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Wie im Schlaf

Samstag, 23. April 2011

So wie die Schlussszene eines meiner ewigen Lieblingsfilme, „Es war einmal in Amerika“, habe ich mir immer Shanghai vorgestellt: eine Stadt wie eine Opiumhöhle, dunkel, verboten, ein Ort des Vergessens. Bestimmt kein Zufall, dass meine Lieblingsorte alle in dieses somnambule Muster passen, obwohl die Stadt selbst so gleißend, so rasend ist. In meinem Massagesalon Dragonfly herrscht permanentes Halbdunkel, man verständigt sich flüsternd; im Raum für die Fußmassagen stehen sechs Liegesessel nebeneinander, oft müssen die Kunden geweckt werden, damit der nächste drankommen kann. Eine moderne Opiumhöhle, aus der ich jedes Mal wie betäubt taumele.

Das Mansion Hotel war in den Dreißigern die Villa von Sun Tingsun, einem Geschäftspartner von Huang Jingrong und Du Yueshang, den beiden mächtigsten Shanghaier Gangstern jener Jahre. Du war der Al Capone von Shanghai, der mächtige Boss der „Grünen Bande“ (einer Privatarmee aus 20.000 Leuten) und beherrschte mithilfe von korrupten Beamten und Huang, dem Polizeichef der French Concession, praktisch die ganze Stadt. Im heutigen Mansion Hotel war die… nennen wir es: Geschäftszentrale eingerichtet. Heute einer der besten Orte für einen Tee in einem fast musealen Dreißiger-Jahre-Ambiente.

Mansion Hotel, Xingle Lu 82

1910 wurde am Bund der Shanghai Club gegründet, ein britischer Privatclub. Dessen Schmuckstück: die Long Bar aus Mahagoni, die mit 34 Metern zur damaligen Zeit längste Bar der Welt. Noel Coward sagte, man könne an ihr die Erdkrümmung erkennen. Man konnte sich nicht einfach irgendwohin setzen, die Plätze wurden nach Status vergeben. Je höher in der Hackordnung, desto näher am Ostende der Bar, mit dem besten Blick auf den Huangpo. Die Bar, die in den Neunzigern einem Kentucky Fried Chicken weichen musste, wurde letztes Jahr rekonstruiert und Teil des Waldorf Astoria, das im Gebäude des alten Shanghai Club eröffnet wurde. Klar haben wir uns ans Ostende gesetzt – aber ein paar Plätze vom äußersten Rand entfernt. Man muss immer Platz für Weiterentwicklungen lassen.

Long Bar, The Waldorf Astoria, The Bund, Zhong Shan Dong Yi Lu 2

You are here/Shanghai

Samstag, 2. April 2011

Weil Shanghai eigentlich erst im Mai dran war und wegen der Japan-Katastrophe vorgezogen wurde, musste ich recht hurtig eine neue Unterkunft besorgen. Ein Apartment mit Küche werde ich erst in der zweiten Monatshälfte beziehen können, vorerst ist es leider mal wieder ein Hotel. Allerdings: So leider nun wieder auch nicht, dann das URBN, die Empfehlung einer Freundin, die ein paar Jahre in Shanghai gelebt hat, eignet sich ganz wunderbar als Sprungbrett in die Stadt. Kostenloses Wi-Fi, kostenlose Mitgliedschaft in einem Fitnessclub um die Ecke (teste ich später), freundliche, englisch sprechende Mannschaft. Das 26-Zimmer-Hotel, ein ehemaliges Postamt, ist rund um das Thema Nachhaltigkeit konzipiert. Baumaterialien sind aus alten Häusern der Umgebung recycled, das Essen organisch/fair trade – und es ist das erste chinesische CO2-neutrale Hotel. Das heißt: Sie berechnen den CO2-Ausstoß des Hotels (inklusive der Anreisewege des Personals) und kaufen Emissionskredite bei South Pole. Ziemlich vorbildlich also – und außerdem sehr lässig und gemütlich. Mein Zimmer ist eine meisterhaft verschachtelte Sitz- und Bettlandschaft mit tiefergelegten Sofamulden, rückenschonendem Kniestuhl und einer erstklassigen DVD-Sammlung. Wozu rausgehen?

