Faketown

Montag, 25. April 2011

In einem Nebengang des vierstöckigen Fake Market hängt diese Notiz in einem Glaskasten. Ob es eine Anleitung zum Fälschen oder ein Verbot ist, weiß ich nicht – zumal ja jedes Verbot einen gewissen Aufforderungscharakter in sich birgt. Besonders in Shanghai: Gefälschte Taschen, Sonnenbrillen, T-Shirts gehören zum Stadtbild, die Ausbeute unten habe ich innerhalb einer halben Stunde gesammelt.

Am meisten interessieren mich dabei die Fälle, in denen die Anmutung von Luxus durch wildes Zusammenmixen von Labeln erzeugt wird. Das Louis-Vuitton-Karomuster im Miniformat mit pradaeskem Metallschild links oder die Gucci-typischen Trensen und Steigbügel im Vuitton-Stil rechts, da dreht der Label-Wahn dann mal amüsant durch.

Aber zurück zum Fake Market. Wer hier kaufen will, braucht vor allem starke Nerven. Es ist ein Spießrutenlaufen durch die Stände, und jeder, wirklich jeder Standbesitzer, kobert einen an. Hello lady, want bag? Hi lady, watch? Rolex! Want sunglasses? Hey lady, beautiful bag? Lady, Louis Vuitton, Prada, Gucci? Hello lady, bag! Lady! Anfangs schüttelt man nur den Kopf, aber ziemlich schnell muss man es einfach nur ignorieren und gehen, gehen, gehen, sonst wird man aggressiv. Ich habe den Sinn von Fakes nie verstanden und in Shanghai verstehe ich ihn noch weniger. Glaubt wirklich irgendeiner, dass er durch Tragen von offenkundlich nachgemachtem Schrott in der Achtung seiner Mitmenschen steigt? Gerade wenn Fälschungen so ubiquitär und inflationär sind wie hier, welche Bedeutung haben die Labels dann noch? Als Statussymbol taugen sie nicht mehr, nur noch als Zeichen dafür, dass man gern etwas hätte, was man nicht hat. (Über Sinn oder Unsinn von Luxuslabel im allgemeinen diskutieren wir dann ein andermal, ja?)

Nein, ich habe tatsächlich nichts gekauft, gar nichts. Aber am Ende bin ich doch kurz stehengeblieben, bei Hey lady, what do you want? Ich musste lachen. Großartige Frage, die ich mir oft selber stelle.

Wer es trotzdem nicht lassen kann: Fake Market, offiziell: Han City Fashion & Accessories Plaza, Nanjing Road West 580

Ostern 2011

Montag, 25. April 2011

Eier vom Imbiss um die Ecke, gekocht in Tee, Sojasauce und Sternanis. Köstlich!

Wie im Schlaf

Samstag, 23. April 2011

So wie die Schlussszene eines meiner ewigen Lieblingsfilme, „Es war einmal in Amerika“, habe ich mir immer Shanghai vorgestellt: eine Stadt wie eine Opiumhöhle, dunkel, verboten, ein Ort des Vergessens. Bestimmt kein Zufall, dass meine Lieblingsorte alle in dieses somnambule Muster passen, obwohl die Stadt selbst so gleißend, so rasend ist. In meinem Massagesalon Dragonfly herrscht permanentes Halbdunkel, man verständigt sich flüsternd; im Raum für die Fußmassagen stehen sechs Liegesessel nebeneinander, oft müssen die Kunden geweckt werden, damit der nächste drankommen kann. Eine moderne Opiumhöhle, aus der ich jedes Mal wie betäubt taumele.

Das Mansion Hotel war in den Dreißigern die Villa von Sun Tingsun, einem Geschäftspartner von Huang Jingrong und Du Yueshang, den beiden mächtigsten Shanghaier Gangstern jener Jahre. Du war der Al Capone von Shanghai, der mächtige Boss der „Grünen Bande“ (einer Privatarmee aus 20.000 Leuten) und beherrschte mithilfe von korrupten Beamten und Huang, dem Polizeichef der French Concession, praktisch die ganze Stadt. Im heutigen Mansion Hotel war die… nennen wir es: Geschäftszentrale eingerichtet. Heute einer der besten Orte für einen Tee in einem fast musealen Dreißiger-Jahre-Ambiente.

