On the road

Samstag, 28. Mai 2011

Eine der schönsten Strecken auf der Insel führt von Kailua im Osten an den North Shore. An einem Samstag – speziell am Samstag des langen Memorial Day-Wochenendes – fährt man zwar Kolonne, aber es gibt Schlimmeres als hinter Pickup-Trucks voller Surfer zu fahren. Und es gibt definitiv Schlimmeres als den Anblick rechts neben der Straße:

Ich mag, dass hier alles aussieht wie frisch an den Strand gespült, inklusive der Kirchen (an dieser mag ich besonders, dass der Gottesdienst morgens auf englisch, nachmittags auf tonganisch abgehalten wird).

In der Höhe von Kahuku stehen die ersten Shrimp-Buden des North Shore. Die berühmteste ist der graffitibesprühte Giovanni’s Original White Shrimp Truck. Das Menü ist übersichtlich: 1. Shrimps in Knoblauch und Öl, 2. Shrimps mit scharfer Sauce („sehr scharf – Umtausch ausgeschlossen“), 3. Shrimps mit Zitronenbutter. Ich nahm den Klassiker, Nummer 1 – ein Pappteller mit einem Dutzend köstlicher, dicker, saftiger Scampi: Instant-Glück.

Mein Ziel (und das der Jungs im Pickup vor mir): Hale’iwa, das größte Städtchen an der Nordküste (2500 Einwohner), Heimat der berühmtesten Welle der Insel, wenn nicht gar der Welt: der Banzai Pipeline – allerdings nur im Winter, jetzt, im Sommer, plätschert es eher. Es heißt, dass man die Güte des Surfs immer daran ablesen kann, wie voll es in der Stadt ist. Wirkt sie verlassen, sind sie alle auf dem Wasser. Heute: pickepackevoll. Die Schlange vor Matsumoto Shave Ice: einmal ums Haus. Mist. Und jetzt?

Shave Ice ist im Unterschied zu sonstigen hawaiianischen Spezialitäten – der berüchtigte Plate Lunch kommt mit Herzinfarkt-Garantie – geradezu Diätnahrung. Es ist nichts anderes als feingeraspeltes Eis (wir reden hier von gefrorenem Wasser) von der Konsistenz frisch gefallenen Schnees, über das Sirups in allen Regenbogenfarben gegossen werden. Wer das am besten und buntesten macht, darüber wird heftig gestritten: Matsumoto? Island Snow? (Immerhin geht Obama immer hierher.) Waiola? (Immerhin gehe ich immer hierher.)

Mein Gott. Es sind wirklich nur noch zwei Tage.

Das große Gelb

Samstag, 28. Mai 2011

Das Schöne am Alleinreisen ist ja, dass man seinen Obsessionen völlig ungehindert folgen kann. Nach Magnum gestern heute also: Ananas. Ich habe hier praktisch jeden Tag eine gegessen, Gegenwehr wäre auch sinnlos gewesen bei Stücker 50 Cent und diesem überwältigenden Duft. Auf Oahu befindet sich die historische Dole Plantation, die heute in klassisch amerikanischer Tradition ein Vergnügungspark mit Huschebahn und Riesenshop ist.

Was für eine Heidenarbeit Anbau und Verarbeitung dieser Stachelbiester ist, wird erst hier klar: Ananas werden von Hand gesetzt und geerntet, bis zur ersten Frucht dauert es 20 Monate. In fünf Jahren gibt es nur drei Ernten, und die finden in Schutzkleidung statt, die eher einer Rüstung gleicht. Obwohl die Ananas ursprünglich gar nicht auf Hawaii heimisch war, wurde sie durch die Plantagen und die damals weltgrößte Konservenfabrik von James Dole zu einem Exportschlager: Einst kamen 75 Prozent der Weltproduktion aus Hawaii.

Kleiner Ananas-Grundkurs: Die Reife erkennt man nicht an der Farbe, sondern am Duft. Wenn sich aus dem Inneren der Krone leicht ein Blatt zupfen lässt: kaufen! Ananas reift kaum nach, es lohnt sich also nicht, eine unreife zu kaufen und liegen zu lassen. Auf der Dole-Plantage werden die reichlich verteilten Probierstücke übrigens mit Li Hing Powder bestreut, einer für mich sensationellen Entdeckung: Extrakt von salzig eingelegten Pflaumen und Lakritz, süß-salzig-sauer und einfach suchtbildend.

