Guter Rat

Donnerstag, 23. Juni 2011

Schönes Video: 29 ways to stay creative. Ich würde sogar sagen: 29 ways to stay alive. Der beste Rat: Nummer 25.

29 WAYS TO STAY CREATIVE from TO-FU on Vimeo.

Wait a minute, Mr. Postman

Donnerstag, 23. Juni 2011

Was für ein Tag. Auf dem Friedhof (für einen SZ-Job), bei meiner ersten Rolfing-Session (für einen anderen SZ-Job), beim Treffen eines Mail Art Clubs (noch ein SZ-Job). So sehr ich Tage genieße, an denen ich meiner eigenen Nase folge, so sehr mag ich es auch, irgendwohin geschickt zu werden, wo ich alleine nie hingegangen wäre. Es ist ein bisschen wie Radiohören: Im besten Fall bekommt man etwas erzählt, mit dem man nicht gerechnet hat, das einen aber augenblicklich entzückt und entflammt. Das ist einer der Gründe, warum ich den bereits erwähnten Sender NPR so mag (und zuhause Deutschlandradio und Deutschlandfunk): Für eine Stunde oder eine halbe gilt meine ungeteilte Aufmerksamkeit Dingen, von denen ich vorher noch nie gehört habe und mit denen ich mich freiwillig nie beschäftigt hätte. Stammzellentherapie, Hackerangriffe, ein bis dahin unbekannter Autor – hinterher bin ich immer schlauer und oft inspiriert, selber weiterzuforschen. Das ist um so schöner, als ich ansonsten, wie wahrscheinlich die meisten, zu oft damit beschäftigt bin, mir die Ohren zuzuhalten, um nicht verrückt zu werden angesichts all der Informationen, die auf einen niederprasseln.

Dasselbe gilt für die kleine Aktion, die ich für das SZ Magazin mache: Leseraufträge in den jeweiligen Städten zu erfüllen. Was für tolle Leute ich dadurch schon kennengelernt habe! In was für Ecken ich geraten bin! Es hat mir auch meinen Beruf neu beigebracht: Es geht darum, ein wenig die selektive Wahrnehmung abzulegen und sich allem wieder unvoreingenommen zu nähern. Und die ganz einfachen Fragen zu stellen: Was ist das? Wie geht das? Warum macht ihr das?

Heute also traf ich die Brieffreundin einer SZ-Leserin, Pamela Gerard. Der Auftrag: Mach ein Foto von ihr, ich habe sie noch nie gesehen. Pamela ist eigentlich Fotografin und uneigentlich Mail Artist: Sie schickt die wunderbarsten Kunstwerke durch die Welt, selbstgemachte Postkarten (eine Auswahl unten), liebevoll gestaltete Briefumschläge. Sie brachte drei Briefe mit, die sie heute wegschicken will, unter anderem an ihren Künstlerfreund Super Hero, der gerade französisch lernt, weshalb sie ihm eine Box mit französischen Süßigkeiten schickt und einen Brief, den sie aus einer Seite eines französischen Schulbuchs gebastelt hat. Auch die Briefmarken, die Aufkleber: alles sorgsam ausgesucht und fein komponiert.

Pamela schreibt sich mit etwa 100 Brieffreunden weltweit, viel Zeit und einiges Geld geht dafür drauf, aber die Befriedigung, sagt sie, sei unbezahlbar. Auf ihrem Weblog sieht man, was täglich so in ihrem Briefkasten landet.

Netterweise nahm sie mich zu einem Treffen von weiteren Mail Artists aus San Francisco mit, ins Leben gerufen von der Buchbinderin Jennie Hinchcliff (unten rechts), die über ihre Mail Art-Obsession ein ebenso hübsches wie nützliches Buch geschrieben hat. Beim Treffen wurden Ideen und Materialien ausgetauscht, viele Mailer trafen sich erstmals im wahren Leben, und Maureen erzählte, wie sie die Leute vom Postamt Berkeley gerade zu überreden versucht, dem Club alte Postlager-Briefkästen zu überlassen, die hinter dem Postamt verrosten. Es ist eine so warme, eigensinnige, liebenswerte Gruppe von Leuten. Und großzügig, alle. Denn sie wissen um die richtige Reihenfolge: Man muss erst mal selber was senden, um etwas zu empfangen. Und das ganz ohne Erwartungen. „Weißt du“, sagte Sally, „es ist mir eigentlich egal, ob ich selber Post bekomme. Es macht einfach so einen riesigen Spaß, sich Dinge auszudenken und sie zu verschicken.“


