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Feierabend

Montag, 14. Februar 2011

Die Bar Plaza Dorrego in San Telmo, dem ältesten Stadtteil von Buenos Aires, ist völlig menschenleer, genau der Zustand, den ich bei Bars und Kneipen am meisten mag. Ich liebe nichts mehr als diese Zeit am Abend, in der nicht das Geringste los ist; in Deutschland wäre es 18 Uhr, hier ist es 20 Uhr. Man kriegt schnell ein Glas Wein gebracht von einem Kellner, den man beim Schwatzen unterbrochen hat, er stellt noch einen Teller mit Erdnüssen in Schale dazu und lässt einen ansonsten in Ruhe. Hier war schon jeder von Gardel bis Bill Clinton, ohne dass es der Bar geschadet hätte. Sie ist trotz der großen Fenster, durch die man auf die kleine Plaza Dorrego blickt, dunkel und auf angenehme Weise dreckig, ein ganz und gar vertrauter Ort, auch wenn man noch nie zuvor hier war. Hola, da kommt auch schon mein Dinner-Begleiter, mit dem ich hier für den Aperitif verabredet bin. Schade, er ist pünktlich. Ich hätte gern noch ein bisschen vor mich hingeträumt.

Bar Plaza Dorrego, Defensa 1098, täglich 8 bis 3 Uhr.

Eisberge

Mittwoch, 9. Februar 2011

Vor der Kamera, im Uhrzeigersinn: Sambayón granizada (Zabaglione mit dunklen Schokosplittern), Maracuyá, Dulce de Leche Volta (das typisch argentinische Milchkaramell, hier mit karamelisierten Haselnussstücken), Chocolate con almendras (mit ganzen Mandeln). Hinter der Kamera: reine Gier. Ich habe den allerperfektesten Eisladen entdeckt in einer Stadt, die an perfekten Eisläden nicht arm ist: Un’ altra volta, Produzent unglaublicher Geschmacksbomben von einer Konsistenz, für die dringend ein neues Vokabular erfunden werden muss. Teuer, und zwar völlig zu Recht, und blöderweise genau auf meinem Weg zwischen Zuhause und Sprachschule. Aber selbst wenn es da nicht liegen würde: Die liefern. Allen Ernstes, das habe ich eben ausprobiert. Online wählen, ob man ein halbes oder ein ganzes oder gleich zwei Kilo Eis will und welche Sorten – ein Fahrradbote steht nach einer halben Stunde mit einem Styroporcontainer vor der Tür. Es ist der Himmel.

Puerta cerrada

Sonntag, 6. Februar 2011

Roxanne, Ärztin aus Montreal. Judy aus Wisconsin, mit ihrem Mann Richard fünf Wochen in Argentinien unterwegs; hinterher wollen sie nach Paris und dann mit ihrem Enkel nach England zur Hogwarts University. Gerry aus London: in Buenos Aires, um Tango zu lernen. Karen, Chirurgin aus Toronto. Robin, Schauspiel-Agentin aus Los Angeles; arbeitet diesen Monat in Buenos Aires, weil es egal ist, in welchem Land sie am Schreibtisch hockt. Dan, Gastgeber. Ruta, Werbefilmschauspielerin; hat zuletzt einen Werbespot für Harley Davidson gedreht und musste dafür schreien lernen. Isa aus Venezuela und ihr Mann Craig, der anderthalb Jahre in Hannover gearbeitet hat.

Verdammt, war das ein lustiger Abend. Zehn Wildfremde trafen sich heute abend am Tisch von Dan Perlman, der jeden Freitag und Samstag private Dinnerpartys für bis zu 12 Leute schmeißt. Die lateinamerikanische Sitte der paladares oder puertas cerradas, also der Privatrestaurants hinter nur vorgeblich geschlossenen Türen, hat ja auch schon nach Deutschland, speziell nach Berlin übergegriffen, Dan hat auf seiner Website wunderbarerweise solche Geheimlokale weltweit gesammelt.

Es funktioniert so: Man meldet sich auf der Website an und bekommt dann die Adresse mitgeteilt. Dans Casa SaltShaker – seine Wohnung – liegt in einer ruhigen Straße in Recoleta. Das fünfgängige Menü mit Begrüßungsdrink, Wasser und passenden Weinen zu jedem Gang kostet 35 Euro, was in Buenos Aires schon am oberen Ende der Preisskala liegt.

So was steht und fällt natürlich mit den Gästen. Diese hier waren ausnahmslos spannend, eine Mischung von entspannten Kosmopoliten, wie man sie in Buenos Aires öfter trifft. In Nullkommanichts hatten Ruta, ursprünglich aus Litauen, jetzt in Los Angeles lebend, und ich herausgefunden, dass wir eine gemeinsame Freundin in Hamburg haben. Klitzekleine Welt. Sie schickt mir jetzt den Namen einer Freundin aus Mumbai, die soll ich unbedingt treffen. Genau das ist es, was ich so am Reisen liebe: dieses Schneeballsystem, das den Planeten in ein Kügelchen verwandelt. Mit Robin gehe ich nächste Woche was trinken, mit Richard und Judy zu einem Spiel der Boca Juniors in der Bombonera, Gerry hat uns alle für morgen an den Pool des Four Seasons eingeladen, aber vielleicht gehen wir doch lieber auf den Flohmarkt in San Telmo.