Dole Plantation, 64-1550 Kamehameha Hwy., Wahiawa

Must See TV II

Samstag, 28. Mai 2011

So könnte es gehen. So könnte ich es vom Sofa runter schaffen: indem ich mich auf die Suche nach meiner Jugendliebe mache. Thomas (seufz) Sullivan (das wussten Sie nicht, oder?) Magnum IV. (doch wirklich, der IV.). Oder auch: Magnum. Es war, man sieht es gleich, in jener grauen Vorzeit, als Magnum noch kein Eis am Stiel war und die wirklich Großen unter ihren Nachnamen (Bogart, Gandhi etc.), nicht ihren Vornamen (Madonna, Lena etc.) bekannt waren.

Jede Generation hat ihr eigenes Hawaii-Bild, glaube ich. Ich bin mit Magnum und Hawaii Five-O aufgewachsen, die Generation davor vermutlich mit Elvis Presley, Tiki-Kitsch und „Es gibt kein Bier auf Hawaii“, die danach mit Lost. Ich wollte also wissen: Wo hat Magnum seinen roten Ferrari 308 GTS geparkt? Wo hat Higgi-Baby Apollo und Zeus auf ihn gehetzt?

Die Antwort: 41-505 Kalanianaole Highway, kurz vor Waimanalo. Es ist ein Privatgrundstück, aber ein paar hundert Meter weiter gibt es einen Strandzugang, und man kann bei Ebbe auf der Rückseite der Grundstücke bis zu Robin’s Nest waten. Was ich natürlich getan habe.

Viel zu sehen ist nicht. Um so besser, denn die Phantasie wird allemal mehr dadurch befeuert, dass man auf Zehenspitzen am hinteren Zaun steht und versucht, das Gästehaus von Robin Masters, Magnums Zuhause, durch die Botanik zu sehen. Erfolglos.

Was allerdings geht: im hauseigenen Gezeitenpool baden. Das Meer ist hier von ein paar Steinmauern zu einem Plantschbecken gezähmt und so unverschämt türkis, dass man sich einfach reinschmeißen muss. Ich war nicht allein, eine Familie aus North Dakota war ebenfalls mit hochgekrempelten Hosen hierher gepilgert. Wir knipsten uns gegenseitig vor Rabbit’s Island und kamen uns auf allerglücklichste Weise wahnsinnig albern vor.

Must See TV

Mittwoch, 25. Mai 2011

Ich bin nicht stolz darauf. Aber ich schäme mich auch nicht. Höchstens ein bisschen. Vielleicht ein bisschen mehr als ein bisschen, aber so was macht einen ja nur härter. Ich habe jetzt schon den zweiten wunderschönen Nachmittag (sonnig, leichte Brise, 29 Grad, türkisfarbenes Meer) hinter zugezogenen Vorhängen auf dem Sofa gelegen, gestern mit Macadamia Nuts und Earl Grey-Tee, heute mit Champagner und Orville Redenbacher Light Butter Microwave Popcorn („listen to the pop to know when to stop“), und die Abschiedsshows von Oprah Winfrey gesehen. Ja, Shows. Denn ähnlich wie bei Hochzeiten in ölfördernden Staaten geht es in solchen Fällen nicht unter drei Tagen und 20.000 Gästen. Schon der erste Teil gestern – Tom Hanks als Conferencier, Tom Cruise, Madonna („Wenn man mich nach meinen Vorbildern fragt, sage ich immer: lebend oder tot? Die einzige lebende bist du, Oprah“), Beyoncé, viele Geigen, viel „imagine“, viel „believe“, viel „Du kannst alles werden, was du willst“ – war Erweckungsfernsehen vom Feinsten. Der Papst ist ein Scheiß dagegen. Man sitzt ergriffen davor, der Zynismus schmilzt wie eine 500-Gramm-Packung New York Super Fudge Chunk auf meiner Zunge (oh, hatte ich das noch nicht erwähnt?), es ist ein Fest. Es ist wie die Mondlandung, das WM-Finale von 1990 und die letzte Sendung von Rudi Carrell zusammen, und das nachmittags um vier. Unglaublich, wie gut Amerikaner Fernsehen können.

