Avenida Alvear

Donnerstag, 10. Februar 2011

Vor 100 Jahren war Buenos Aires eine der reichsten Städte der Welt. Die Bürger von Recoleta konnten sich Trottoirs aus Marmor leisten, die Häuser, die damals gebaut worden, waren von atemberaubender Pracht. Einiges davon sieht man heute noch auf der Avenida Alvear, der Vorzeigemeile von Recoleta. Die einstigen Herrenhäuser sind inzwischen Botschaften oder Hotels oder Flagshipstores der globalen Luxusmarken von Louis Vuitton bis Ralph Lauren. Nirgendwo knallen Reichtum und Armut so hart aufeinander wie hier: Keine 600 Meter weiter beginnt der mit 26.000 Bewohnern größte Slum der Stadt, Villa 31.

Eisberge

Mittwoch, 9. Februar 2011

Vor der Kamera, im Uhrzeigersinn: Sambayón granizada (Zabaglione mit dunklen Schokosplittern), Maracuyá, Dulce de Leche Volta (das typisch argentinische Milchkaramell, hier mit karamelisierten Haselnussstücken), Chocolate con almendras (mit ganzen Mandeln). Hinter der Kamera: reine Gier. Ich habe den allerperfektesten Eisladen entdeckt in einer Stadt, die an perfekten Eisläden nicht arm ist: Un’ altra volta, Produzent unglaublicher Geschmacksbomben von einer Konsistenz, für die dringend ein neues Vokabular erfunden werden muss. Teuer, und zwar völlig zu Recht, und blöderweise genau auf meinem Weg zwischen Zuhause und Sprachschule. Aber selbst wenn es da nicht liegen würde: Die liefern. Allen Ernstes, das habe ich eben ausprobiert. Online wählen, ob man ein halbes oder ein ganzes oder gleich zwei Kilo Eis will und welche Sorten – ein Fahrradbote steht nach einer halben Stunde mit einem Styroporcontainer vor der Tür. Es ist der Himmel.

Wat mutt, dat mutt

Mittwoch, 9. Februar 2011

Pablo, die arme Socke. Mein Privatlehrer in der Academia Mayoral y Elsa Maria kommt mit handelsüblichem Pferdeschwanz (auf den ich von oben einen schönen Blick habe) und schwarzem Hemd. Ein klassischer Buenos Aires-Ken, aber mit Sonderausstattung: einem Brilli in der linken Augenbraue. Ich habe heute Nachmittag schon eine Gruppenstunde Tango hinter mich gebracht und weiß deshalb: Argentinischer Tango ist im wesentlichen Gehen. Und was ich auch schnell verstanden habe: Man muss sich komplett in die Hände des Mannes begeben, der steuert einen dann irgendwie durch den Saal. Mit dem Körper zuhören, den Kerl nicht zu erraten versuchen, dann klappt das schon.

Das Dumme ist: Nach einer Stunde versucht man doch, schlauer zu sein, als man ist. Ein System in den gewählten Tanzwegen und Schritten zu durchschauen. Ab da verhaut man sich ständig. Also: Hirn wieder aus. Es müssen bei mir erst mal völlig neue Synapsen zwischen Pablos sanftem Druck in meinem Rücken und meinen Füßen verlegt werden. Hinterher bin ich jedenfalls erledigt.

Die Schule liegt im ersten Stock eines hübschen Palais aus dem 19. Jahrhundert. Geleitet wird sie von dem kunstvoll restaurierten Paar Mayoral und Elsa Maria, das schon etlichen Prominenten den Tango beigebracht hat. Und natürlich sind die beiden die eigentliche Schau. Mayoral, der nach mehreren Schönheits-OPs circa so viel Mimik wie Nicole Kidman hat, setzt sich zu mir, erzählt mir von seinem Schäferhund, dem er Befehle auf deutsch gibt, und von seiner Erfindung „Health Tango“, einem medizinischen Präventivprogramm, das man dringend in Deutschland einführen müsse. Es ist alles so bezaubernd.

Sein und Darfdochnichtwahrsein

Dienstag, 8. Februar 2011

Liebes Tagebuch, heute habe ich viel gelernt. Zuerst in der Schule: Im Spanischen gibt es zwei Wörter für das Verb sein, ser und estar. Grob gesagt wird ser verwendet, wenn es gilt, etwas Unabänderliches zu beschreiben, estar für einen vorübergehenden Zustand. Ich finde das prinzipiell eine philosophisch sehr nützliche Vorstellung, per Wortwahl klarmachen zu können, dass die Dinge nicht immer so sind, sondern halt nur zur Zeit. Verliert man ja oft aus den Augen, dass es morgen schon wieder ganz anders sein kann. Faszinierende Fußnote: Das Wort Single, soltero bzw. soltera, wird von Männern fast immer zusammen mit ser verwendet, von Frauen mit estar. Estoy soltera = Ich bin (zur Zeit) Single, aber habe nicht vor, das zu bleiben. Wie gesagt, ganz anders die Männer.