Thrilling

Dienstag, 21. Juni 2011

Der arme Mann in der Touristeninformation von Bodega Bay seufzt und reicht die Karte rüber. „Die Szene mit den fliehenden Kindern und dem Schulhaus wurde in Bodega gedreht, nicht in Bodega Bay. In Bodega Bay dafür die Szenen, in denen Tippi Hedren mit dem Wagen in die Stadt fährt, und der Brand auf der Tankstelle, gleich gegenüber bei The Tides.“ Die Rede ist natürlich von „Die Vögel“ von Alfred Hitchcock, der das Städtchen berühmt gemacht hat und jeden Tag Hunderte von Touristen nach dem Schulhaus suchen lässt. Vermutlich ist hier schon jede Möwe fotografiert worden, stets mit leichtem Gruseln. Die Armen – was man denen alles unterstellt!

Das alte Schulhaus ist heute Privatbesitz, wie ein leicht genervter Teenager unmissverständlich klar machte. Muss nicht schön sein, ständig besichtigt zu werden.

Unerwartet idyllisch wurde es dann ein paar Meilen nördlich, im kleinen Nest Jenner. Das Café Aquatica liegt direkt an der Mündung des Russian River in den Pazifik, es serviert fabelhafte Crab Sandwiches und von der Holzterrasse aus einen Hammerblick auf den Fluss.

Café Aquatica, 10439 Highway 1, Jenner, CA 95450

Born to run

Dienstag, 21. Juni 2011

Ein Nachtrag zum Thema Saxophon und Halleluja-Moment: Vorgestern ist Clarence Clemons gestorben. Den Namen kannte kaum einer, den Sound praktisch jeder: Er war der Saxophonist von Bruce Springsteens E-Street Band. Ihm verdanke ich einen der größten Tränenmomente meines Lebens: Als ich vor vier Jahren den New York Marathon lief (auch eines von diesen Dingern, die ich mir einfach beweisen wollte), wurde gleich nach dem Startschuß Born to run von Bruce Springsteen gespielt. Wir liefen über die Verrazano Bridge von Staten Island nach Brooklyn – übrigens die erste Brücke, die den Längenrekord der Golden Gate Bridge gebrochen hat –, über uns kreisten die Helikopter der Nachrichtensender, unter uns floß der East River, ich hörte dieses Saxophonsolo, so voller Zuversicht und Kraft, und dachte: Ich schaffe das. Keine Ahnung, wie, aber ich schaffe das. Everytime we say goodbye, Clarence.