Heute, zweiter Teil: einige der 64.688 Kinder aus Oprahs Schulförderungsprogramm, Stevie Wonder, Maria Shriver („Du hast mir immer die Wahrheit gesagt“, Pause, „immer“, Jubel im Publikum – leg dich gehackt, Arnold), Maya Angelou mit einem eigens geschriebenen Gedicht, untermalt von Alicia Keys, Aretha Franklin singt „Amazing Grace“. Oh. Mein. Gott. Ich komme kaum zum Nachschenken, so sensationell sentimental ist das inszeniert. Man kann nicht nicht hingucken. Dann kommen 400 College-Absolventen, die es nur mit der Unterstützung von Oprahs Stipendienprogramm geschafft haben, mit Lichterlein auf die Bühne. Sie heult, ich heule (ach, all der Champagner), es ist wunderbar.

Morgen dann die allerallerallerallerletzte Sendung. Alleraller. Was wird sie tun? Eine Stunde lang allein in einem Studio sitzen und einer Fantastillion Fernsehzuschauern einfach nur allverzeihend in die Augen gucken?

Lucie

Montag, 23. Mai 2011

Ich schreibe in der Regel nicht so furchtbar viel über die Leute, die mir auf meiner Reise begegnen. Es sind viele, es sind viele tolle, und es hätte was von einer Schmetterlingssammlung, wenn jedes Prachtexemplar hier aufgespießt würde. Lucie habe ich schon vor drei Tagen getroffen, und ich dachte gleich: Gott, über die muss ich bloggen. Und habe es dann gelassen. Aber es lässt mir eben doch keine Ruhe – weil man so viel von ihr lernen kann.

Lucie ist eine dieser Frauen, die ich vor 20 Jahren, als ich circa in ihrem Alter war, furchtbar doof gefunden hätte. Und jetzt ziemlich wunderbar. Beides aus demselben Grund: Sie folgt radikal ihrem Instinkt und ihrem Herzen. Sie ist Sängerin und Schauspielerin, ist eine Zeitlang mit ihrem eigenen One-Woman-Musical „Gabrieles Universum – oder: Ich heirate meine Schreibmaschine“ auf Kleinkunstbühnen aufgetreten, hat hier und da Konzerte gegeben, Englisch auf Zanzibar unterrichtet, Kinderbetreuung in Sardinien gemacht – was man halt so tut, um sich durchzuschlagen. Vor drei Jahren begann sie, von Hawaii zu träumen, und zwar im Wortsinn: Sie werde dort glücklich werden und den Mann ihres Lebens finden, hatte sie geträumt. Jeder normale Mensch wäre aufgewacht (wiederum im Wortsinn) und hätte den Traum zu den Akten gelegt, nicht so Lucie: SIe flog nach New York, schlug sich per Couchsurfing bis San Diego durch, erwischte einen Billigflug nach Hawaii, landete auf Kauai – und traf nicht den Mann ihres Lebens. Aber sie tat etwas anderes: Sie schrieb Songs und schaffte es, eine ganze Kirche für ein Konzert voll zu bekommen. Wie? „Ich bin viel getrampt auf der Insel und habe dabei vom Rücksitz aus immer Songs für die Fahrer gespielt. Das waren sozusagen meine Werbespots.“ Trotzdem flog sie heim.

Aber die Geschichte geht weiter. Sie kehrte zurück nach Hawaii, diesmal nach Honolulu. Und traf hier, wieder beim Couchsurfing: Matthew, halb Amerikaner, halb Australier. Boom, das war’s. Traum wahrgeworden. Die letzten Monate haben sie in Hamburg verbracht, Lucies Heimatstadt, davor waren sie bei seiner Familie in Melbourne, wo Matthew, mit seiner Ausbildung in Permakultur, den Hinterhof seiner Eltern in einen essbaren Garten verwandelt hat. In Hamburg hat Lucie sogenannte Wohnzimmerkonzerte gegeben. Man konnte sie anheuern, sie kam dann in die Wohnung und spielte vor zehn, zwanzig Leuten, den Gastgebern und deren Gästen. Die sie ihrerseits anheuerten – ein Schnellballsystem, das bestens funktionierte. Zwischendrin drehte sie in Berlin einen Spielfilm. Seit Anfang der Woche sind die beiden wieder in Hawaii, derzeit suchen sie nach einem Stück Land, um dort ihr eigenes Gemüse zu ziehen. Anfang Juni werden sie heiraten.