Das bringt uns übergangslos zur zweiten Lektion des Tages, verabreicht von Sarah, oben links. Sarah, eine lustige Britin, die in Australien aufgewachsen ist, betreibt einen Schönheitssalon namens Ladygardens in ihrem gemütlichen Wohnzimmer für all die Buenos Aires-Besucherinnen, die sich schwer tun, auf Spanisch klarzumachen, wie genau sie ihre Nägel oder ihre Brazilians wollen. Maniküre & Pediküre (beides hervorragend) & generelles Rumgealber über zweieinhalb Stunden mit Tee und Keksen = 18 Euro. Plus: Ich weiß jetzt fast alles über argentinische Frauen – dass man von der Krankenkasse eine Schönheitsoperation pro Jahr bezahlt bekommt (jawoll, auch Brust-OPs und Fettabsaugungen), erklärt viel – und argentinische Männer: Für Junggesellenabschiede wird hier keine Stripperin, sondern eine Prostituierte angeheuert. Und auch von allen anwesenden Herren genutzt, Ehrensache.

Los animales

Montag, 7. Februar 2011

Recoleta ist ein bürgerliches Viertel, ein bisschen wie das 16. Arrondissement von Paris. Hundeausführer sieht man hier überall, hübsch aufgeteilt in solche für große und solche für kleine Hunde wie der, dem ich heute auf dem Schulweg folgte. Im Fernseher, der im Aufenthaltsraum lief, dann die Spitzenmeldung, ein circa zehnminütiger Beitrag: Ein Pferd liegt tot auf der Straße in einem Wohnviertel, und kein Mensch weiß, wie es dahin gekommen ist. Endlose Interviews mit Anwohnern, ausgiebige Kamerafahrten um das tote Tier herum – großes Kino.

Lektion 1

Montag, 7. Februar 2011

Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so aufgeregt war: 1. Schultag! In meinem Anfängerkurs in der ECELA sitzen außer mir ein pensionierter Pilot der Alitalia aus Rom, eine deutsche BWL-Studentin und ein Schweizer Volkswirt. Unser Lehrer Juan Manuel spricht ausschließlich Spanisch mit uns und das Verrückte: Wir verstehen ihn. Oder zumindest das meiste. Der Unterricht ist von 9 bis 13 Uhr, zur Halbzeit gibt es eine große Pause mit medialunas (natürlich). Die Methode von Juan Manuel ist ziemlich genial: In einer etwa 30 Wörter umfassenden Vokabelliste aus dem Themenfeld Schule sollte jeder von uns all diejenigen Wörter anstreichen, die er nicht kennt. Jeder las reihum ein ihm unbekanntes Wort vor, wenn einer der anderen es kannte, musste derjenige es auf Spanisch erklären oder notfalls drauf zeigen. La mesa – der Tisch. Das wusste ich (woher bloß?) und konnte es Florian zeigen. Doll. Nach einer Stunde haben wir schon die ersten Schreibübungen gemacht. Ich freue mich richtig auf morgen.

Candado seguro

Montag, 7. Februar 2011

All die medialunas, die alfajores, die helados – es muss was geschehen oder ich brauche auf dem nächsten Flug eine Gurtverlängerung. Es zu warm, um draußen zu laufen, und ich bin auch zu weit von irgendeinem anständigen Park entfernt, also: Fitnessstudio. Es gibt hier gottlob eine ganz gute Kette namens Megatlon. Mitglied werden dauert zehn Minuten Radebrechen und 55 Euro im Monat für die Benutzung aller Studios (meines in Congreso hat Tennisplätze auf dem Dach, ein anderes in der Nähe meiner Sprachschule einen Swimmingpool). Aber dann wird es doch noch kompliziert, denn die Schränke in der Umkleidekabine werden von einer vestuarista vergeben, einer Umkleidekabinenbewacherin. Von der ich nicht genau weiß, was sie macht, außer: Umkleideschränke zuweisen. Aber man muss sein eigenes Vorhängeschloss mitbringen. Die vestuarista meinte zwar, man könne eins an der Rezeption leihen, aber als ich dort ein Schloss aufmalte, siehe oben, sagten sie no, disculpe.

Jetzt habe ich ein Ding mehr in meinem Leben. Un candado seguro pequeño, por favor, sagte ich vorhin lässig im Eisenwarenladen. Das ist Vokabeltraining, wie ich es mag.

