Volkskrankheit
Ich wundere mich seit Wochen – und ich gebe zu, von hier draußen ist das einfach – über all die Titelgeschichten zum Thema Burnout, die alle am entscheidenden Punkt vorbeischreiben und lieber hilflose Kästen über Atem- und Achtsamkeitsübungen drucken als grundsätzliche Fragen zu stellen. Das tut heute dankenswerterweise ein Zeit-Artikel – natürlich, ohne Antworten zu geben.
Volkskrankheit klingt nach etwas bequem Therapierbarem. Wie Volkskrankheit Parodontose, Volkskrankheit Fußpilz und Volkskrankheit Rückenschmerzen (aktueller Spiegel-Titel). Vor allem klingt es aber so, als ließe es sich vermeiden. Um diese Vorstellung herum ist in den vergangenen Jahrzehnten eine ganze Industrie entstanden, bestehend aus Wellnessoasen, Fitness-Centern, Yoga-Kursen und Ökoläden – als Burnoutprophylaxe. In solchen Entspannungsanstalten versorgt der Einzelne sein Humankapital genanntes Leben mit allem Nötigen, um seinen Arbeitsalltag weiterhin in bester Laune zu bestreiten und in jeder Zumutung noch eine spannende Herausforderung zu sehen.
Oktober 5th, 2011 at 17:33
Hervorragender Ansatz. – Lese die ZEIT aus Zeitgründen seltenst, aber diese wird morgen gekauft…
Oktober 5th, 2011 at 18:07
@Uschi: Ich will den Hamburger Kollegen nicht den Umsatz verhageln, aber der Artikel ist tatsächlich nur ein Zwischenruf, sicher nicht länger als die Spalte, die online steht. Für die wirklich interessanten Fragen bräuchte es eine ganze Ausgabe.
Oktober 5th, 2011 at 19:31
Burn-out ist eben modern…wen wundert es, wenn manche Menschen nur noch per Mail oder SMS korrespondieren und nicht in der Lage sind, miteinander persönlich zu reden…da entwickelt sich manches Problem im Laufe der Zeit zur Lawine und alles wird zu viel…ich glaube, mit Verlaub, dass unsere Altvorderen, die noch hart körperlich arbeiten mussten und ein wenig bescheidener waren, mit dem Begriff Burn-out hätten absolut nichts anfangen können.
Wenn man so viele Länder und Menschen mit ihren Geschichten erlebt, wie Sie, Frau Winnemuth, bekommt man sicher einen anderen/offeneren Blick für die Dinge des Alltags…vielleicht wäre dies eine Burn-out Therapie ??;-)
Oktober 5th, 2011 at 19:35
Habe den Artikel auch gelesen, der war echt super!
Oktober 5th, 2011 at 19:35
Liebe Frau Winnemuth, ich bin bisher keinem Blog gefolgt, Ihren lese ich seit ein paar Wochen täglich. Als berufstätige Mutter von zwei Kleinkindern gehöre ich wohl zur potentiellen Burnout-Zielgruppe und wundere mich über diese Joga-gegen-Stress-Artikel auch ein wenig. (Es bereitet mir nämlich Zusatz-Stress, auch noch einmal die Woche zum Joga zu rennen, statt ermattet aufs Sofa zu sinken)
Wahrscheinlich lese ich Ihre Einträge so gern, weil da jemand so begeistert übers Essen schreibt, viel von sich preis gibt, ohne aufdringlich zu sein, unglaublich positiv rüberkommt und anregende Gedanken spinnt. Sie sind eine Inspiration, danke dafür.
Oktober 5th, 2011 at 19:44
“Entspannungsanstalten” – welch treffender und gleichzeitig entlarvender Begriff aus dem ZEIT-Text. Wer vom burn-out bedroht ist, sollte Tom Hodkinson lesen. Diesen Autor habe ich durch Sie entdeckt, Frau Winnemuth, und denke, sein Denkansatz kann Menschen wirklich vorm drohenden Burn-out bewahren. Ich habe seine Bücher schon an einige Ausbrenn-Kandidaten in meinem Umfeld verschenkt. Alle waren sehr angetan, einige haben entschleunigt und sich auf ein einfacheres, unehrgeizigeres Leben rückbesonnen. Ich auch. Tut gut.
Oktober 5th, 2011 at 19:47
Zu diesem Thema habe ich gerade einen interessanten Artikel in der “Psychologie Heute” gelesen. War in der Ausgabe des letzten Monats (http://www.psychologie-heute.de/archiv/2011/092011/). Es wäre nur zu schön, wenn die Massenmedien (jetzt mit Ausnahme der ZEIT) etwas mehr in Fachzeitschriften lesen würden.
Oktober 5th, 2011 at 20:04
Mich würde interessieren, woher dieses „Ausbrennen“ eigentlich kommt und warum dieselben Anforderungen nicht bei allen dazu führen und ob man es wirklich durch Prophylaxe verhindern kann.
Wenn es ein gesellschaftliches Problem ist, wären Soziologen mit einem systemischen Ansatz gefragt, von mir aus auch asiatische Weisheit.
