Einmal um den Block

Dieser erste Tag erinnert mich sehr an Indien. Bettelnde Mütter mit Kind auf dem Arm, die sich ins Taxifenster hängen, Soldaten, die einem das Fotografieren öffentlicher Gebäude verbieten wollen (oben: Africa Hall und UN-Wirtschaftskommission für Afrika), chaotischer Verkehr, irre Luftverschmutzung, Wellblechhütten. Und, wie damals in Mumbai: Ich bin die einzige Weiße, die zu Fuß unterwegs ist. Wer es sich auch nur einigermaßen leisten kann, fährt Taxi oder Sammeltaxi.

Dazwischen musste ich aber auch immer mal wieder lachen.

Zwei furchteinflößend gigantische Friedenstauben auf einem Portal. Verteidigungsministerium?

Der derzeit regierende heimliche König, Haile Gebreselassie, bester Läufer der Welt, macht Werbung für Johnny Walker? Okay…

Passend dazu: erstaunlich viele Leute mit Turnschuhen lassen sich die Schuhe putzen. Die äthiopischen Schuhputzer arbeiten mit Seifenlauge und Lappen – es geht vor allem darum, den Dreck runterzukriegen. Polieren: Nebensache.

Mein Ziel, etwa drei Kilometer entfernt: das Nationalmuseum. Und dort hatte ich tatsächlich zum ersten Mal fast Tränen in den Augen. Zu sehen, wie die großen Fundstücke des Landes – die Skelette von Lucy, DIK 1-1 und Ardi, den ältesten Hominini der Welt, alle in Äthiopien entdeckt – hier lieblos in verstaubten Kisten nur mit ein paar kargen Zeichnungen erläutert präsentiert werden (auch wenn es natürlich nur Replika sind), dreht mir mein Museumsliebhaberherz um. Dasselbe gilt für die unfassbaren Kronen und Staatsroben von Haile Selassie: unbeleuchtet in verschmierten Glaskästen, es ist herzzerreißend. Was könnte man mit etwas Geld für eine tolle Ausstellung daraus machen! Aber genau das fehlt natürlich. Und wenn es da wäre… Ja, hier gibt es Dringenderes zu zahlen.

National Museum, King George VI Street, Addis Abeba

Hinterher immerhin eine Entdeckung: Rechts neben dem Museum gibt es ein Gartencafé namens Lucy. Man sitzt sehr schön im Grünen, eine willkommene Oase. Und das hiesige St. George-Bier ist fast so trinkbar wie das palästinensische Taybeh neulich.

29 Antworten to “Einmal um den Block”

  1. gab Says:

    klingt sehr indisch :-) aber, wenn man sich gewöhnt hat, kann man dem bestimmt einen eigenen charme abgewinnen. prost!

  2. Jutta Says:

    probiere mal den Kaffee, traditionell zubereitet

  3. Babsi Says:

    Mir sind die Schriftzeichen auf dem Kodak-Bild aufgefallen. Sind das arabische Zeichen?

  4. Trulla Says:

    Hallo Maike,

    planst Du, die Felsenkirchen in Lalibela zu besichtigen? Und Flusspferde zu sehen?

  5. Daniela Says:

    Hallo Meike,
    ich habe bisher gar keine Meinung zu Addis Abeba, bin aber schon sehr gespannt.
    Was gab es denn als erstes Mahl?

  6. Claudia Says:

    Wellblechhütten und Jonny Walker Werbung

    erschreckende Kontraste

  7. Birgitt v.Maltzahn Says:

    Wie schön, wenn man reisen lässt….vielen Dank für Ihre Mühe, die schönen Fotos und die tollen Berichte, die lesen sich sehr gut im komfortablen Deutschland.

  8. Kristiane Says:

    Irre, mit welcher Energie Sie da gleich wieder loslegen. Das bewundere ich, wie Sie durch dieses Jahr gehen, ganz auf sich gestellt und offenbar ohne (für uns Mitfahrer wahrnehmbare) Phasen von Erschöpfung, Irritation oder Depression. Mich würde so eine Reise, bei aller Interessantheit, total überfordern. Deshalb finde ich es auch so großartig hier mitfahren zu können. Nochmal und immer wieder: ein dickes Dankeschön fürs Teilen Ihrer Erlebnisse und Eindrücke!

