10 Dinge, die ich in Shanghai gelernt habe

Bisschen spät, aber…

1. Selber hinfahren, hingehen, hinschauen ist die einzige Möglichkeit, sich von seinen Vorurteilen zu befreien. (Schön, ein paar wird man immer bestätigt finden, wenn man es darauf anlegt.) Shanghai war so viel entspannter, lustiger, lebensfreudiger, menschenfreundlicher als ich das vermutet hatte.
2. Man muss den Dingen immer eine zweite Chance geben, auch wenn sie die nicht verdienen. Seegurke zum Beispiel. Zum ersten Mal 1983 in Seoul gegessen. Jetzt wieder. Immer noch entsetzlich. Nächster Versuch: 2039.
3. Vor allem muss man den Dingen aber eine erste Chance geben.
4. Fritierte Bienen schmecken besser als fritierte Libellen.
5. Wenn ein Chinese etwas perfekt findet, sagt er „cha bu duo“. Übersetzt: „Es fehlt nicht viel.“ Eine perfekte Haltung zum Thema Perfektion.
6. Wenn man in China zwei Bier bestellt, indem man Daumen und Zeigefinger ausstreckt, bekommt man acht Bier.
7. Trotzdem kommt man mit Händen und Füßen und ohne sonstige Sprachkenntnisse weiter, als man denkt.
8. Wenn man in China Golf lernen will, wird man gefragt, ob man normales Golf oder Business-Golf bevorzugt. Bei zweiterem geht es vor allem darum, den Ball in dieselbe Richtung wie der Golfpartner schlagen zu lernen, um beim Gang dorthin leichter Geschäftsgespräche führen zu können. Dies ist nur eines von tausend Beispielen: Hier geht es immer und überall ums Geschäft, das Geschäft und nochmals das Geschäft. Es gibt wahrscheinlich keine begabteren Kapitalisten als die Chinesen.
9. Es gibt ungefähr zehn verschiedene Arten, „Feng Shui“ auszusprechen.
10. Socken sollte man auch im Sommer tragen und im Bett. Chinesen halten kalte Füße für die Wurzel allen Übels, aller Schmerzen, aller Krankheiten. Gerade bei großer Hitze: Socken. Die Schweißdrüsen der Füße öffnen sich nämlich, kalte Luft kann dann angeblich leicht in den Körper dringen und dort den allerallerallergrößten Schaden anrichten. Rückenschmerzen, Kopfschmerzen: alles mit Socken heilbar. Nicht dass ich mich daran halte: Ich geb’s nur weiter.

Undercover

Ich denke gerade über eine Burka nach. Dunkelblau natürlich.

SPIEGEL: Haben Sie noch irgendeine modische Empfehlung für uns?
Roitfeld: Wenn Sie keine Fehler machen wollen, dann kaufen Sie Schwarz, das ist immer gut. Und ab 50 kann man langsam ein wenig Beige dazunehmen, das ist weicher. Alle fünf Jahre sollte man kritisch die eigene Garderobe überprüfen und notfalls irgendwann den Bikini gegen einen Einteiler tauschen.
SPIEGEL: Und notfalls irgendwann nicht mehr schwimmen gehen?
Roitfeld: Es gibt einen Moment im Leben, wo man auch das überlegen muss, man sollte in jeder Altersgruppe immer zu den Besten gehören. Im Zweifelsfall heißt das, auf den Strand zu verzichten.

Harte Recherche

Es bleibt eines der ewigen Rätsel der Menschheit: War es Trader Vic, der den legendären Mai Tai in San Francisco erfunden hat? War es Don the Beachcomber? War es ein namenloser Barkeeper des Royal Hawaiian Hotel in Waikiki? Um diese Frage kreisen erbitterte Debatten und sogar diverse Gerichtsprozesse. Letztlich egal, denn es geht um die Frage: Wer macht den besten Mai Tai? Einem guten Reporter bleibt da nichts anderes als: losziehen und selber trinken.

Exponat 1: Scratch Mai Tai in der Mai Tai Bar des Royal Hawaiian, der schweinchenrosa gestrichenen Königinmutter unter den hiesigen Hotels. Nicht geschüttelt, sondern in Schichten serviert wie ein Tequila Sunrise. Geschmack: geht so. Alkoholgehalt: sehr befriedigend. Präsentation: Schirmchen, Ananas-Viertel, rosa Cocktail-Serviette. Ambiente: unschlagbar – direkt am Strand von Waikiki. Dazu serviert: Fischli-Knabbergebäck (gibt es das in Deutschland eigentlich noch?), sehr charmant. Ohne Kreuzproben würde ich sagen: 2 minus. Aber es hat ja gerade erst begonnen.