Mansion Hotel, Xingle Lu 82

1910 wurde am Bund der Shanghai Club gegründet, ein britischer Privatclub. Dessen Schmuckstück: die Long Bar aus Mahagoni, die mit 34 Metern zur damaligen Zeit längste Bar der Welt. Noel Coward sagte, man könne an ihr die Erdkrümmung erkennen. Man konnte sich nicht einfach irgendwohin setzen, die Plätze wurden nach Status vergeben. Je höher in der Hackordnung, desto näher am Ostende der Bar, mit dem besten Blick auf den Huangpo. Die Bar, die in den Neunzigern einem Kentucky Fried Chicken weichen musste, wurde letztes Jahr rekonstruiert und Teil des Waldorf Astoria, das im Gebäude des alten Shanghai Club eröffnet wurde. Klar haben wir uns ans Ostende gesetzt – aber ein paar Plätze vom äußersten Rand entfernt. Man muss immer Platz für Weiterentwicklungen lassen.

Long Bar, The Waldorf Astoria, The Bund, Zhong Shan Dong Yi Lu 2

Damals

Samstag, 23. April 2011

Via MatadorNetwork, aus einem Fotoessay darüber, wie sich die Welt ändert – und wie nicht.

International

Freitag, 22. April 2011

„Und jetzt gehen wir noch in meine Lieblingsbar“, sagte Shirley, meine Shanghaier Vermieterin, nachdem wir im Whampoa Club eine Flasche deutschen Riesling zu einem chinesischen Tasting Menu getrunken hatten. „Die erinnert mich immer so an Berlin.“ Dort hat sie fünf Jahre gelebt, ihr Deutsch ist hervorragend. Die Bar heißt El Coctel und wird von einem Spanier namens Willy betrieben, unser Bartender ist Japaner, wir bestellen auf englisch. Shirley erzählt mir von ihrem argentinischen Tangounterricht. Der Lehrer ist ein arabischstämmiger Deutscher, der mit einer Chinesin verheiratet ist.

Je länger ich unterwegs bin, desto egaler ist das alles: wer zufällig in welchem Land geboren ist. Es geht darum, wo man sich zuhause fühlt. „Ein paar Monate, nachdem ich nach Berlin zog, hatte ich Geburtstag“, erzählt Shirley. „Es kamen 80 Leute. Hier in Shanghai mag ich vielleicht acht.“

El Coctel, 2. Stock, Yongfu Lu (in der Nähe der Fuxing Xi Lu)

Substanziell

Donnerstag, 21. April 2011

Ich saß da also heute morgen in meinem indischen Morgenmantel und trank chinesischen grünen Tee aus meiner argentinischen Silberkanne und guckte von meinem Alkoven aus hinunter auf den Teich mit den Koi-Karpfen und dachte: Glück. Dies. Ist. Es. Dies ist einer jener Momente, an denen das Jahr bisher so reich war. Und auch der geht vorbei. Schreib ihn auf, schnell, bevor er weg ist. Stattdessen fing ich an, in einem Buch über Tee zu blättern, das mir Shirley hingelegt hatte. Schlug eine Seite auf, rechts ein Foto mit silbernen Teelöffel, links ein Zitat aus Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit:

In der Sekunde nun, als dieser mit dem Kuchengeschmack gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog. Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt. Mit einem Schlage waren mir die Wechselfälle des Lebens gleichgültig, seine Katastrophen zu harmlosen Missgeschicken, seine Kürze zu einem bloßen Trug unsrer Sinne geworden; es vollzog sich damit in mir, was sonst die Liebe vermag, gleichzeitig aber fühlte ich mich von einer köstlichen Substanz erfüllt; oder diese Substanz war vielmehr nicht in mir, sondern ich war sie selbst.

Und jetzt gehe ich Klopapier kaufen.