Body & Soul

Dienstag, 21. Juni 2011

Also – was macht man an einem Tag, an dem man alles machen kann, wenn er in einem Jahr liegt, in dem man alles machen kann? (Und, wenn man mal darüber nachdenkt: in einem Leben, in dem man alles machen kann.) Weil mein Geburtstag auf einen Sonntag fiel, wollte ich ihn klassisch beginnen lassen: in der Kirche. Allerdings in einer nicht so klassischen Kirche: der St. John Coltrane African Orthodox Church in der Fillmore Street (danke, Hollow, altes Haus, für den Tipp), die den großen Jazzsaxophonisten John Coltrane als Heiligen verehren. Der sonntägliche Gottesdienst – ich durfte nicht fotografieren, aber die New York Times war 2007 mal da und hat Bilder gemacht – ist deshalb auch mehr Jam Session als tonloses Gebetsgemurmel. Die Gemeinde bekommt Tambourine und Rasseln in die Hand gedrückt, der Mann neben mir packt seine Posaune aus, und vorn neben der Kanzel spielen die Ministers of Sound: Archbishop Franzo King in seiner schönen lila Soutane am Tenorsaxofon, Reverend Wanika King Stephens, die Pastorin, am Bass, Brother Frederick Harris am Schlagzeug und Mother Marina King and the Sisters of Compassion singen, andere Mitspieler kommen und gehen. „This is not entertainment“, sagt die Pastorin zu Beginn, und in der Tat, es ist einer der innigsten Gottesdienste, die ich je erlebt habe, inklusive einer tränentreibend schönen zwanzigminütigen Version von Coltranes tiefspirituellem „A Love Supreme“, so ekstatisch wie das Original. Jazz kriecht immer wieder in die zweistündige Veranstaltung hinein. Während der Predigt, in der es um die geistliche Erneuerung geht und die Notwendigkeit, jeden Tag ein wenig zu sterben, um das alte Leben abzulegen, improvisiert der Pianist ein bisschen auf Coltranes Klassiker „Everytime we say goodbye“ herum, und die Jazz-Liebhaber im Publikum grinsen. Denn das Lied geht so weiter, wie Ella hier singt: „Everytime we say goodbye I die a little“.

St. John Coltrane Church, 1286 Fillmore Street, Gottesdienst Sonntag um 11.45 Uhr

Die Seele war also gut genährt, jetzt ist der Leib dran. Ich hatte einen Tisch im Sutro’s reserviert, einem Restaurant im alten Cliff House am Ocean Beach. Die Sutro Baths, 1896 eingeweiht und 1966 nach einem Brand geschlossen, waren mal das größte Schwimmbad der Welt, mit einem Süßwasser- und sechs Salzwasserpools (mit unterschiedlichen Temperaturen). Das Bad war damals eine technische Sensation, darüber gibt es sogar noch einen reizenden alten Filmschnipsel, den Thomas Alva Edison persönlich gedreht hat. Heute: eine Ruine, nur das Cliff House steht noch, wenngleich in seiner X-ten Reinkarnation.

Wie immer: ein Logenplatz für die Alleinesserin, direkt am Fenster zum Ozean. Und weil ich meinen Tischnachbarn gegenüber erwähne, dass ich Geburtstag habe, bringt der Kellner, der gut zugehört hat, am Ende ein Butterscotch Pot de Crème mit einer Kerze. Mir wird nichts mangeln.

Plus dieser Blick, zum Besoffenwerden.

Bis hierhin also schon mal ganz gut. Aber jetzt. Was ich bislang noch nicht geschafft habe, wird heute unvermeidlich: Um nach Sonoma zu kommen, ins wine country, muss ich über die Brücke. Die Brücke.

Es war mindestens ein solcher Halleluja-Moment wie am Morgen in der Kirche. Es ist bestimmt keine gute Idee, mit Tränen in den Augen und dazu durch die Windschutzscheibe fotografierend über die Golden Gate Bridge zu fahren, aber St. John Coltrane oder sonstwer war bei mir. Woran liegt es nur, dass mich Bauwerke so rühren? Ist es die Arbeit, die Tapferkeit, der Wahnsinn, die Beharrlichkeit, die immer darin stecken? Ich erinnere mich an eine Geschichte, die uns beim Besteigen der Harbour Bridge in Sydney erzählt wurde (mein Gott, vor einem halben Jahr…): wie die Arbeiter, auf schmalen Streben hoch über dem Wasser balancierend, die glühenden Niete, die ihnen über mehrere Meter Entfernung zugeworfen wurden, mit einem Eimer auffingen. Sechs Millionen Niete. Unvorstellbar, diese Arbeit. Von der Golden Gate Bridge gibt es die schöne Story, dass der letzte Niet aus puren Gold war und unter gewaltigem Presserummel eingeschlagen wurde. Nur hielt er, da Gold sehr weich ist, die starke Erhitzung nicht aus, löste sich und fiel ins Wasser. Und ward nie mehr gefunden.