Was kostet die Welt?

Das beantwortet der Xpatulator, der die Lebenshaltungskosten von 300 Städten weltweit kalkuliert. Spitzenreiter ist natürlich ungeschlagen Tokyo, dann folgt aber gleich Caracas. München auf Platz 40 vor New York, aber hinter Bangui/Zentralafrikanische Republik, Hamburg auf Platz 64 zwischen Libreville/Gabun und Port-of-Spain/Trinidad und Tobago.

Meine Städte habe ich mir selbstverständlich auch gleich angeschaut (Honolulu und Tel Aviv sind nicht gelistet):

Sydney: 12
Buenos Aires: 227
Mumbai 123
Shanghai: 18
San Francisco: 90
London: 20
Kopenhagen: 16
Barcelona: 102
Addis Abeba: 295
Havanna: 126

Babel

Faszinierend: Ethnologue, eine Enzyklopädie aller 6909 bekannten Sprachen, die auf dieser Erde gesprochen werden. 28 davon in Deutschland.

Jetlag-Tag

Heute nichts Neues aus Hawaii, fürchte ich. Ich bin ein bisschen aus der Zeit gefallen: Die 12 Stunden, denen ich Deutschland hinterherhinke, nachdem ich ihm bis vorgestern sechs Stunden voraus war, machen mich ganz meschugge. Hier ist noch Montag, dort ist der Dienstag schon in vollem Gang, ich weiß. Schlaflose Nacht, den Tag verpennt, jetzt eine kleine Nachtschicht, um meine deutschen Deadlines nicht wieder zu schmeißen. Draußen verpasse ich sowieso nicht viel, es tobt gerade ein heftiger Wolkenbruch.

Aloha III

Aber es ist noch nicht vorbei. Was heute noch geschah:

1. eine Ukulele bei Puapua gekauft. Weil ich seit Sydney davon träume, es ist ein so bezauberndes kleines Instrument. Jeden Nachmittag um 16 Uhr gibt es in ihrem Zweitladen im Sheraton eine kostenlose Unterrichtsstunde. Ende Mai werde ich eine Meisterin sein.

2. über das Surfen nachbedacht und es sofort verworfen. Aber sehnsüchtig geguckt, besonders beim Anblick des Surfboard-Parkplatzes am Waikiki Beach:

Und beim Anblick der Jungs, die das Zeug bewegen:

3. CNN geguckt, Osama tot. Weitergeschaltet: „Szenen einer Ehe” im schwedischen Original mit englischen Untertiteln. Was ist das bitte für ein Tag gewesen? Ich muss jetzt dringend meinen Jetlag ausschlafen, wahrscheinlich bilde ich mir das alles nur ein.

Aloha II

Mein Nachbar ist kahlköpfig, heißt Yusk (oder nennt sich zumindest so), macht Yoga und isst nur Fleisch. Nur. Fleisch. Das Verdauen von Gemüse würde angeblich zu viel Kraft in Anspruch nehmen und sein Yoga stören. Kein schlechter Körper, aber auch nicht supermuskulös. All das weiß ich nach circa einer Minute, denn Yusk oder so steht halbnackt auf dem Gang und unterhält sich mit Handwerkern und dann auch mit mir über Alkohol. Bier, sagt er: auf keinen Fall (wegen der Kohlehydrate), Whisky: gelegentlich (wegen – ach, nur so). Wir verabreden uns auf einen Sundowner an einem dieser Abende. Man muss sie einfach lieben, die Konsequenz der Konsequenten.

Was uns nahtlos zu einer der wenigen überlebenden Traditionen dieses Blogs bringt (die Sache mit dem metallenen Haushaltsgegenstand: öh… geboren im Januar, gestorben im Februar): die erste Mahlzeit im neuen Heim.

Thunfisch-Sashimi (frisch), Ananas (superfrisch). Ich habe mir vorgenommen, in diesem Monat gesünder zu essen und die in den vergangenen vier Monaten angefressenen Pfunde wieder loszuwerden. Beeinflusst von Yusk allerdings nicht sonderlich sklavisch. Denn im Hintergrund sieht der Fachmann bereits ein Fläschchen Malbec von Francis Ford Coppola (hatten wir den nicht schon mal?), das für den Sundowner geöffnet wird. Die Sonne downt hier sehr beeindruckend, und meine Wohnung hat Westbalkon, also…

Hier also die Heimat für den Mai, ein typisches Ferienappartment in Waikiki, Nummer 2008, 2240 Kuhio Avenue. Ich mochte es sofort, es ist ein bisschen cheesy (isabo?), aber auch retro-chic – die dunklen Einbauten! Die Durchreiche! Und dann ein einigermaßen flottes WLAN und Tiefgarage und Pool im 7. Stock und Fitnesscenter (vermutlich ein Kettler-Rad von 1978)… unwiderstehlich. Jede Faser seines abgelatschten Teppichbodens sagt: Fe-ri-en.