In da hood

Mittwoch, 20. April 2011

Ich war entschlossen, die Taikang Lu blöd zu finden: ein enges Gassengewirr zwischen alten Shikumen-Häusern, in denen jetzt niedliche Boutiquen, schräge Cafés, schicke Galerien untergebracht sind. Praktisch jede Weltstadt scheint so ein altes Backsteinviertel zu haben, und in allen sind niedliche Boutiquen, schräge Cafés, schicke Galerien. Immer ist das Essen schlecht, die Kunst uninteressant und die Mode überteuert – und genau so ist es auch in der Taikang Lu. Warum ich sie dann doch mochte, hat mit dem Foto rechts zu tun. Zwischen dem schnatternden Fashionvolk, das sich durch die Gassen schiebt, sieht man auch renitente Alteinwohner, die immer noch in ihren Gemeinschaftsküchen draußen auf der Gasse kochen, ihre Wäsche an Bambusstangen über die Kauflustigen hängen (es tropft manchmal) und sich so gar nicht luxussanieren lassen wollen. Wer weiß, vielleicht sind sie vom Authentizitätbeauftragten des Viertels handgecastet worden, aber durch sie wird das Viertel zumindest nicht zu einem solchen Disneyland wie das totrenovierte Xintiandi, das ein ähnliches Konzept verfolgt.

Ansonsten: Mal wieder einer dieser wunderbaren Tage, an denen nichts Besonderes passiert, die aber genau deshalb perfekt sind, weil sie so entspannt, so heiter und anstrengungslos vor sich hin trotten. Weil einfach alles klappt. Erst zum Tee bei einer Familie aus Ingolstadt, die hier seit letztem Jahr glücklich in einem wunderschönen Longtang-Haus wohnt. Danach in die Filiale der Bank of China, in dessen Geldautomat ich gestern meine VISA-Karte* vergessen habe: kein Problem, sie wurde gefunden; eine Unterschrift und ich bekomme sie ausgehändigt. Auf dem Heimweg das Abendbrot gekauft: frisch gebackene Teigfladen, schnell zerradelt und in Tüten verkauft für rund einen Euro. Nach Hause gehen. (Und die Freude, wieder zu einem Ort „zuhause“ sagen zu können, mit Hotels will mir das einfach nicht so gut gelingen.)

* Mit Kreditkarte Geld am Automaten abheben? Ist das nicht blödsinnig teuer? Normalerweise ja, aber mit einer Karte der DKB-Bank weltweit an jedem (!) Automaten kostenlos, so eines der besten nicht-mehr-so-wohlgehüteten Weltreisenden-Geheimnisse. Noch besser: Die Summe, die ich vor der Reise als mein Budget auf das DKB-VISA-Konto eingezahlt habe, bringt bummelige 1,65 Prozent Guthaben-Zinsen, mehr als manches Tagesgeld-Konto. Ende Werbespot.

Heimat, mal wieder

Dienstag, 19. April 2011

Und sofort ist alles anders. Ich lebe in diesem Jahr normalerweise in möblierten Wohnungen. In den letzten Wochen hat das allerdings aus verschiedenen logistischen Gründen nicht geklappt, ich habe also in Hotelzimmern gewohnt. Mal lieber (die letzten Wochen im URBN waren für mich circa so wie die vergangen Jahre im Hamburger Atlantic für Udo Lindenberg), mal nicht (M.U.M.B.A.I.).

Heute bin ich in eine Wohnung in der French Concession gezogen, die ich eigentlich für den Mai angemietet hatte (bevor ich meine Reisepläne wegen der Japan-Katastrophe ändern musste). Sie gehört Shirley Zhao, einer chinesischen Dokumentarfilmerin mit fünf Jahren Berlin-Erfahrung, die ihr Apartment charmanterweise Shirleys Temple nennt. Verdient, denn es ist wirklich entzückend. 88 Quadratmeter Ikea-meets-Teezeremonie im 5. Stock eines Apartmentblocks gleich um die Ecke der der Tai Kang Lu. Ich habe hier eine ayi, eine Haushälterin, die mir als erstes furchtbar viel Obst gekauft hat, es gibt einen Alkoven zum Teetrinken, in dem ich furchtbar viel Zeit vertrödeln werde, und einen Wachmann mit Mütze, der lächelnd „Good afternoon, miss“ gewünscht hat. Mag sein, dass ich echt billig zu haben bin, aber ich mag es, wenn man mich „miss“ nennt. Ich bin vermutlich einfach im richtigen Alter dafür: Driving Miss Meike.