URBN, 183 Jiaozhou Road, Shanghai

Nirvana

Montag, 28. März 2011

Des Reisenden Lieblingswort ist upgrade. Und als wir gestern nachmittag erschöpft von den vielen Eindrücken im Samode Palace eincheckten… Genau. Eine Suite („a very nice room“, wie der Rezeptionist es nannte) von gigantischen Ausmaßen, von Bett zu Bett könnte man Tennis spielen. Ein Pool nur für uns allein. Eine zweistündige Pediküre. Der Himmel.

Geruhsame Nacht

Mittwoch, 23. März 2011

Deogarh ist ein Provinznest zwischen Udaipur und Jodhpur, unserem nächsten Ziel. Hier werden wir übernachten, es werde irgendein günstig gelegenes Hotel, hatte man uns gesagt. Und dann das: Deogarh Mahal, ein Maharaja-Palast mit Kolonial-Charme. Kein Fernseher auf dem Zimmer, stattdessen ein Salon mit einem Schachspiel und einem Grammophon. Und Fotos ehemaliger Maharajas an den Wänden und auf dem Kamin. Zur vollen Stunde ertönt vom Uhrenturm im Hof die Big Ben-Melodie. Es ist fast nicht auszuhalten, so schön.

Der Neidfaktor

Dienstag, 22. März 2011

Nur um das auch noch schnell nachzuliefern, wo ich doch schon mitten im Bilderrausch bin: das Hotel, in dem wir gerade residieren. Udai Kothi, nicht weit vom See, sehr zu empfehlen. Hübsch, aber nicht überkandidelt eingerichtet mit Eisenbetten und Deckenventilator. Es gibt einen wunderschönen Dachpool mit benachbartem Restaurant, von hier aus hat man einen tollen Blick über Stadt und See.

Dazwischen

Freitag, 4. März 2011

Das passt ganz gut. Meine neue Bleibe, Zimmer 1005 im Krishna Palace Hotel, liegt genau zwischen ganz oben und ganz unten, nämlich im 10. Stock. Neben dem Hotel: Geschäfte für Linoleum und Sperrholz, gegenüber kann man Kloschüsseln kaufen. Das Zimmer ist einfach, aber sauber, und hat eine anscheinend funktionierende, wenn auch rumpelnde Internetverbindung, für die man stundenweise zahlt. Die Fenster sind mit Klebeband fixiert, und auch das scheint zu halten. Whatever works, sage ich ja immer. Diesen Monat lohnt sich für mich kein Apartment, denn in zwei Wochen stößt meine Münchner Freundin Rose zu mir und wir machen uns zusammen auf nach Rajasthan. Das bricht gleich in mehrerer Hinsicht das Muster meiner Reise, aber ich bin wirklich froh, Indien nicht allein bewältigen zu müssen. Und Mumbai nur für einen halben Monat.

Auf der Fahrt hierher Stoßverkehr, obwohl es mitten am Tag war. Hupen, Hupen, Hupen. Stop and go. Für mich toll, denn so konnte ich mir endlich das Leben anschauen. Und so ist es, hier unten: Ein Mann schläft auf der Straße. Einem anderen wird direkt neben dem Verkehr ein Zahn gezogen. Eine Frau in einem neonpinken Glitzersari, Karren mit Zementsäcken, Kioske mit Junkfood, eine Nische mit einer kleinen Götterstatue, nicht genau zu erkennen. All das in zehn Sekunden – es ist unmöglich, all das aufzunehmen, abzuspeichern, in die entsprechenden Hirnregionen zu sortieren. Aber wie die vielen klugen Kommentare von gestern schon richtig sagten: Darum geht es hier auch nicht. Und auch darin hatten die Kommentare recht: Man gewöhnt sich daran. Schon am ersten Tag hier unten.

Neue Heimat

Sonntag, 27. Februar 2011

Vor zwei Wochen bekam ich diese Mail:

Sehr geehrte Frau Winnemuth,
ich bin in Buenos Aires geboren und habe dort meine Kindheit verbracht – eine Stadt, die ich liebe und die mir immer wieder Spaß macht, wenn ich sie besuche. Ich lebe seit 1985 in Deutschland.
Ich möchte Sie ganz herzlich einladen, für eine Woche in unserem Apartment in San Telmo zu wohnen. Die Einladung ist wirklich frei von irgend einer Gegenleistung, Sie sollen weder drüber schreiben noch es irgendwo erwähnen, wir werden es auch nicht machen.
Ein Hintergedanke ist aber selbstverständlich dabei: Ich möchte, dass Sie San Telmo eine Woche lang so erleben, wie San Telmo wirklich ist, ohne Klischees, ohne den Druck dahin fahren zu müssen, einfach sich mit den Menschen dort wohl fühlen und sie kennenlernen. Von San Telmo ist viel geschrieben worden und es steht in jedem Reiseführer, aber dort zu wohnen ist noch mal etwas anderes. Die Menschen dort sind sehr freundlich und hilfsbereit.
Das Angebot ist ernst gemeint, die Wohnung befindet sich in Dr. José Modesto Giuffra, zwischen den Straßen Defensa und Balcarce, mitten im Zentrum von San Telmo, der link dazu: http://tangoytango.com
Ich würde mich freuen, wenn Sie mein Angebot annehmen.
Beste Grüße,
András Semsey