Alles klar, dachte ich. Super Geschichte. Bezauberndes Mädchen. Bisschen spinnert, aber hinreißend. Große Träume und so. Mal sehen, wie lange sie es hier aushalten wird. Aber dann packte sie ihre Gitarre aus (die Gitarre heißt Martin) und spielte mir ein Lied vor. Das ist normalerweise der Moment, in dem ich innerlich zusammenschrumpele. Ich weiß immer nie so genau, wohin ich gucken soll, wenn mir jemand was vorspielt. Aber in diesem Moment habe ich einfach nur zugehört. Und sie sang:

What if I’m a witness
Of miracle’s existence
What if I’m already close to you
But you still feel the distance.

Atemberaubend. Treffer, versenkt.

Und dann kam auch noch die Kellnerin an den Tisch (wir saßen, es war spät geworden, im längst leeren Little Village in Honolulus Chinatown. Sensationeller Pecan Spinach Salad übrigens.). Ob Lucie vielleicht noch mal spielen könnte, die Köchin hätte da was von fern in der Küche gehört und würde das jetzt gern noch mal… Da wusste ich: Dieser Frau wird immer nur Gutes wiederfahren. Es geht gar nicht anders.

Such a perfect day

Montag, 23. Mai 2011

Den Wecker auf 6 Uhr gestellt. Um 6.30 Uhr allen Ernstes aufgestanden. Um 7 Uhr losgefahren. Um 7.15 Uhr losgegangen. Um 8 Uhr auf dem Gipfel des Diamond Head gestanden. Mich um 8.02 Uhr gefragt, warum ich drei Wochen gebraucht habe, um mich endlich dazu aufzuraffen.

Der Diamond Head, das Wahrzeichen von Honolulu, ist ein Vulkankrater direkt neben Waikiki, ich sehe ihn von meinem Balkon aus. Auf hawaiianisch heißt er Le’ahi, die Braue des Tunfisches. (Was merkwürdig ist, da der Tunfisch einer der wenigen heimischen Fische ohne jegliche Brauen ist, im Gegensatz zum Mahi-mahi oder zum parrotfish. Aber okay, ich werde mich nicht mit Hawaiianern streiten.) Den Aufstieg schafft man in gut 30 Minuten, oben wird man mit einer anständigen steifen Brise belohnt (als Norddeutsche stehe ich auf so was) und einem ebenso umwerfenden Blick über Waikiki und Weialae.

9 Uhr, zweite Station: der Wochenmarkt gleich am Fuß des Diamond Head. Man hatte mir vorher geraten, unbedingt ungefrühstückt dorthin zu gehen. Ein guter Rat, denn: frischer Ananassaft, dazu Leinsamen-Karotten-Ananas-Hafer-Muffins, gefolgt von einem Ingwer-Minz-Serranochili-Limonen-Drink, dann zwei gegrillte Abalonen (für die ich in China das Zehnfache gezahlt hätte… okay: habe) – und das war nur der erste Gang. Man möchte auf Knien über diese Markt robben, denn erst hier wird einem klar, was für ein gesegnetes Land Hawaii ist: frische Shrimps aus Kauai, Kaffee aus Kona, Muskatnüsse (unten rechts) und Vanilleschoten aus Paauilo, fünf Jahre in der Wabe gereifter Honig von Wildbienen, Hawaiian Red Veal (Fleisch von Kälbern, die schon ein bisschen auf die Wiese durften), die ersten heimischen Mango und natürlich Ananas und Papaya bis zum Abwinken. Jetzt noch eine frische junge Kokosnuss zum Dessert und vielleicht noch selbstgebackenen Pecan Crunch? Ein Ono Pop-Eis in der Geschmacksrichtung Surinamkirsche-Nelke oder Orange-Zimt oder Kalamansi-Koriander oder Feige-Feta-Honig oder… bringt mir hier raus.

