Im Norden, Tag 7: Von Mekele nach Lalibela

Ein weiterer Reisetag: neun Stunden Autofahrt, gottlob meist über Asphaltstraßen. Ich finde diese reinen Fahrstrecken meist mindestens so interessant wie die Besichtigungstage. Und das nicht nur, weil es links und rechts und erst recht auf der Straße viel zu sehen gibt – Menschenkarawanen auf dem Weg zum Markt, Ziegen-, Esels-, Kamel- und Rinderherden, die oft genug den Verkehr aufhalten, morgens meist Läufergruppen, aus denen vielleicht der nächste äthiopische Superstar hervorgeht, Schulkinder in bunten Uniformen, die Bücher unterm Arm –, sondern auch, weil die Stimmung in unserer Mini-Reisegruppe so ausnehmend gut ist. Dereje spielt seltsam hypnotisierende äthiopische Kirchenlieder und singt dazu (Netsanet grinsend: „he is a very religious boy“), aber auch Reggae und Country. Unser gemeinsamer Lieblingssong nach einer Woche: Don Williams, I’m Getting Good At Missing You. Mittags stoppen wir irgendwo, essen Injera und trinken eine Cola. Und jeden Spätnachmittag, wenn die Sonne golden über dem Land steht, sage ich wie ferngesteuert: „Dies ist meine absolute Lieblingstageszeit“, was schon zu vielen Parodien geführt hat, ebenso wie die Tieranekdoten, die Netsanet bevorzugt erzählt. Kurz: Wir haben uns aneinander gewöhnt und einander lieb gewonnen. Von mir aus könnte es ewig so weitergehen.

Abends kamen wir in Lalibela an, für heute war es zu spät, noch etwas anzuschauen. Mir nur recht, denn so konnte ich ein bisschen programmlos durch die Gegend spazieren. Und endete im Old Abyssinian Coffee House, einem Café am Rand von Lalibela mit spektakulärem Blick über das Land. Perfekt für ein Feierabendbier, dachte ich. Eine ähnliche Idee hatte auch schon ein anderer, der mit über dem Abgrund baumelnden Beinen vor dem Café saß, siehe oben. Wir kamen schnell ins Gespräch: Er heiße Kevin, sei Ire, habe in Dublin ein Restaurant. Und komme immer mal wieder nach Lalibela, um hier Kochkurse zu geben, hauptsächlich für Restaurantbesitzer, die lernen wollen, auch für westliche Mägen zu kochen, was Einfaches, aber Gutes. Wir redeten noch ein bisschen über das Land, die Leute, die Schönheit, die Freundlichkeit. Er griff sich irgendwann meine Kamera, machte ein Foto von mir im Dunkeln, erzählte, dass er gern experimentiere, in der Antarktis schon mit Schnee gekocht habe und in der Wüste mit Sonne und auch viel fotografiere. Neugierig geworden, fragte ich nach seinem Nachnahmen: Thornton.

Eben habe ich ihn gegoogelt und musste wieder lachen: Kevin Thornton ist in Irland ein bekannter Fernsehkoch mit anscheinend legendären Ansichten zu Pommes Frites, hat es mit seinem Restaurant Thornton’s mal auf zwei Michelin-Sterne gebracht und einen Fotoband veröffentlicht. Hier, in Äthiopien, war er einfach nur ein netter Kerl mit einem Bier in der Hand, der mit mir diese Landschaft teilte. Auch dafür liebe ich das Reisen.


24 Antworten to “Im Norden, Tag 7: Von Mekele nach Lalibela”

  1. Drachenfee Says:

    Liebe Meike, ich freue mich so für Sie, dass Sie dies alles erleben dürfen! Und es stärkt in mir den Wunsch, das Leben in der Welt zu erleben. Dieser Monat ist besonders ergreifend und Ihre Ausflugsberichte sind beinah magisch!

  2. Gabi Says:

    Es wird einfach immer schöner! Was für eine Sehnsuchtslandschaft … das ist bei weitem das Land, welches mich am meisten überrascht und beeindruckt! Dankeschön.

  3. Mirjam Says:

    Liebe Leserinnen von Meikes Blog,
    ich war ganz schön überrascht über die vielen Antworten auf meinen Kommentar. Ich bin selber Autorin und finde es von daher ganz normal, dass ein Text nicht nur gelobt, sondern auch kritisch gelesen wird.
    Dass ich verschärft auf die Wahrnehmung einer fremdem Kultur blicke, liegt auch daran, dass ich gerade selber an einem Buch über Weltmusik arbeite.
    Hier habe ich immer wieder die Chance, neue Kulturen kennen zu lernen. Dabei habe ich festgestellt, dass fast jede Kultur ihren eigenen Schöpfungsmythos hat, und ihre eigene Kunst, Musik usw. Dieses Fremde wahrzunehmen, ist oft gar nicht so leicht, weil man eben meint, wie es bei einem zu Hause ist, muss es überall sein. Wenn man sich erstmal ein bisschen frei gemacht hat, ist es jedoch wunderbar, die Vielfalt an menschlichen Äußerungen in unserer Welt zu entdecken.
    Liebe Grüße – Mirjam

  4. MeikeM Says:

    Ach, Ihre Begegnungen sind einfach immer wieder herrlich und das letzte Foto ist ebenfalls ganz grandios!

  5. Marie Says:

    @meike Welche Distanz legen Sie denn zurück in neun Stunden? Eher 300 km oder eher 700 km? Ich stelle mir Äthiopen nach Blick auf den Globus etwa so groß vor wie Deutschland. Stimmt das?