Unglaublich, oder? Unglaublich nett, und deshalb habe ich das Angebot auch angenommen. Natürlich. The kindness of strangers. Auf San Telmo, den ältesten Stadtteil von Buenos Aires, war ich sowieso neugierig, ich hatte es bislang noch nicht so richtig hingeschafft. Wie toll also, mittendrin wohnen zu dürfen.

Die Wohnung entpuppte sich als kleines, kompaktes Apartment mit einer Wendeltreppe in die obere Etage, in der Schlafzimmer und Bad liegen, und einem schmalen Balkon mit schönem gusseisernem Gitter hinaus auf die ruhige Pasaje Giuffra. Das Schönste aber war das Haus selbst: um einen verwunschenen Innenhof herum gebaut, siehe oben. Aus organisatorischen Gründen bin ich erst gestern hergezogen und auch nur für ein verlängertes Wochenende – und habe es fast sofort bedauert. Denn dies ist ein ganz anderes Buenos Aires, als ich es bisher erlebt habe. Ein fast dörfliches.

An Sonntagen, wenn hier der große Antiquitätenmarkt stattfindet (um den ich an diesem Wochenende definitiv nicht herumkomme) und an den Abenden kann San Telmo zu einer Art Tango-Disneyworld werden, tagsüber und unter der Woche ist es ein verschlafenes kleines Kopfsteinpflaster-Paradies. Im Mercado, rechts oben, kann man Rinderzunge und Perlmuttknöpfe kaufen, im Fenster der Bar Sur, links unten, hängt ein Foto, das den Besitzer stolz mit „Frank Beckembaüer“ zeigt (und mit Liza Minelli, die übrigens in jedem Fenster der Stadt hängt, die hat hier wirklich nichts ausgelassen). Die nächsten Tage also: nur San Telmo, ein schöner Abschluss dieses Monats.

In meinem Element

Donnerstag, 17. Februar 2011

Ah, schon besser. Bei solchen Angeboten dürfen Männer gern kleiner sein als ich. Dies ist Davin aus Alaska, der schon seit sechs Jahren in Buenos Aires lebt und hier, wie so viele Expatriates, gleich vier Jobs hat. Globale Software-Kundenbetreuung per Skype, Social Media-Beratung des argentinischen Weinverbandes, Werbefilmschauspieler (nächste Woche fliegt er nach Costa Rica, um dort einen Spot für einen polnischen Energydrink zu drehen – ja, die Welt ist voller Möglichkeiten) und Sommelier (mag er nicht so) bzw. wine guy des 6-Zimmer-Boutiquehotels Miravida Soho in Palermo. Dorthin hatte mich Besitzer und Ex-Kollege Cornel Faltin, langjähriger Washington-Korrespondent für Hamburger Abendblatt und Berliner Morgenpost, zu einer Weinprobe eingeladen. Ich kenne Massen von Journalisten, die eines Tages ein kleines Hotel eröffnen wollen – und keinen, der es tatsächlich getan hat. Bis auf Cornel. Das Miravida Soho gehört ihm seit Dezember 2009 und ist immer gut gebucht dank bester Empfehlungen im Tripadvisor – alles könnte so schön sein, sagt er, wenn nicht die argentinische Bürokratie mit ihrem kafkaesken Formularwahnsinn wäre.

Ein Grund mehr, noch ein Weinchen aufzumachen, und davon stehen hier viele, viele gute. Tintenfarbene Malbecs, ein wunderbarer Cabernet Sauvignon von Viña Cobos und ein toller Torrontés von Donald Hess, der dem Lichtkünstler James Turrell ein Museum in der Nähe seines Weinguts Colomé gebaut hat. Schöner Abend, spannende Gespräche.