Ich glaube, Burn-Out ist eins der überbewertesten und bisher unerforschtesten Symptome der letzten Jahre und dient nur der entsprechenden Industrie. Bei einer (Erschöpfungs) Depression hilft weder Yoga noch alle Wellness, sondern nur professionelle ärztliche und therapeutische Weisheit.
Oktober 5th, 2011 at 20:46
Birgit spricht mir aus der Seele!!
“Wahrscheinlich lese ich Ihre Einträge so gern, weil da jemand so begeistert übers Essen schreibt, viel von sich preis gibt, ohne aufdringlich zu sein, unglaublich positiv rüberkommt und anregende Gedanken spinnt. Sie sind eine Inspiration, danke dafür.”
Oktober 5th, 2011 at 21:58
Übrigens habe auch ich Hodgkinson durch Sie entdeckt, Meike – lese derzeit mit fasziniertem Staunen “How to be free”… Eine echte Bereicherung, und auch wenn ich nie-nie-nie Ukele spielen werde, so ist doch manches andere wunderbar umzusetzen. Danke also auch für diese folgenreiche Randbemerkung von wann-war-es-denn-noch-gleich.
Oktober 5th, 2011 at 22:00
Ukelele.
Oktober 5th, 2011 at 22:00
Oder?
Oktober 5th, 2011 at 22:36
Ukulele (tschuldigung)
Oktober 5th, 2011 at 22:47
Nein, im Gegenteil, danke! Ich wußte, es sah irgendwie noch falsch aus…
Oktober 6th, 2011 at 05:48
Ein Buch, das ich im Sommer mit Interesse gelesen habe: Ulrich Schnabel: Muße. Gibt es auch als E-Book.
Ingrid
http://www.viva-mexico-design.de
Oktober 6th, 2011 at 07:01
ich könnte mir vorstellen, daß reisen eine gute therapie gegen burnout ist. aber wer kann das schon? die meisten haben zu viele verpflichtungen, um einfach für ein paar monate abtauchen zu können.
Oktober 6th, 2011 at 07:03
noch etwas: ihr artikel in der zeitschrift “myself” vom september 2011 hat mir sehr gut gefallen.
Oktober 6th, 2011 at 08:14
Wundern tut mich das “Ausbrennen” nicht:
Das propagierte Verhaltensmuster ist Entgrenzung, Herausforderungen suchen, Grenzen überschreiten, wachsen.
Wer sich innerhalb seiner eigenen Grenzen gut organisiert, verschwendet weniger Energie, brennt nicht so schnell aus. Ist natürlich uncool.
Oktober 6th, 2011 at 10:32
Zu dem Thema hat mir dieses Video von RSA Animate super gefallen: “Smile or Die!” http://youtu.be/u5um8QWWRvo – und das hat wirklich in den letzten 20 Jahren zugenommen.
Es gibt quasi kaum die Möglichkeit Deinem Chef zu sagen: Och, ich bin gar nicht fröhlich. Es läuft schlecht, etc. Da läuft man ganz schnell in Gefahr, dass man durch einen “Positiven Denker” ersetzt wird.
Also erziehen wir uns selbst dazu, in allem eine Chance zu sehen, etc. Stecken Energie in alles und laufen heiß…
Oktober 7th, 2011 at 13:13
die allerbeste medizin gegen burnout ist ausruhen. was das auch immer für den einzelnen bedeutet.
leider ist es wirklich eine krankheit – da hilft kein zusammenreißen oder pink-thinking. inwieweit die “entspannungsanstalten” symptome lindern helfen, kann wohl nur der einzelne betroffene beurteilen.
mein mann (momentan betroffen) liest auch gerade das hodgkinson-buch
Oktober 8th, 2011 at 20:32
tja…
die psychiatrische fachärztin fragte beim ersten gesprächsthermin: ‘was denken sie denn, warum sie hier sind?’
‘ wenn ich ein mann wäre: burnout. ich bin eine frau, also depression.’
schallendes gelächter der ärztin – der bann war gebrochen
Oktober 9th, 2011 at 08:06
http://de.wikipedia.org/wiki/Es_gibt_kein_richtiges_Leben_im_falschen
1947 schon die Feststellung, es ließe sich privat nicht mehr richtig leben. Die Vereinzelung, der Anspruch, alles machen zu wollen und irgendwie auch müssen, die fehlende Muße-das sind für mich Gründe, die die Menschen in die Depression treiben. Denn Burnout ist nichts anderes. klingt nur schicker. Täglich wird vor Augen geführt, was für tolle Leben man leben kann. Zum Beispiel jeden Monat in einer anderen Stadt zu leben
Mit dem zufrieden sein, was ist, sich im eigenen Leben einzurichten und nicht dem anderen zu neiden, sondern sich daran freuen, dass es soviele verschiedene Modelle für Leben gibt und man vielleicht einfach mit dem ganz Einfachen am richtigen Platz ist-das hilft. Nicht weiter höher schneller. Einfach mal dableiben und den Job, den Partner und die Welt so nehmen, wie sie sind.
Demut. Ein großes Wort, völlig aus der Mode, aber es hilft
Angi