Weiter, nach Sonoma. Sonoma gilt als das unschickere, unangestrengtere der beiden Weintäler nördlich von San Francisco. Also das richtige für mich. Die Fahrt dorthin: zu meiner Lieblingstageszeit, dem späten Nachmittag. In diesem faulen goldenen (nietenfarbenen) Licht, das sagt: Jetzt ist der Tag schon fast vorbei, jetzt kannst du langsam loslassen. Aber genieß dennoch die Wärme, jede Minute davon (Doktor Freud, jetzt Sie mal wieder…). Meine Reservierung im Gaige House Inn war durchs System gerutscht, trotzdem hatten sie ein Zimmer für mich. Ein großes, schönes, trotzdem billiges. „Why don’t we give her the king room?“ Yeah, why don’t you.

Glen Ellen ist der wahrscheinlich verschlafenste Ort im Sonoma Valley. Deshalb stehen Körbe mit Taschenlampen bereit für diejenigen, die abends zum Essen hinausgehen. Denn Straßenbeleuchtung: Pustekuchen. Wenn man zurückkehrt, steht dafür eine Schale mit noch warmen, frischgebackenen Keksen im Gaige House bereit. Geradezu leuchtend.

Gaige House, 13540 Arnold Drive, Glen Ellen, CA 95442

Aber vorher: ein weiterer der vielen Zufälle dieser Reise, die ich inzwischen für fast selbstverständlich halte. Die nette Rezeptionistin empfiehlt zum Abendessen das benachbarte Fig Café. Ich ziehe also mit meiner Taschenlampe los, lasse mich gern an die Bar setzen, bestelle und gucke mich um. Neben mir: eine Frau, die ebenfalls allein isst. Natürlich reden wir. Stellt sich heraus: Birgitta aus Hannover, wohnt seit 16 Jahren in San Francisco, arbeitet bei IBM, pingpongt als Softwareentwicklerin durchs ganze Land. Und. Hat. Heute. Auch. Geburtstag. Also bitte! Ich lache nur. Wie gesagt: MIr sind in diesem Jahr schon so viele Wunder begegnet, dass ich fast schon mit ihnen rechne.

Ein guter Tag, ja? Ein perfekter Tag, würde ich sagen. Halb geplant, halb eben gerade nicht. Und wieder mal sind die ungeplanten Momente so unendlich viel gelungener.

Und deshalb, weil dies so ein Jazztag war, das Motto des Tages, gespielt von Miles Davis und John Coltrane: So what. Coltrane steigt mit seinem Solo bei Minute 2:00 ein. Und circa 30 Sekunden später sieht man Miles Davis eine Zigarette rauchen, wohl wissend, dass es etwas dauern könnte.


Feiertag

Sonntag, 19. Juni 2011

Der 19. Juni ist ein ganz besonderer Tag, es gibt gleich zwei Gründe, ihn zu feiern: Erstens ist heute Juneteenth oder auch Freedom Day, der Tag, der das Ende der Sklaverei in den USA markiert. Zweitens ist heute, ebenfalls in den USA, Vatertag. Und da ich den deutschen leider verbaselt habe (aber jeder eine zweite Chance bekommt): Happy Father’s Day.

Ach so, und mein Geburtstag. Um genau zu sein: einer von 365 Geburtstagen, die ich dieses Jahr feiere. Kein Freedom Day, sondern ein Freedom Year, für das ich jeden Tag dankbar bin. Und deshalb: Vielen Dank für die guten Wünsche, an diesem Tag wie an allen anderen, die ich von Euch Mitreisenden bekomme. Danke für die Anregungen, die Aufmunterungen, die Unterstützung – oft genug trägt mich diese Welle durch die Flauten, die es auf so einer Weltumseglung eben auch mal gibt. Gottseidank, denn sonst wäre all das Glück ja nicht auszuhalten.

Und deshalb, passend zum Thema, der größte Karaoke-Kitschklassiker aller Zeiten, vorgetragen von der göttlichen Miss M (im großen Blauen). Heute darf ich das. Ein Taschentuch, bitte. Schnell!