Miravida Soho Hotel, Darregueyra 2050, Buenos Aires 1425

Sweet home

Samstag, 12. Februar 2011

Ich bin Journalistin geworden, um meine Nase ungefragt in alles reinstecken zu können und dafür auch noch bezahlt zu werden. Gelegentlich schütze ich aber auch nur journalistisches Interesse vor, wo eigentlich blanke private Neugierde herrscht. Als ich irgendwo las, dass Francis Ford Coppola, Urheber diverser Meisterwerke (Der Pate! Apocalypse now! Sofia Coppola!), hier in Buenos Aires ein Haus besitzt, das er an Gäste vermietet, musste ich es natürlich unbedingt angucken. Offizielle Anfrage: ich wolle was drüber schreiben (tue ich ja auch gerade…). Die Bitte ging durch mehrere Instanzen, gestern dann die Nachricht: Sie können gern vorbeikommen.

Jardin Escondido ist ein Ensemble von fünf kleinen Stadthäusern in Palermo Soho, dem inzwischen todschicken Boutiquen- und Ausgehviertel von Buenos Aires. Wie viele Häuser hier sieht es von außen unscheinbar aus, dahinter öffnet sich eine ganze Welt um einen kleinen Innenhof herum. Coppola hat das Haus gekauft, als er ein Jahr in Buenos Aires lebte, um seinen letzten Film Tetro zu drehen. Auf dem Bild oben: sein Schlafzimmer, übrigens mit einem schockierend kleinen Bad.

Bislang konnte man das Haus nur im Ganzen anmieten, für etwa 13.000 US$ pro Woche. Jetzt sind die sieben Zimmer auch einzeln zu bekommen (ab 200 US$ die Nacht, das Schlafzimmer des Meisters ab 300 US$). Es ist sagenhaft ruhig, das Lauteste ist die Gegenstromanlage des kleinen Pools im Innenhof.

Gorriti 4746, Palermo, Buenos Aires 1414

Buenos dias

Montag, 31. Januar 2011

Es könnte sein, dass ich jetzt ein bisschen Blödsinn schreiben, denn mein Hirn ist Matsch. Ich bin heute um 11 Uhr morgens in Sydney losgeflogen und bin nach 11 Stunden Flug um 10 Uhr desselben Morgens in Buenos Aires gelandet. Ich eile Deutschland jetzt nicht mehr zehn Stunden voraus, sondern hinke ihm vier Stunden hinterher. Wunderbare, verwirrende Datumsgrenze.

Das da oben trägt zu meiner Verwirrung nur noch mehr bei: meine Wohnung für diesen Monat. Ein Belle Epoque-Palast in der Avenida Callao, 140 Quadratmeter über zwei Geschosse für knapp 1000 Euro, vorne zur Straße raus brüllend laut, oben im Schlafzimmer gottlob ruhig. Die Wohnung gehört Jeff Tobin, einem amerikanischen Kulturanthropologie-Professor aus Los Angeles mit Schwerpunkt Lateinamerika. Letztes Themenfeld: Männlichkeitsforschung am Beispiel von argentinischem Fußball, Tango und Asado (das hiesige Wort für Barbecue). Im Bücherschrank steht viel Wissenschaftliches zum Thema Macho, aber auch ein guter Meter über die Soziologie des Essens. (Ehrlich, ich kann nichts dafür, es verfolgt mich.) Jeff ist mit einer Argentinierin verheiratet und nutzt die Wohnung immer mal wieder ein halbes Jahr, ansonsten vermietet er. Auch dieses Zuhause habe ich über das bereits erwähnte Sabbatical Homes gefunden. Unten hockt neben dem Lift, bei dem man immer erst zwei Scherengittertüren öffnen und schließen muss, bevor er fährt, ein Concierge, der sich fast verrenkt, um mir behilflich zu sein. Ich merke schon: 1,83 Meter und blond – das wird mir noch viel Spaß machen in diesem Land.

Sofort ist das Leben ein anderes in solcher maroder Pracht. Die erste Mahlzeit – ein halbes gebratenes Huhn aus dem Supermarkt gegenüber, ein Bier aus der hier üblichen Literflasche, ein Kännchen Mate-Tee – wird deshalb am Tisch in der Bibliothek eingenommen, an dem ich locker 12 Leute bewirten könnte. Ab nächster Woche werde ich einen Spanischkurs machen, aber wenn ich mir die Bierflasche so durchlese, müsste ich auch ohne ganz gut durchkommen: „Desde 1890 la cerveza preferida de los Argentinos“, das kriegt man mit großem Latinum alles hin.