Danach ging ich selig nach Hause (übrigens kein Problem, hier nachts zu Fuß unterwegs zu sein) und kam an einem noch offenen CD-Laden in der Avenida Callao vorbei. Im Fenster lag eine CD von Astor Piazzola und Gerry Mulligan, die mich interessierte. Also rein, gekauft. Wieso sind hier um Mitternacht überhaupt noch so viele Leute? Der Kassierer: „Wir haben gleich eine Jam Session hinten. Bleiben Sie doch.“ Klar bleibe ich. Das Hinterzimmer entpuppt sich als ausgewachsener Jazzclub mit weißgedeckten Tischen. Ich höre mir das Trio auf eine Whiskylänge an (und die ist hier lang, es wird gerecht eingeschenkt). Als ein älterer Herr auf die Bühne springt und „Let’s get lost” singt, einen alten Lieblingssong von mir, muss ich losheulen. Let’s get crossed off everybody’s list. Schöner kann es gar nicht kommen. Das Glück des Reisens ist der Zufall.

Casa SaltShaker: Das Menü, das sich immer an obskuren Anlässen wie „100 Jahre Luftpost“ oder wie heute am „Jahrestag der Befreiung von San Marino“ orientiert, wird jeweils drei Wochen vorher auf Dans Website bekannt gegeben.

Notorious Jazz, Avenida Callao 966

Surftipp 1

Samstag, 5. Februar 2011

Layne Mosler betreibt die amüsante Website Taxi Gourmet. Für den Guardian hat sie sich von Taxifahrern in Buenos Aires zu deren Lieblingsrestaurants fahren lassen.

Eros

Donnerstag, 3. Februar 2011

„Wir könnten uns im El Preferido de Palermo treffen, das ist ein nettes Bistro. Oder im Vereinsheim des Sportclubs Eros.“ Keine Frage, oder? Natürlich der Sportclub Eros. Links das geflieste Indoor-Fußballfeld, wo die Blutgrätsche wirklich ihren Namen verdient (aber zumindest kann man’s gleich wegfeudeln). Das dazugehörige Café serviert prima Steaks für schmales Geld. Bestellt man einen Kartoffel-Ei-Salat dazu, bekommt man: gekochte Kartoffeln, ein halbiertes hartes Ei und eine Flasche Mayonnaise. Große Klasse.

Uriarte 1609 (y Honduras), Palermo

Medialunas

Dienstag, 1. Februar 2011

Es geht schon wieder los. An der nächsten Straßenecke nämlich ist La Americana, „die Königin der Empanadas“, der gefüllten Teigtaschen, die hier zu jeder Tageszeit gegessen werden. Die müssen uns jetzt nicht weiter kümmern, die kriegen wir später. Leider haben sie dort aber auch Medialunas, leicht gesüßte kleine Croissants, eher saftig als krümelig und vollständig suchtbildend. Stück 1,10 AR$, umgerechnet 20 Cent. Das wird mein Untergang. Man sieht es schon an dem Foto oben: Ich konnte es mal wieder nicht abwarten und musste das angebissene Medialuna hinter seinem großen Bruder verstecken.

Avenida Callao 83, Buenos Aires

Die Sache mit den Hotels

Sonntag, 30. Januar 2011

Lange habe ich nicht kapiert, dass hier mit Hotels Pubs gemeint sind. Das Old Fitzroy Hotel ist so eins, gut hundert Jahre alt, die klassische Bierschwemme. Wobei: nicht ganz. Teil des Pubs ist ein Theater, die Heimat der Off-Theatertruppe Tamarama Rock Surfers. Die bieten ein prima Package für einen entspannten Kneipen- und Kulturabend: „A beer, a laksa & a show“. Für 35 AUS$ bekommt man ein Bier, eine leckere malayische Suppe und eine Vorstellung, in diesem Fall: Stand-Up Comedy von Arj Barker, der die Gags seines neuen Programms an einem willigen Publikum von circa 40 Leuten ausprobierte. Sagen wir mal so: Die Suppe war heißer.

129 Dowling Street, Woolloomooloo, NSW 2011

Yum Cha

Samstag, 29. Januar 2011

Eines der beliebtesten Samstagsrituale in Chinatown ist Yum Cha. Das heißt ursprünglich einfach nur „Tee trinken”, in Wirklichkeit geht es aber, wie bei so vielem hier, um Essen. Nämlich um eine ausgedehnte Dim Sum-Mahlzeit. Die meisten Yum Cha-Läden sind riesig groß, es passen bis zu 500 Leute rein, die sich an großen runden Tischen versammeln. Das Spiel geht so: Alle paar Minuten rollert eine freundliche Dame einen Wagen mit neuen Köstlichkeiten heran, von dem man sich aussucht, was man haben möchte. Gedämpfte Teigtaschen, mit Shrimps oder Hackfleisch gefüllt, Entenbrust, Frühlingsrollen, Hefeklöße, Krebse… Es hört einfach nicht auf.