Verkehrsregelung

Montag, 18. April 2011

Keine andere Stadt… Nee, so darf man nicht beginnen, denn was habe ich schon an Städten gesehen? Einen winzigen Bruchteil. Also: Was mir an Shanghai auffällt und gefällt, ist das deppenleichte Navigieren durch die Stadt. Die U-Bahn zum Beispiel macht es einem besonders einfach: Man muss nicht mühsam herausfinden, wie die Endstation der Linie heißt, um in die richtige Bahn zu steigen, sondern in jeder Station wird am entsprechenden Bahnsteig die ganze Linie angezeigt. Die Haltestellen, die die Bahn schon passiert hat, werden nebliggrau angegeben: simpel und effektiv. Direkt daneben ein Countdown, wann die nächste und die übernächste Bahn kommt, wann die erste und wann die letzte fährt.

Überirdisch wird es einem ähnlich leichtgemacht: Die Straßenschilder zeigen jeweils die Parallelstraßen und die nächste Querstraße an, man weiß wirklich immer, wo man gerade ist.

Soweit die Theorie. Die Praxis: der Mensch. Der macht die schöne Ordnung wieder zunichte. In der Bahn wird nicht gewartet, bis die Aussteigenden raus sind, sondern es wird munter reingedrängelt, was in der Hauptverkehrszeit zur Nahkampferfahrung wird. Im Straßenverkehr warten Linksabbieger nicht, bis der Geradeausverkehr durch ist, sondern fahren ebenfalls knallhart drauf los. Zebrastreifen gelten als amüsante Straßendekorationen, auch hier schaut man sich selbst an Ampeln besser dreimal um – Autos haben immer Vorfahrt.

Aus irgendeinem Grund mag ich es aber, dass die perfekte staatliche Kontrolle eben doch nicht gelingt, nicht mal in China. Der Mensch als Masse ist in der Stadt eine renitente, unsteuerbare Instanz mit eigenen Gesetzen. Gefällt mir.

Adabei

Samstag, 16. April 2011

Das ist doch… genau. Also, wie war das jetzt, wie kam es zu diesem Foto?

Nachmittags traf ich eine alte Freundin zum Tee, die gerade für ein Wochenende in der Stadt ist. „Komm doch heute abend einfach mit“, sagte sie, „ich lass dich auf die Gästeliste setzen.“ Ah, die Gästeliste. Ich bin lange genug in diesem Job, um zu wissen, dass Partys mit Gästeliste nicht unbedingt die besten sind, aber diese klang trotzdem lustig: der Launch von Michael Schumachers Turnschuh-Kollektion MSone. M Sone? Nein, MS one. Ah! Es handelt sich um eine auf 888 limitierte „Trilogie“ aus drei Schuhen namens Morning (weißes Straußenfußleder), Afternoon (graues Lachsleder) und Nightlife (schwarz mit Swarovski-Steinen) für 3000 Euro nebst dem auf 88 Paare limitierten Starboot aus rotem Wasserschlangenleder mit sieben goldenen Sternen (für Schumachers sieben WM-Siege) und Schnürsenkeln aus 18karätigem Gold für 5000 Euro. Die Schuhe sehen genau so aus, wie sie klingen, sind also maßgeschneidert für den chinesischen/russischen/arabischen Sammlermarkt. Wie sehr hier vor allem neureiche Chinesen anvisiert werden, sieht man an der penetranten Verwendung der chinesischen Glückszahl 8 in der Edition.

Eine der großen Freuden dieses Jahres ist es, dass ich wirklich nur zum Spaß zu so was gehe und nicht gehen muss. Deshalb habe ich richtig genossen, worüber ich sonst in der Regel die Augen verdrehe: die fusselbärtigen Hipster, die hilflos herumstehenden Hostessen, die gelangweilt auf ihre Blackberrys starrenden dressed to kill-Tussis, die gelangweilt auf ihr MacBook starrende Samantha Ronson, die auflegte (= iTunes-Mixe abspielte), der Modeblogger Bryanboy (pinkfarbene Hose, grüne Schuhe – beides Jil Sander, glaube ich –, Leo-Bademantel, Vintage-Chanel-Umhängetäschchen) – der ganze globale Party-Ennui. Kurzzusammenfassung des Abends: ein halbes Glas Champagner, ein Dim Sum-Knödel, ein Macaron, ein gutes Gespräch mit einem Erwachsenen, ein schneller Abgang um halb elf. Ich fand’s gelungen.

Schumacher startet beim Rennen morgen übrigens von Position 14. Ist aber eigentlich auch egal.