Wurzeln

Samstag, 18. Juni 2011

In diesem Jahr gibt es immer wieder Momente, in denen ich denke: Was, wenn ich jetzt einfach bliebe? Ich lese die Lokalzeitung (in diesem Fall den Monterey Herald) und stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich hier leben würde. Heute abend könnte ich zum Beispiel zum Contra Dance gehen, wie das wohl ist? Oder ich würde eine Geocaching-Wanderung mitmachen, heute um eins im Garland Park in Carmel Valley. Danach zum „Book and Garden Sale“ der Community Church, ein paar alte Bücher und ein paar neue Pflanzen für meinen imaginären Bauerngarten kaufen. Und die 40er-Jahre-Poolliege, gusseisern, mit verstellbarem Rückenteil aus dem Kleinanzeigenteil anschauen fahren. Und morgen früh beim 5-Kilometer-Charitylauf „Run in the name of love“ mitlaufen.

Oft fängt es in solchen Momenten zu ziepen an. Wieder Wurzeln schlagen, irgendwohin gehören… Natürlich kann ich auch als Durchreisende zum Tanz gehen oder die fünf Kilometer mitlaufen – ich mache es ja oft genug, es ist eines der großen Vergnügen dieses Jahres, überall eintunken zu können. Aber danach schmeiße ich halt meine Sachen ins Auto und weiß: Die Leute siehst du nie wieder.

Der Luxus dieses Jahres besteht für mich darin, den vielen kleinen Nebenwegen zu folgen, die jeder Ort bietet. Einfach spontan eine Abzweigung zu nehmen und zu schauen, wohin sie führt: vielleicht auf eine ganz neue Straße, von deren Existenz ich noch nicht mal gewusst habe. Und vielleicht am Ende auch einfach nur nach Hause.

Aber erst mal bleibe ich noch eine Stunde vor dem Feuerchen in Doris’ Wohnzimmer-Lobby sitzen und lese weiter in den Kleinanzeigen. „18jähriger grauer Schnauzer vermisst, kahle Stelle auf dem Rücken, halb blind/taub. Zuletzt am 13.6. am Fluss hinter dem Crossroads Shoppingcenter gesehen. Belohnung!“ Genau das meine ich: Manchmal hätte ich halt auch gern einen 18jährigen kahlen halbblinden Hund, für den ich jeden Preis bezahlen würde.

Katzentisch

Samstag, 18. Juni 2011

Ein kleiner Exkurs zum Thema Allein essen. Für viele ist es ein Horror: allein in ein Restaurant gehen, allein am Tisch sitzen, auf das Essen warten, niemanden zum Reden haben – grässlich. Dann lieber eine Tüte Chips auf dem Beifahrersitz, eine Cola von der Tanke, Käse und Brot im Hotelzimmer. Mir ging es auch lange so, aber wenn ich eines auf dieser Reise gelernt habe, dann: allein zu essen. Natürlich gehe ich immer lieber mit jemandem aus, aber oft ergibt es sich halt nicht, und der Magen knurrt trotzdem. Je nach Tagesform gehe ich dann entweder in Läden, die für Alleinesser wie geschaffen sind, Oyster Bars, Sushirestaurants und Läden wie Le Pain Quotidien mit ihren Community Tables oder in klassische Restaurants mit Zweier- und Vierertischen – nur um festzustellen, dass an den meisten Zweiertischen nicht viel mehr geredet wird als an meinem eigenen Tisch.

Die besten Esserlebnisse habe ich verlässlich dann, wenn ich gar nicht vorgehabt hatte zu essen. Heute zum Beispiel fuhr ich den Highway 1 von Carmel nach Big Sur, eigentlich nur, um die Landschaft anzugucken und NPR zu hören, einen der besten Radiosender der Welt. Talk of the Nation, Fresh Air mit Terry Gross, All Things Considered – ich bleibe manchmal, und das passiert mir in Deutschland eher selten, im Auto sitzen, um eine Sendung fertig zu hören. Kurz hinter Big Sur wies ein unscheinbares Schild zur Post Ranch Inn, an dem ich zuerst vorbei fuhr, schon weil ich gar nicht danach geschaut hatte. Aber irgendwas klingelte. Post Ranch Inn: war das nicht irgendein dolles Hotel oder so was? Also zurück, den Berg hoch. Eine Frau in einem Wachhäuschen: Wohin ich denn wolle? Na, einfach mal gucken, sagte ich. Es gebe aber gar nichts zu sehen, sagte sie milde, offenbar gewohnt, Leute abzuwimmeln. Ich würde gern ins Restaurant, was Kleines essen, sagte ich (ein Restaurant werden sie ja wohl haben). Sie winkte mich durch, ich fuhr weiter den Berg hoch, ließ mir von der Rezeption den Weg über einige geplankte Wege und Holztreppen zum Restaurant zeigen – und wurde an diesen Tisch gebracht.