  6. Claudia L. Says:

    schwups ist mein Becher Kaffee leer…wie aufregend ihr heutiger Eintrag war, toll das Erlebte!

  7. meike Says:

    @marie: 400undeinpaarzerquetschte. Äthiopien ist etwa dreimal so groß wie Deutschland.

  8. Bettina Says:

    Liebe Meike, was gibt es eigentlich zum Thema “sleep” während Deiner Reise
    in den Norden zu berichten ?

  9. Karl Says:

    Deine Aufnahmen gefallen mir wirklich fantastisch. Sie sind Balsam für die Seele!

  10. Claudia F. die andere Says:

    was für geniale bilder von ihnen – vielen dank dafür

    das biker bild treibt mir ein breites grinsen ins gesicht -
    in dieser landschaft rad fahren – der reinste wahnsinn

    und vielen vielen dank dafür, dass sie mir die möglichkeit
    geben, vollkommen kostenlos an ihren grandiosen
    bildern und berichten, teilhaben zu dürfen

  11. claus Says:

    @meike winnemut-ig:

    ihr geniales zitat:

    **..AUCH UNTER ARCHAEOLOGEN TOBEN GRABENKAEMPFE..**

    …wird den juroren der *GfdS* gut gefallen! .. „zitat des jahres 2011“ ??

    (stammt aus ihrem blog-eintrag hier – waehrend ihres lehrausflug in den norden von aethiopien – vom 19.nov. -> bildlegende/bildtitel foto 1118*grabbalthazar*)

    mfg claus

    <°))))

  12. waldviertelleben Says:

    das ist alles so unglaublich schön!

  13. PepeB Says:

    Die Landschaft fasziniert mich. Und die Farben! Und Ihre Begegnungen …

  14. Franka Says:

    Dieses Land wird mir langsam unheimlich.
    Es weckt meine Sehnsucht dorthin zu reisen.

    Ihre Erlebnisse so gut geschildert.
    Ihre Begegnungen außergewöhnlich.

    Herzlichst!
    Franka

  15. kerstin_g Says:

    Liebe Meike Winnemuth,

    mensch dieser tolle Bus wird immer voller : )) Und warum auch aussteigen. Eng ist es ja nicht. Die Luft ist auch gut.
    Wie wäre das wohl, wenn wir jetzt alle aussteigen würden auf einen kleinen Cafe, dort im Old Abyssinian Coffee House? Ein großes, lautes Gedrängel…
    Nein Hilfe… der Reiz dieser wunderbaren Reise liegt für uns alle, ja Gott sein Dank darin, dass das gar nicht geht.

    Mich beeindruckt schon eine ganze Weile von wie vielen Menschen Sie begleitet werden. Mit all den Sehnsüchten, Ideen und Gedanken. Und schon eine Weile überlege ich, ob das auch mal anstrengend für Sie ist? Sie teilen viel. Ganz schön viel finde ich. Und da passiert ja was. Eben nicht nur dort in der Ferne, sondern auch hier hinter den Kulissen dieses Blogs.
    Mich inspirieren Sie, regen mich zum Nachdenken an. Ideen entstehen. Sie machen Mut. Auch die gewohnten Pfade mal wieder zu verlassen. Vielleicht wird was Konkretes draus. Was Kleines oder auch was Größeres. Mal sehen…

    Und sicher geht das einigen hier so.
    Das ist wirklich schön!

    Gute Reise! Und vielen Dank.

    kerstin

  16. Babsi Says:

    Ob jetzt wohl viele Mitreisende auch das Lied “I’m getting good at missing you” gerade hören und genauso wie ich schwofend grinsend im imaginären VmdW Bus über die Stolperpiste “heizen”?

  17. Babsi Says:

    @ kerstin: zwei Dumme, ein Gedanke! :-)

  18. Katharina K. Says:

    Liebe Frau Winnemuth, seit Tagen, Wochen, Monaten verfolge ich diesen wunderbaren Blog – könnten Sie nicht immer so weiter reisen? Texte und Bilder sind ein Traum und lassen mich für kurze Zeit in Äthiopien, Barcelona, am Toten Meer, in Kopenhagen und wo auch immer sein. Ich freue mich jeden Tag, hier einmal reinzuklicken! Dankedankedanke!

  19. Marie Says:

    @ claus

    The Rest is Silence.

  20. nico Says:

    natürlich würden wir das lied lauthals mitsingen :-D

  21. die_schottin Says:

    Toll dass Du das alles mit uns teilst! Eins der schönsten und interessantesten Länder hast Du Dir fast bis zum Schluss aufgehoben. Was lese ich bloß abends im Netz, wenn Du im Januar wieder im Hamburg weilst?! Du könntest ein tolles Buch mit vielen Bildern veröffentlichen, dann könnte ich jederzeit noch einmal mit auf die Reise gehen.

  22. Barbara Says:

    Liebe Meike,
    ein wunderbarer Bericht… und dank Ihnen bin ich wieder (nach 30 Jahren!) auf Don Williams aufmerksam geworden, dieser Mann mit der wunderbaren Stimme, dessen LPs ich damals gehortet habe…. DANKE!

  23. no name Says:

    Mir geht’s wie Franka. Dieses bisher unbeachtete und unbekannte Land wird von Eintrag und Eintrag interessanter. Vielen Dank und alles Gute weiterhin!

  24. Croco Says:

    Scheint ein Ort für besondere Menschen zu sein.
    Ein Ire gibt Kochkurse, in the middle of nowhere.
    Und dann kann er wirklich etwas, ist bekannt dafür.
    Und trifft Sie, die Sie auch einen Traum leben und uns dazu einladen.
    Schön, einfach schön.