Saturday Farmer’s Market, Kapiolani Community College, 4303 Diamond Head Road, Honolulu. Jeden Samstag von 7.30 Uhr bis 11 Uhr

In Honolulu steht der einzige Königspalast der USA. (Herr Jauch, das wär‘ was für 125.000.) Der Iolani Palace – von einer Größe, die in Europa gerade mal für einen unteren Grafen gereicht hätte – wurde 1879 vom letzten König Kalakaua gebaut. Zu diesem Zeitpunkt regierte er nur noch über 39.000 Untertanen. Als Captain Cook die Inseln gut 100 Jahre zuvor „entdeckt“ hatte (sie waren ja schon immer da), lebten auf Hawaii zwischen 400.000 und einer Million Menschen. Die Engländer und nach ihnen die Amerikaner schleppten Masern, Grippe, Geschlechtskrankheiten ein und damit das Todesurteil für die Inselbewohner. Selbst gegen einfache Erkältungen hatten sie keine Abwehrkräfte, sie starben zu Tausenden.

Kalakaua, the merrie monarch, muss ein sehr aufgeschlossener, unternehmungslustiger König gewesen sein. Als erster Herrscher der Welt segelte er einmal um die Erde. In New York besuchte er Thomas Alva Edison und ließ als einer der ersten seinen Palast mit Telefon und Glühbirnen ausstatten. (Sehr nützlich, denn so konnte er den Haushofmeister im Keller anrufen, der das Licht im ganzen Palast zentral an- und ausschaltete. Lichtschalter gab es nicht in den Räumen.) Als er 1891 starb – ironischerweise im Palace Hotel, San Francisco –, beerbte ihn seine Schwester Lili’uokalani, die letzte Regentin Hawaiis. 1893 wurde sie von einer Vereinigung amerikanischer Zuckerplantagenbesitzer abgesetzt, 1895 wurde die Republik Hawaii ausgerufen, 1898 wurde sie von den USA annektiert. Königin Lili’uokalani wurde im Palast eingekerkert und verlegte sich aufs Handarbeiten und Komponieren. Beides sehr erfolgreich: Sie schrieb unter anderem den Welthit Aloha Oe. 1993 unterschrieb der damalige US-Präsident Bill Clinton eine Resolution, in der sich Senat und Abgeordnetenhaus 100 Jahre nach dem Putsch offiziell für die amerikanische Beteiligung an dem Staatsstreich entschuldigten.

Der Palast wirkt auf herzzerreißende Weise wie gerupft. Möbel und Ausstattung sind in alle Winde verstreut, auf irgendwelchen Auktionen versteigert worden. Hin und wieder taucht noch mal ein Stück des Original-Interieurs auf – in Australien, in Iowa, neulich wurde sogar ein alter Sessel an der Küste angeschwemmt –, es wird weltweit danach gefahndet.

Iolani Palace, 364 South King Street, Honolulu. Führungen Di und Do viertelstündlich 9 bis 10 Uhr, Mi, Fr und Sa 9 bis 11.15 Uhr

Ein Kapitel in der traurigen Geschichte des hawaiianischen Königshauses spielt an meinem nächsten Ziel und vorläufigen Lieblingsort der Insel, Queen Emma’s Summer Palace. Klingt formidabel, aber ich bin zweimal daran vorbeigefahren, bis ich dann doch die enge Aufffahrt gefunden habe, die zu einem wundersamen kleinen Häuschen führt:

Auf dem Parkplatz standen gerade mal vier Autos, eine freundliche ältere Dame machte gleichzeitig Kasse und Führung. Königin Emma – Emma Kalanikaumakaamano Kaleleonālani Naʻea Rooke, soviel Zeit muss sein –, die Ehefrau von König Kamehameha IV., zog sich hierher nach dem Tod ihres Sohnes und ihres Mannes zurück. Sie legte sogar ihr Schlafzimmer näher an das Küchengebäude heran, um sich nicht so allein zu fühlen. In den Schaukästen, an den Wänden dieses von milden Lüften durchwehten Hauses: europäisches Silberbesteck, Federschmuck der hawaiianischen Häuptlinge – und Zeichnungen des mit vier Jahren gestorbenen Prinzen Albert, der lieber Feuerwehrmann als König werden wollte. Ein Foto zeigt ihn in der roten Uniform der Feuerwehr von Honolulu. Es bricht einem das Herz.