Aloha/Konnichiwa

Es gibt Tage, die einfach zu viel sind, zu voll, zu irre. Dieser war so einer. Ein Glück, dass ich ihn durch das Überfliegen der Datumsgrenze gleich doppelt hatte, sonst wäre er geplatzt.

Von China über Japan nach Hawaii. Zwischenlandung in Tokyo, mit schwerem Herzen. Denn immer noch tut es mir in der Seele leid, die Stadt übersprungen zu haben. Immer noch kommt es mir wie Verrat vor, sogar hier, auf den öden neongrauen Gängen des Flughafens Narita. „Wir können Sie nicht durchchecken, Sie müssen sich in Tokyo eine neue Bordkarte für Honolulu besorgen“, hieß es in Shanghai. Ich stolpere irgendwie, müde, unaufmerksam, in die Lounge der All Nippon Airways. „Guten Abend. Ich weiß, Sie sind gar nicht zuständig für mein Problem, aber vielleicht können Sie mir trotzdem helfen…“ beginne ich. Und sie helfen mir sofort, natürlich. Eine kümmert sich um meinen Weiterflug, die andere bringt mir schonend bei, dass ich für die USA ein elektronisches ESTA-Visum hätte beantragen müssen. Gott, wie blöd von mir, das habe ich wirklich vergessen. Alles kein Problem, ich darf hinter den Counter an ihren Computer; sie hilft mir weiter, wenn ich zu doof bin für den Windows-Rechner und versehentlich vom lateinischen auf das japanische Alphabet umschalte. Nach einer halben Stunde ist alles gut: Bordkarte, Visum, einen Tee hat es auch gegeben. „Also“, sagt die eine, „jetzt haben Sie alles, nicht wahr? Nur eines noch nicht: ein Souvenir aus Japan.“ Und zieht hinter ihrem Rücken ein Tütchen hervor. Darin Origami-Figuren, Fruchtbonbons, eine handgemalte Karte. „Dear Winnemuth Meike Mrs, have a nice flight.“ Ich bin in Tränen ausgebrochen. Die beiden Damen: furchtbar erschrocken, ob alles in Ordnung sei? Aber ja. Alles in Ordnung.

Vielleicht sollte ich einfach in Tokyo bleiben. Eine intensive Viertelstunde habe ich alles überschlagen, Organisatorisches bedacht, eine To-Do-Liste der Umplanung aufgestellt. Alles wäre machbar gewesen – aber das ist es ja stets. Alles geht auch immer anders, das ist das Mantra des Reisens; sonst müsste man keinen Fuß vor die Tür setzen. Aber ich war zu marode für eine Entscheidung. Stattdessen habe ich den halben Flughafenshop leergelauft. Einen bodenlangen Yukata in dunkelblau-weiß. Taschentücher. Sake. Irgendwelche Süßigkeiten. CDs. Was mitnehmen, ein bisschen festhalten an Japan. Lächerlich, aber das war alles, wozu ich in diesem Moment in der Lage war.

Und dann hält Japan an mir fest. Landung in Honolulu bei 30 Grad. Das Immigrationsformular: japanisch. Mein Leihwagen (dunkelblau – ehrlich, ich kann nichts dafür): japanisch. Die Dame am Leihschalter flucht kurz und herzlich, als ich ihr sage, dass mein Navi leider auch nur japanisch versteht. Zu viert – sie, ich, zwei korpulente Kunden – drücken wir ein bisschen darauf herum, flachsen ein bisschen. Jetzt versteht es Englisch (bei der Eingabe), spricht aber immer noch japanisch zu mir. Und ich finde es richtig so. Auch auf den Straßen, am Strand, im Supermarkt: Japaner. Die erste Maiwoche ist Golden Week, die japanische Urlaubswoche. Hawaii ist das Mallorca Japans, heute morgen sind im Halbstundentakt Maschinen aus Tokyo, Osaka und Nagoya gelandet. Die Speisekarten haben japanische Untertitel, die Busstationen japanische Schilder.

Und mir ist bei allem ganz giddy zu Mute. Es gibt keine gute deutsche Übersetzung: euphorisch? Schwindlig? Albern? Durchgedreht? (isabo: hilf). So, wie mir immer ist, wenn die Welt es wieder mal besser weiß als ich selbst.

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