
Roxanne, Ärztin aus Montreal. Judy aus Wisconsin, mit ihrem Mann Richard fünf Wochen in Argentinien unterwegs; hinterher wollen sie nach Paris und dann mit ihrem Enkel nach England zur Hogwarts University. Gerry aus London: in Buenos Aires, um Tango zu lernen. Karen, Chirurgin aus Toronto. Robin, Schauspiel-Agentin aus Los Angeles; arbeitet diesen Monat in Buenos Aires, weil es egal ist, in welchem Land sie am Schreibtisch hockt. Dan, Gastgeber. Ruta, Werbefilmschauspielerin; hat zuletzt einen Werbespot für Harley Davidson gedreht und musste dafür schreien lernen. Isa aus Venezuela und ihr Mann Craig, der anderthalb Jahre in Hannover gearbeitet hat.
Verdammt, war das ein lustiger Abend. Zehn Wildfremde trafen sich heute abend am Tisch von Dan Perlman, der jeden Freitag und Samstag private Dinnerpartys für bis zu 12 Leute schmeißt. Die lateinamerikanische Sitte der paladares oder puertas cerradas, also der Privatrestaurants hinter nur vorgeblich geschlossenen Türen, hat ja auch schon nach Deutschland, speziell nach Berlin übergegriffen, Dan hat auf seiner Website wunderbarerweise solche Geheimlokale weltweit gesammelt.
Es funktioniert so: Man meldet sich auf der Website an und bekommt dann die Adresse mitgeteilt. Dans Casa SaltShaker – seine Wohnung – liegt in einer ruhigen Straße in Recoleta. Das fünfgängige Menü mit Begrüßungsdrink, Wasser und passenden Weinen zu jedem Gang kostet 35 Euro, was in Buenos Aires schon am oberen Ende der Preisskala liegt.




So was steht und fällt natürlich mit den Gästen. Diese hier waren ausnahmslos spannend, eine Mischung von entspannten Kosmopoliten, wie man sie in Buenos Aires öfter trifft. In Nullkommanichts hatten Ruta, ursprünglich aus Litauen, jetzt in Los Angeles lebend, und ich herausgefunden, dass wir eine gemeinsame Freundin in Hamburg haben. Klitzekleine Welt. Sie schickt mir jetzt den Namen einer Freundin aus Mumbai, die soll ich unbedingt treffen. Genau das ist es, was ich so am Reisen liebe: dieses Schneeballsystem, das den Planeten in ein Kügelchen verwandelt. Mit Robin gehe ich nächste Woche was trinken, mit Richard und Judy zu einem Spiel der Boca Juniors in der Bombonera, Gerry hat uns alle für morgen an den Pool des Four Seasons eingeladen, aber vielleicht gehen wir doch lieber auf den Flohmarkt in San Telmo.
Danach ging ich selig nach Hause (übrigens kein Problem, hier nachts zu Fuß unterwegs zu sein) und kam an einem noch offenen CD-Laden in der Avenida Callao vorbei. Im Fenster lag eine CD von Astor Piazzola und Gerry Mulligan, die mich interessierte. Also rein, gekauft. Wieso sind hier um Mitternacht überhaupt noch so viele Leute? Der Kassierer: „Wir haben gleich eine Jam Session hinten. Bleiben Sie doch.“ Klar bleibe ich. Das Hinterzimmer entpuppt sich als ausgewachsener Jazzclub mit weißgedeckten Tischen. Ich höre mir das Trio auf eine Whiskylänge an (und die ist hier lang, es wird gerecht eingeschenkt). Als ein älterer Herr auf die Bühne springt und „Let’s get lost” singt, einen alten Lieblingssong von mir, muss ich losheulen. Let’s get crossed off everybody’s list. Schöner kann es gar nicht kommen. Das Glück des Reisens ist der Zufall.


Casa SaltShaker: Das Menü, das sich immer an obskuren Anlässen wie „100 Jahre Luftpost“ oder wie heute am „Jahrestag der Befreiung von San Marino“ orientiert, wird jeweils drei Wochen vorher auf Dans Website bekannt gegeben.
Notorious Jazz, Avenida Callao 966