Wie immer war das Fotografieren der Innenräume leider verboten, aber hier kann man einige Bilder sehen: Queen Emma’s Summer Palace, 2931 Pali Highway, täglich von 9 bis 16 Uhr geöffnet.

Weiter: den Pali Highway hinaus zum Pali Lookout. Landschaft angeguckt. Luft angehalten.

Dann: die Schnapsidee gehabt, mir Piraten der Karibik IV anzugucken. Dabei habe ich schon Teil II und III gehasst. (Irgendein Rezensent schrieb so richtig: Man fand’s mal besser, als man dachte, dass Captain Jack Sparrow schwul sei.) Teil IV ist hier auf Oahu gedreht worden, es war also… Recherche. Bin bei circa Minute 27 eingeschlafen und bei Minute 78 wieder aufgewacht. Der Film dauerte dann leider noch bis Minute 141. Aber Hawaii sah hübsch aus.

Danach: nach Hause gefahren. Vor dem Haus ein paar Frangipani-Blüten aufgelesen. Das Zeug liegt hier einfach so auf der Straße, das fällt von den Bäumen. Es ist so unfassbar ungerecht.

Dann habe ich mich endlich wieder hingelegt. Es war kurz nach 16 Uhr. Perfect day.

Stabile Rückenlage

Donnerstag, 19. Mai 2011

Ehrlich, ich wollte so viel über Hawaii schreiben. Und dann passierte mir Hawaii. Oahu hat sich noch nicht mal besonders viel Mühe gegeben, es hat ein bisschen mit den Palmen gewedelt, ein paar Lüftchen um mich herum gepustet, hie und da die Sonne angeknipst. Und mich damit ausgeknipst. Ich weiß nicht, ob die Insel auf jeden diese wunderbar einlullende Wirkung hat, aber seit einer Woche taumele ich wie narkotisiert durch die Welt – nein, Taumeln suggeriert bereits zu viel Bewegung. Ich mache weitestgehend: gar nichts. Liegen. Lesen. Schlafen. Darüber nachdenken, dass ich jetzt aber echt mal was machen sollte. Es verwerfen. Ein schlechtes Gewissen bekommen. Das auch wieder verwerfen.

Man hatte es mir vorhergesagt, dass so eine Phase kommen würde. Nach vier Monaten Dauerfeuer ständig neuer Eindrücke in Städten, die nicht gerade die reine Erholung bedeuten, war es vermutlich auch unvermeidlich. Für alle besorgten Nachfrager also: Es geht mir gut. Viel zu gut. Und nein, ich werde es leider nicht mehr schaffen, nach Maui oder Kauai oder Big Island zu fliegen, auf Vulkane zu steigen, surfen zu lernen, lange Wanderungen zu machen, tief in die Geschichte der Inseln einzusteigen. Ich bin viel zu sehr mit dem Liegen beschäftigt.

Dafür kann ich jetzt aber „Twinkle Twinkle Little Star“ auf der Ukulele spielen.

Ansonsten empfehle ich zum Thema das schöne Stück meiner Kollegin Susanne Schneider im heutigen SZ Magazin. Katharina, dies ist speziell für Dich. Ja, ich weiß, dass Du keine Zeit hast, das zu lesen. Genau deshalb. Christoph: Happy birthday.

Ihre Lieblichkeit

Sonntag, 15. Mai 2011

Kanoe Miller ist 55, eine hinreißend schöne Frau. 1973 war sie mal Miss Hawaii, seit 1977 – also seit 34 Jahren – tanzt sie von Montag bis Samstag zur Cocktailstunde den Hula im Hotel Halekulani, direkt am Strand. Bis jetzt bin ich dem Hula aus dem Weg gegangen, ich wollte mir das Aloha-Gefühl nicht kaputtmachen lassen. Wie dumm von mir, denn seit heute weiß ich: Hier ist etwas unerschütterlich Liebliches am Werk, das auch nach mehr als 10.000 Vorstellungen – wie im Fall von Ms. Miller – ganz frisch und unschuldig wirkt. Und wahnsinnig elegant.

