorab hübsch verpackt nach Hause geschickt wurde. Das Buch ist keine literarische Glanzleistung, taugte aber allemal für ein lebhaftes Gespräch unter 15 lustigen Frauen, von der Psychiaterin bis zur Wein-Vermarkterin. Besonders nach dem zweiten Lychee-Martini wurde es interessant… Zwischendrin konnte man sich eine Maniküre verpassen oder einfach nur die Hände massieren lassen: göttlich.

Die Buchclubs (im heutigen Fall inklusive Drinks, Essen, Maniküre und Buch 65 AUS$, ein echtes Schnäppchen) finden ein- bis zweimal im Monat statt, zu buchen unter Books & Nooks.

Barfood

Mittwoch, 19. Januar 2011

Der Restaurantkritiker und Kochbuchautor Terry Durack, mit dem ich Freitag zum Essen verabredet bin (die Geschichte dazu folgt dann, die ist nämlich gut), schickte mir vorab einige Empfehlungen, was ich in Sydney unbedingt essen solle. Eine davon: einen Wagyu Burger und einen Martini in der Bar des Rockpool Bar & Grill. Und Gott, was für ein Burger! Medium rare gebratenes Wagyu-Rind, eine dünne Scheibe Gruyère, Zucchini-Pickles, in Rotwein und Sternanis (glaube ich jedenfalls) gegarte Zwiebeln, das alles auf einem leicht getoasteten Brioche – es war fantastisch.

Großartig auch das Ambiente: Über der Bar hängt ein Kronleuchter aus 2682 Riedel-Gläsern, der Raum selbst ist auch tagsüber angenehm dunkel. Und ab 18 Uhr pickepackevoll, man kommt also besser vorher. Unbedingt einen Blick in das eigentliche Restaurant nebenan werfen, es ist der vermutlich schönste Raum Sydneys.

Rockpool Bar & Grill, 66 Hunter St, Sydney NSW 2000