Puerta cerrada

Sonntag, 6. Februar 2011

Roxanne, Ärztin aus Montreal. Judy aus Wisconsin, mit ihrem Mann Richard fünf Wochen in Argentinien unterwegs; hinterher wollen sie nach Paris und dann mit ihrem Enkel nach England zur Hogwarts University. Gerry aus London: in Buenos Aires, um Tango zu lernen. Karen, Chirurgin aus Toronto. Robin, Schauspiel-Agentin aus Los Angeles; arbeitet diesen Monat in Buenos Aires, weil es egal ist, in welchem Land sie am Schreibtisch hockt. Dan, Gastgeber. Ruta, Werbefilmschauspielerin; hat zuletzt einen Werbespot für Harley Davidson gedreht und musste dafür schreien lernen. Isa aus Venezuela und ihr Mann Craig, der anderthalb Jahre in Hannover gearbeitet hat.

Verdammt, war das ein lustiger Abend. Zehn Wildfremde trafen sich heute abend am Tisch von Dan Perlman, der jeden Freitag und Samstag private Dinnerpartys für bis zu 12 Leute schmeißt. Die lateinamerikanische Sitte der paladares oder puertas cerradas, also der Privatrestaurants hinter nur vorgeblich geschlossenen Türen, hat ja auch schon nach Deutschland, speziell nach Berlin übergegriffen, Dan hat auf seiner Website wunderbarerweise solche Geheimlokale weltweit gesammelt.

Es funktioniert so: Man meldet sich auf der Website an und bekommt dann die Adresse mitgeteilt. Dans Casa SaltShaker – seine Wohnung – liegt in einer ruhigen Straße in Recoleta. Das fünfgängige Menü mit Begrüßungsdrink, Wasser und passenden Weinen zu jedem Gang kostet 35 Euro, was in Buenos Aires schon am oberen Ende der Preisskala liegt.

So was steht und fällt natürlich mit den Gästen. Diese hier waren ausnahmslos spannend, eine Mischung von entspannten Kosmopoliten, wie man sie in Buenos Aires öfter trifft. In Nullkommanichts hatten Ruta, ursprünglich aus Litauen, jetzt in Los Angeles lebend, und ich herausgefunden, dass wir eine gemeinsame Freundin in Hamburg haben. Klitzekleine Welt. Sie schickt mir jetzt den Namen einer Freundin aus Mumbai, die soll ich unbedingt treffen. Genau das ist es, was ich so am Reisen liebe: dieses Schneeballsystem, das den Planeten in ein Kügelchen verwandelt. Mit Robin gehe ich nächste Woche was trinken, mit Richard und Judy zu einem Spiel der Boca Juniors in der Bombonera, Gerry hat uns alle für morgen an den Pool des Four Seasons eingeladen, aber vielleicht gehen wir doch lieber auf den Flohmarkt in San Telmo.

Danach ging ich selig nach Hause (übrigens kein Problem, hier nachts zu Fuß unterwegs zu sein) und kam an einem noch offenen CD-Laden in der Avenida Callao vorbei. Im Fenster lag eine CD von Astor Piazzola und Gerry Mulligan, die mich interessierte. Also rein, gekauft. Wieso sind hier um Mitternacht überhaupt noch so viele Leute? Der Kassierer: „Wir haben gleich eine Jam Session hinten. Bleiben Sie doch.“ Klar bleibe ich. Das Hinterzimmer entpuppt sich als ausgewachsener Jazzclub mit weißgedeckten Tischen. Ich höre mir das Trio auf eine Whiskylänge an (und die ist hier lang, es wird gerecht eingeschenkt). Als ein älterer Herr auf die Bühne springt und „Let’s get lost” singt, einen alten Lieblingssong von mir, muss ich losheulen. Let’s get crossed off everybody’s list. Schöner kann es gar nicht kommen. Das Glück des Reisens ist der Zufall.

Casa SaltShaker: Das Menü, das sich immer an obskuren Anlässen wie „100 Jahre Luftpost“ oder wie heute am „Jahrestag der Befreiung von San Marino“ orientiert, wird jeweils drei Wochen vorher auf Dans Website bekannt gegeben.

Notorious Jazz, Avenida Callao 966

Surftipp 1

Samstag, 5. Februar 2011

Layne Mosler betreibt die amüsante Website Taxi Gourmet. Für den Guardian hat sie sich von Taxifahrern in Buenos Aires zu deren Lieblingsrestaurants fahren lassen.

Eros

Donnerstag, 3. Februar 2011

„Wir könnten uns im El Preferido de Palermo treffen, das ist ein nettes Bistro. Oder im Vereinsheim des Sportclubs Eros.“ Keine Frage, oder? Natürlich der Sportclub Eros. Links das geflieste Indoor-Fußballfeld, wo die Blutgrätsche wirklich ihren Namen verdient (aber zumindest kann man’s gleich wegfeudeln). Das dazugehörige Café serviert prima Steaks für schmales Geld. Bestellt man einen Kartoffel-Ei-Salat dazu, bekommt man: gekochte Kartoffeln, ein halbiertes hartes Ei und eine Flasche Mayonnaise. Große Klasse.

Uriarte 1609 (y Honduras), Palermo