Bislang war der Lokalmatador das Marigold, jetzt kommt aber Konkurrenz in Form des brandneuen „The Eight“ im dritten Stock der Market City. Richtig, richtig gut war’s, besser habe ich Dim Sum selten gegessen. Die anderen anscheinend auch nicht, der Laden war knallvoll, und das, obwohl er erst vor einer Woche eröffnet wurde.

Level 3, Market City, 9-13 Hay Street, Sydney, NSW 2000

Rollkommando

Donnerstag, 27. Januar 2011

Ein absolutes Muss. Auf so was reagiere ich ja in der Regel allergisch, besonders dieses Jahr. Nein, ich muss überhaupt nichts, das ist ja das Schöne. Harry’s Café de Wheels, eines dieser absoluten Müsse von Sydney, habe ich also bis jetzt immer umschifft. Harry’s ist eine Imbissbude, die es seit 1945 gibt und die inzwischen unter Denkmalschutz steht. Zu essen bekommt man hier das, was es immer schon gab: Pies, darauf einen Schlag Erbsenpüree und Bratensauce. Seit 1970 gibt es außerdem Hot Dogs – eine Revolution damals! –, unter anderem die Hausspezialiät „Hot Dog de Wheels“ mit Chili con carne, Erbsenpüree, Knoblauch-Zwiebeln, Käsesauce und Chili-Sauce. Ganz recht, alles zusammen.

Den Namen verdankt der Laden der Tatsache, dass laut damaliger städtischer Vorschrift temporäre Imbissbuden jeden Tag mindestens 30 Zentimeter bewegt werden mussten. Also mussten Räder dran. Und wie das immer so ist mit kulinarischen Legenden: Zuerst kamen die Matrosen (Harry’s steht direkt vor dem Marinehafen von Woolloomooloo, eine Bucht von der Oper entfernt), dann die Taxifahrer, dann die Nachtschwärmer, dann alle anderen. Im Lauf der Jahre unter anderen Frank Sinatra, Marlene Dietrich, Robert Mitchum. Elton John hat hier sogar mal eine Pressekonferenz gegeben. Fotos der berühmten Besucher sind an die Außenwände der Bude genagelt.

Und wie ist er nun, der berühmte Pie von Harry? Ich habe die pure Variante bestellt (es war morgens kurz nach neun am Australia Day, da war mir noch nicht nach Erbsenpüree), und zwar einen Curry Pie, formlos serviert auf einem Stück Pergamentpapier (die Servietten entnimmt man einer Kleenex-Box). Eine faustgroße Kalorienbombe, mit sehr gutem mageren Fleisch in einer dicken braunen Sauce, tatsächlich ziemlich lecker. Und ziemlich scharf. Ich war jedenfalls hinterher erstens satt und zweitens wach.

An der Ecke Cowper Wharf Roadway und Brougham Road, Woolloomooloo, NSW 2011

Freitagabend-Fleischbeschau

Samstag, 22. Januar 2011

Freitagabends geht man aus, ich natürlich auch. Und zwar in den heißesten Club der Stadt, die Fleischerei Victor Churchill. Victor Churchill ist eine Legende, sie produzieren fantastisches Fleisch, bis zu 600 Tagen gras- oder getreidegefüttert, alles vor Ort trockengereift. Das Fleisch hängt für etwa vier Wochen mitten im Laden in einer Kühlkammer vor einer Wand aus Himalayasalz. Es verliert dabei etwa ein Drittel an Gewicht, gewinnt aber ungemein an Geschmack. (Ich schwöre, das ist der letzte Fress-Eintrag für lange Zeit, es wird mir schon selbst peinlich.)

Es ist die mit Abstand schönste Schlachterei, die ich je gesehen habe. Irgendwo zwischen Boutique und Museum, eine Vision aus Marmor, Zebranoholz, Leder und Kupfer. Der Laden hat selbstverständlich schon alle Designpreise abgeräumt.

Aber dafür war ich nicht gekommen. Sondern, um schlachtern zu lernen.


Vier Männer und ich – David, Phlebologe/Spezialist für Gefäßerkrankungen, Stuart, Medizintechniker, Mark, Hotelier, Luke, Weißichnicht – wurden in der hohen Kunst des Fleischhauens angelernt, anschaulich erklärt von David II, dem Schlachter. Roastbeef, T-Bone-Steak: Wo sitzt das, wie kriegt man das aus einem Hinterviertel geschnitten? Wir haben Messerschleifen und Schlachterknoten gelernt, damit der Braten schön in Form bleibt. Und auch, wie lange ein Steak nach dem Braten wirklich ruhen muss, damit sich die Säfte setzen. Nämlich laaaaaange. So lange, dass man schon denkt, es wird kalt. Wird es nicht, es wird nur gut.