Mag aber auch sein, dass ich einfach nur an den richtigen Ort geraten bin. Das Halekulani ist das Lieblingshotel von Barack Obama, wenn er seine alte Heimat besucht (über den Obama-Tourismus mal an anderer Stelle), und die Outdoor-Bar House Without a Key eine Legende für sich. Der bezaubernde Name ist der Titel des ersten Charlie Chan-Krimis von 1925. Darin klärt Hawaiis berühmtester Detektiv (zu Thomas Magnum kommen wir auch später) einen Mordfall in einer Villa auf, die genau an der Stelle gestanden hat, an der ich jetzt einen Planter’s Punch trinke und Ms. Miller und den Sunset Serenaders zuschaue – wie meist nicht allein. In diesem Fall ist es eine lustige Viererbande aus Colorado, darunter der Koch George, der mir sofort die besten Restaurants der Insel in den Block diktiert und mir auf seinem iPhone Fotos seines Sohns Freeman zeigt, der angeblich den Weltrekord im Liegestütz hält, 135 in zwei Minuten. Den Fotos nach zu urteilen könnte das sogar stimmen.

Die Welt ist ein Dorf…

Freitag, 13. Mai 2011

…und dann auch noch gefangen in einer Zeitschleife. Nachtrag zum Beitrag eben: Doris Duke, Besitzerin des schönsten Orts von Oahu, befreundet sich auf ihrer Hochzeitsreise 1935 mit Duke Kahanamoku. Der gewann 1912 bei den Olympischen Spielen in Stockholm Gold auf 100 Meter Freistil. Bei den Frauen siegte damals in derselben Disziplin Fanny Durack, die mir im Januar am schönsten Ort von Sydney begegnet ist.
Beim Reisen wird man zu einer Zusammenhangsmaschine, glaube ich. Man klöppelt die entferntesten Orte, Zeiten und Personen zu einem schönen dichten Netz zusammen und lässt sich hineinfallen wie in eine Hängematte.

Und jetzt gehe ich an den Strand und hänge der Statue vom Duke einen Lei um. Man muss eine Stadt lieben, die Surfern ein Denkmal baut.

Jäger & Sammler

Freitag, 13. Mai 2011

„Waren das nicht die tollsten 90 Minuten Ihres Lebens?“ fragt Victoria am Ende des Rundgangs, der auf der Liste der tollsten 90 Minuten meines Lebens auf jeden Fall unter den Top Ten steht. Wir stehen im Garten von Shangri La, dem Haus von Doris Duke, und Victoria fragt uns, was wir aus dem Haus mitnehmen würden, wenn wir dürften. „Die versenkbare Fensterfront im Wohnzimmer“, sagt ein Mann, eine Frau: „den Mihrab“, eine Gebetsnische. „Den Kronleuchter aus dem Esszimmer“, „die Holzdecken“, „die Symmetrie überall“. Mir fällt nur ein: „Das Talent zu wissen, was man mit zuviel Geld machen kann.“

Doris Duke war eine sehr, sehr reiche Frau. Mit 12 erbte sie 100 Millionen Dollar (nach heutigem Wert circa vier Milliarden) von ihrem Vater, dem Gründer der American Tobacco Company. In der Klatschpresse war sie nur „das reichste Mädchen der Welt“. Aber anders als andere poor little rich girls des letzten Jahrhunderts wusste sie etwas mit ihrem Leben anzufangen. Sie war eine intelligente, eigenwillige, athletische Frau, gut 1,80 Meter groß. Sie beherrschte fünf Sprachen, schrieb Jazzsongs, sang in einem Gospelchor, lernte tanzen bei Martha Graham, spendete einen guten Teil ihres Vermögens für wohltätige Zwecke und reiste, reiste, reiste. Auf ihrer Hochzeitsreise – sie war Anfang 20, ihr Mann ein 15 Jahre älterer Politiker, die Ehe hielt fünf Jahre – verliebte sie sich unsterblich: zuerst in islamische Kunst und Architektur, dann in Hawaii.