  9. Kristiane Says:

    P.S.: Diese dicken, aufgeplusterten Tauben find ich… zum Piepen. Wie sagt man doch so schön: Besser der Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach. Aber so’ne Taube hätt ich auch gern mal auf dem Dach.

  10. Penelope Says:

    Die Tauben sehen aus wie Kampfflieger…

  11. Alicia Says:

    Herrje, AA ist wirklich Wahnsinn! Ich wünsche dir auf jeden Fall viel (Durchhalte-) Kraft und Freude, schöne Erlebnisse und spannende Begegnungen! Und danke dir tausendmal für den ewig wachen Blick, mit dem du durch AA läufst und deine Erlebnisse mit uns teilt. Ich glaube, AA wird die spannenste Stadt von allen!

  12. Sonja Says:

    Herrlicher und spannende Bericht – mal wieder. Ich liebe es, durch Sie neue Städte kennenzulernen, die bisher so gar nicht auf meiner “mentalen Landkarte” vorhanden waren. Danke!

  13. Claudia F. Says:

    @Birgitt v.Maltzahn: Das ist ja ein Zufall :-)
    Erinnerst du dich an mich? Wir kennen uns vom Elternbeirat der Oselschule: ich bin Claudia, die nach Bonn gezogen ist.

  14. Hermann und Nicola Says:

    Hallo Maike,
    wir teilten uns im Austrian Hospice in Jerusalem den Frühstückstisch mit Ihnen (25.11.) und kamen gleich nett ins Gespräch.
    Wieder zurück im herbstlichen Norddeutschland haben wir uns sofort auf Ihren Weblog gestürzt.
    Seitdem bleiben wir dran und sind sehr gespannt auf neue Bilder und Kommentare. Gefällt uns außerordentlich gut, aber es fehlt ein wichtiger Hinweis ganz oben auf der Seite, nämlich die Warnung vor dem hohen Suchtpotential.

    Alles Gute für die restlichen zwei Monate. Wir bewundern Sie!

  15. Hermann und Nicola Says:

    Sorry Meike, mit “ei”!

  16. Barbara S. Says:

    Nach nachgeholtem Schlaf wieder die Neugier. Wunderbar! Oder war der Abschied aus Israel so deprimierend? Schön, dass Sie wieder unternehmungslustig sind.

  17. Anajana Says:

    Neue Heimat AA => Finde ich unglaublich spannend!
    Neue Heimat 11b => Halte ich für eine wahrlich weise Entscheidung. Bei so vielen Eindrücken und ggf. einem Kulturschock nach dem anderen sollte man sich einen gemütlichen Hafen, eine kleine Oase, gönnen dürfen. Vielleicht auch über 2 Nächte hinaus.
    Meike => Ich bewundere Sie für Ihren Mut, Ihre Fähigkeit mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, Ihr Talent besondere Menschen (wie hieß es “Besonderlinge”) zu finden, eine immer größere Leserschaft (der große blaue Bus – warum denk ich dabei immer an den Kli-Kla-Klawitterbus – wird immer länger – schöööön) in Ihren Bann zu ziehen.
    Ich wünsche Ihnen eine tolle Zeit in Addis Abeba, passen Sie auf sich auf und lassen Sie uns weiter an Ihren Erlebnissen teilhaben. Gehört mittlerweile zu meinem täglichen, heiß ersehnten Abendritual. (was mach ich bloß ab 2012…..?
    Freu mich schon auf Mona Lisa am Samstag – und für alle die es verpassen – im Internet (ZDF) kann man die ML-Beiträge auch im Nachhinein noch abrufen.
    Liebe Grüße aus Köln

  18. Anajana Says:

    …ach der Kli-Kla-Klawitterbus war ja rot….na ja aber ähnlich vollgestopft dürfte auch der blaue VmdW-Bus mittlerweile sein. ;-)

  19. Rosi Says:

    Haile Gebreselassie und Johnny Walker: Ein bisschen political incorrectness gibt dem Leben doch erst Würze!