Oh. Mein. Gott. Ich wollte eigentlich wirklich nichts essen, denn um 15 Uhr hatte ich mich zum Afternoon Tea im Cypress Inn angemeldet, aber wie, bitte, kann man hier nichts essen? Nur was Kleines. Roher Ahi Tuna in Sesam-Kruste mit Wasabi-Soja-Emulsion, dazu ein kleiner Salat mit Kresse, Koriander und knusprigen Wontonstreifen, ein Glas Vouvray dazu, passt schon. Und wieder mal die Erfahrung: Als Alleinesser wird man hier ungewöhnlich gut behandelt. Kein Katzentisch, sondern die Loge. Mein Kellner schenkt das Weinglas besonders voll („Die Flasche ist sowieso fast leer“) und stellt mir hinterher einen Teller mit Petit Fours hin, obwohl ich weder Kaffee noch Dessert wollte. Himmlisch. Ich habe mich keine Minute gelangweilt, und das ohne Buch.

Post Ranch Inn, 47900 Highway 1, Big Sur, CA 93920. Hier gibt es weitere Fotos zu sehen.

Dann schnell nach Hause, zu Doris. Doris’ Signature Tea. Reservations recommended. Husbands and pets welcome, stand auf der Karte. Und diese Mahlzeit war genau so bezaubernd. Ein Teetablett mit Gurken- und Lachssandwiches, scones und Früchtekuchen, das Geplauder von älteren Herrschaften mit Dackeln und Pudeln auf dem Schoß: „Wir haben so viele Eichhörnchen dieses Jahr, ihr auch?” Just lovely.

Und niemand, niemand hat mich von dem Vergnügen abgelenkt, diese beiden so unterschiedlichen Alleinesserfahrungen mit allen Sinnen zu genießen.


Che sera

Freitag, 17. Juni 2011

Von Carmel wusste ich vorher nur, dass Clint Eastwood in den späten Achtzigern hier mal Bürgermeister war. Er war angetreten, weil er sich über die Stadtverwaltung geärgert hatte, wurde mit 72 Prozent der Stimmen gewählt und hat es zwei Jahre lang durchgezogen. Als er dann aber wieder mal über den Neigungswinkel eines Garagendachs entscheiden musste, beschloss er, dass das Leben zu kurz sei für so was.

Das Örtchen ist auf geradezu alberne Weise niedlich. Lauter Hutzelhäuschen, darin nette Bistros und Galerien. Davor: einer der schönsten Strände der Küste.

Und ein neues Heim für zwei Nächte: das Cypress Inn, ein ebenfalls niedliches kleines Landhotel, das Doris Day gehört. Doch, die lebt noch. Natürlich steht sie nicht hinter dem Tresen mit ihren 87, aber sie steuert zumindest den Soundtrack in der Bar bei. Vorbildlich und ungemein stilvoll: Auf jedem Zimmer steht eine Karaffe mit kostenlosem Sherry. Passend zum Gaskamin.

Cypress Inn, Lincoln & 7th St, Carmel-by-the-sea

Das Wort zum Freitag

Freitag, 17. Juni 2011

Miss Kitty, die weissagende Automatenkatze in einem Shoppingcenter in Monterey, sagte nach Zahlung eines Dollars: „Fleiß wird irgendwann belohnt, Faulheit sofort.“ Und wer bin ich, einer Automatenkatze widersprechen zu wollen?