Eigentlich hatte sie nur zwei Wochen bleiben wollen, dann wurden es vier Monate. Sie freundete sich mit der Surflegende Duke „The Big Kahuna“ Kahanamoku und seinen fünf Brüdern an, ging mit ihnen surfen, paddeln und segeln. Schnell war klar: Hier wollte sie ihr Haus bauen, nicht wie geplant in Palm Springs. 1936 kaufte sie ein Grundstück östlich von Waikiki direkt am Pazifik, 1937 begannen die Bauarbeiten an Shangri La. Der Name stammt aus einem Bestseller jener Jahre, Lost Horizon von James Hilton, und bezeichnet eigentlich einen mythischen Ort in Tibet, wurde aber schnell zum Kürzel für jede Art von verstecktem Paradies.

Und gut versteckt ist Shangri La bis heute. Selbst wenn man die hohen Mauern hinter sich gelassen hat: von außen sieht das Haus völlig unspektakulär aus. Weiße Quader, ineinander verschachtelt, nach islamischem Vorbild rund um einen Innenhof gebaut – und gefüllt mit Schätzen aus allen Winkeln der Welt. Doris Duke kaufte in Syrien, Irak, Iran, Ägypten, Indien, Usbekistan, China, ließ Holzdecken in Rabat schnitzen und Kacheln in Isfahan fertigen, lieferte sich ein Bietgefecht mit dem Metropolitan Museum um einen Mihrab aus dem 13. Jahrhundert (der nach dem Angriff auf Pearl Harbor schnellstens in den Keller gebracht wurde). Aus der Türkei brachte sie bemalte, aber angekokelte Holztüren mit, die sie selbst in mühsamer Arbeit mit Schwämmchen vom Ruß befreite. Ein Museum war das Haus nicht, darin wurde gelebt, es wurde ständig umgebaut. An einer Wand ist ein kreisrundes Loch zu sehen, hier hat Doris Duke, damals fast 80, kurz vor ihrem Tod 1993 ein Ornament aus der Wand gemeißelt, um etwas anderes hineinzusetzen. Es blieb eine Lücke, in jeder Hinsicht.

Im Haus selbst darf nicht fotografiert werden, aber hier ist eine virtuelle Tour durch Shangri La. Es gibt drei Führungen täglich, Voranmeldung bei der Honolulu Academy of Art dringend nötig.

Danach habe ich mir in der Academy of Art noch eine Ausstellung angesehen, die beweist, dass man kein Geld braucht, um große Kunst zu besitzen. Herb und Dorothy Vogel – er Postangestellter, sie Bibliothekarin – haben in den frühen Sechzigern begonnen, Minimalismus und Konzeptkunst zu sammeln, die zwei Bedingungen erfüllen musste: Sie musste erschwinglich sein – und klein genug, um in ihre Zweizimmerwohnung in New York zu passen. Dort fanden sich am Ende fast 5000 Kunstwerke, darunter Arbeiten von Sol LeWitt, Robert Mangold, Roy Lichtenstein und Richard Tuttle. 2008 beschlossen sie, einen Teil ihrer Sammlung zu verschenken: Jeder der 50 Bundesstaaten bekam 50 Werke. Die 50 für Hawaii habe ich nun gesehen.

Völlig gerührt saß ich hinterher in der Sonne vor dem Museumscafé, dachte über die Vogels nach und über Doris Duke, über die Liebe zur Kunst und die Liebe zum Leben. Die eine wie die anderen haben nichts anderes gemacht als der Intuition zu folgen. Irgendetwas Fremdes, Aufregendes, unerklärlich Schönes hat zu ihnen gesprochen, und sie haben ganz einfach: hingehört. Ich blätterte ein bisschen in einem Buch über Shangri La, trank ein Glas Weißwein, aß Mahimahi mit Sobanudeln. Eine Kellnerin blieb vor meinem Tisch stehen, guckte mich an und sagte: „I’d like to be you.“ Ich auch, möglichst für immer.