  20. Dievommond Says:

    liebe Meike, toll, dass Du gleich den Weg ins Nationalmuseum geschafft hast! Und wie Recht Du hast! Es ist ein Jammer, wie diese nationalen Schaetze aufbewahrt werden. Ich weiss aus Erfahrung, dass es manchmal sehr anstrengend sein kann, sich so einer Armut zu oeffnen und sie lieb zu gewinnen. Um so mehr freue ich mich, dass Du Dir auch solche Staedte zumutest! Fuer uns Leser sind das vielleicht sogar die intressantesten Eindruecke Deiner Reise.

    alles Gute und viel Elan fuer die beiden letzten Monate wuensche ich Dir! Julia

  21. Wildgans Says:

    Wie fremdartig das alles ist….nur die klaren Formen im Museum, die Glaskästen usw. wie überall.
    Dankbar, dass ich mental mitreisen darf!
    Gruß von Sonja

  22. saxana Says:

    Hörte mir gerade das Video – unten – an, und zwar von Anfang bis Ende, so faszinierend fand ich die Klänge. Da wünschte ich mir beim hochscrollen, dass zu den Fotos auch die jeweiligen Geräusche zu hören wären wie in einem Film. Ja, und erst die Gerüche! Die würde ich auch gerne riechen, vor allem in dem Museum.

  23. Miriam Says:

    Sehr interessanter Bericht, ich hoffe, Sie finden noch viele Entspannungsorte wie das Gartencafé Lucy, zum zwischendurch durchatmen.

  24. Croco Says:

    Meines Wissens nach ist das die Orginallucy.
    Die Repliken findet man in London und auch in Fankfurt im Senckenberg.
    Mir ist es in Kairo im Agypitschen Museum ähnlich ergangen.
    Tut ench Amun war rausgeputzt, der Rest verstaubt und ungepflegt.
    Es stimmt schon, dass man nur für die Vergangenheit Zeit hat, wenn die Gegenwart geregelt ist.

  25. meike Says:

    @Croco: Die Original-Lucy liegt gottlob halbwegs geschützt in einer Klimakammer. Einfach so auf einem Stück Pappe unter Glas – die wäre binnen kurzem zerbröselt, besonders in die Luft von Addis.

  26. Babsi Says:

    wenn ich nochmal nachfragen darf: ist die Schrift “amharisch”?

  27. meike Says:

    @Babsi: Die Schrift heißt äthiopisch. Die Sprachen Amharisch und Tigrinya benutzen beide diese Schrift.

  28. Luise Says:

    @Maike

    Die echte Lucy ist seit 2007 auf einer nicht ganz unumstrittenen und für sechs Jahre angelegten Amerika-Tournee. Die Äthiopier sind nicht begeistert, aber Amerika zahlt gut. Zurück erwartet in Addis wird Lucy in 2 Jahren.

  29. claus Says:

    @ Luise
    @ Croco
    @ m.winnemuth

    *lucy* (der name war inspriert vom beatles song „lucy-in-the-sky“) ist (sechs jahre lang) in den usa – auch um einen aller-ersten hochaufloesenden (high-resolution) ct-scan vom „original“ (!) vorzunehmen.. an der „university of texas in austin“.. *lucy* ist zwar schon 3 millionen jahre tot .. aber .. “lucy may be old, but she still has lots of new secrets to tell.”

    hier der link: http://www.jsg.utexas.edu/news/rels/020609.html

    und hier:

    http://www.bloomberg.com/apps/news?pid=newsarchive&sid=a7j_9OLhOJUI&refer=canada

    ps:
    die (geheimnisvolle + unbekannte) finanzielle re-kompensation der us-amerikanischen museen, die *lucy* auf der 6-jahre tournee gegen hohe eintrittpreise .. zeigen.. SOLLTE (!) laut angaben dieser instutute *der MODERNISIERUNG der museen in addis abeba* ZUGUTE kommen..

    von kritischen us-amerikanischen stellen wird “bezweifelt” – dass die US-gelder fuer *lucy* tatsaechlich bei den addis-museen ankommen..

    (einige us-amerikanische museen lehnten es par-tout ab, *lucy* auszustellen.. sie meinen, *lucy* haette addis nie verlassen duerfen.. aus angst vor zerstoerung)