Im Norden, Tag 5: Axum

Äthiopische Geschichte ist, zumindest in ihrer Frühzeit, eine wilde Mischung aus Legenden und nur wenigen handfesten archäologischen Erkenntnissen. Vieles ist reine Glaubenssache: dass die äthiopischen Kaiser Nachfahren des Sohns von König Salomon und der Königin von Saba seien, dass die Original-Bundeslade (die Steintafeln mit den zehn Geboten, das Allerheiligste des Judentums) von eben diesem Sohn, Menelik, aus Jerusalem entführt und bis heute in einer kleinen Kapelle in Axum aufbewahrt wird, zu der nur ein einziger auserwählter Wächter-Mönch Zugang hat – es ist alles großartigster Indiana Jones-Stoff.

Beide Legenden, die salomonische Abstammung der äthiopischen Herrscher und der Besitz der Bundeslade, sind essentiell für das nationale Selbstverständnis, und so ist es kein Wunder, dass auch neuere (mit anderen Worten: widersprüchliche) archäologische Entdeckungen sorgfältig in das Sagengewebe einflickt werden. Unser heutiger lokaler Führer Sistay ist ein Meister darin, Wissenschaft und Mythologie zu vermahlen und zu vermählen, es ist eine Freude, ihm bei seiner Akrobatik zuzuhören. Der Palast der Königin von Saba (oben), etwas außerhalb der Stadt gelegen, ist nachweislich aus dem 5. Jahrhundert, also 1500 Jahre jünger als die Legende behauptet? Ja sicher, aber doch nur, weil er auf den Grundmauern des ursprünglichen Palastes errichtet wurde… Und so weiter.

Unstrittig ist, dass Axum im vierten Jahrhundert von einem der ersten Konvertiten zum Christentum, König Ezana, regiert wurde. Das Axumitische Reich war eine der wichtigsten Hochkulturen seiner Zeit, unterhielt Handelsbeziehungen mit Indien, Persien und Rom. Bis heute unerreicht sind die Grabstelen, die über die ganze Stadt verteilt stehen. Hunderte sind es, vielleicht tausende, die unentdeckt unter den Feldern schlummern. Die höchste von ihnen (heute umgestürzt und zerbrochen) misst 33 Meter, ein 500 Tonnen schwerer Granit-Obelisk, gewaltiger als alles, was je in Ägypten gestanden hat. Bis heute weiß niemand genau, wer die Stelen gebaut hat und wie sie aufgerichtet wurden.

Um die Sache noch komplizierter zu machen: Auch unter Archäologen toben Grabenkämpfe, gibt es Vorwürfe von Plagiatsversuchen und unwissenschaftlicher Arbeit. Dabei ist höchstens ein Bruchteil dessen, was es zu entdecken gäbe, ausgebuddelt worden – kein Geld, keine wirkliche Dringlichkeit und vielleicht auch kein Interesse für diese weitgehend verschüttete Kultur. Um so aufregender, in die Grabkammern (oben angeblich die von Balthasar, einem der Heiligen Drei Könige) hinabzusteigen, die eben nicht Teil eines Touristentrampelpfades sind wie vergleichbare Fundorte in Griechenland, Italien oder der Türkei. Da, ein Kreuz in der Steinmauer, matt von einer Kerze erleuchtet. Und da, ist das ein eingemeißelter Elefant?

Und noch eine Entdeckung: Heute lasse ich mich endlich von Netsanet, Dereje und Sistay plattquatschen und probiere meinen ersten äthiopischen buna, den hiesigen Kaffee. Denn Äthiopien ist nicht nur Wiege der Menschheit, sondern auch Wiege ihres beliebtesten Rauschmittels. Kaffee, der seinen Namen der Provinz Kaffa verdankt, ist Staatsreligion, und folglich gibt es auch auch um ihn etliche Legenden: um Hirten, deren Ziegen plötzlich so lustig durch die Gegend sprangen, nachdem sie von einem Busch gegessen hatten, und um Bohnen, die zufällig ins Feuer fielen. Buna wird frisch geröstet und gemahlen, dann sehr lange zusammen mit Wasser gekocht und verliert dadurch seine Bitterkeit, also genau das, was mich olle Teetante immer von ihm abgeschreckt hat. Und verdammt, das Zeug schmeckt tatsächlich. Mit zwei Löffeln Zucker fast wie Schokolade, cremig, gar nicht beißend und bitter. Das Tässchen hat ordentlich Wumm, den Rest des Nachmittags springe ich selbst wie ein Zicklein durch die Stadt, amüsiert kommentiert von den anderen.

Bei der Gelegenheit gleich noch ein kulinarischer Nachtrag: sprice juice, auch eine hiesige Spezialität. Schichten von Frucht- und Gemüsesaft fast von Püreestärke, hier gesüßte Avocado und Mango, serviert mit einer halben Limone. Absolut köstlich.

Und schließlich noch einige Bilder aus Axum, nur so:

9 Antworten to “Im Norden, Tag 5: Axum”

  1. scarbo Says:

    Liebe Meike, ich reise von Anfang an still aber begeistert mit und möchte Sie beglückwünschen zu Ihrem Mut für dieses Land und den überwältigenden Fotos! Vielen Dank!

  2. Franka Says:

    Diese sagenumwobene(n) Geschichte(n) klingen ja spannend, abenteuerlich und filmstoffreif und erforschenswert!

    Diese lachenden Gesichter, die Zicklein mit den Augen verfolgen – herrlich.

    Und die Fotos sowieso! (Sie werden immer besser.)

    Nacht!
    Franka

  3. Ina Says:

    Tolles Licht! Es scheint blau von oben – ein Zeichen?

  4. Renata Says:

    Für mich entsteht der Eindruck Sie seinen derzeit im Zentrum Ihrer Reise angekommen. Das ist wunderschön zu sehen.

    Weiterhin so viel Kraft, Mut, Elan und Freude!!!!!

  5. Penelope Says:

    Mir fehlen die Worte, ich genieße einfach nur ~ * ~

  6. Christine Says:

    Liebe Meike,

    ..da ist sie ja – die Kaffeezeremonie, es freut mich, dass es dir geschmeckt hat..
    Die Farben sind wunderbar wohltuend und leuchtend – sehr schön!

    dankbar Christine

  7. nico Says:

    liebste meike

    dieses ELEFANTENbild… wie wunderschön… ich bin der weltgrößte elefantenfan…das ist sooooo schön

    wahnsinn…

    danke dafür
    liebste grüße
    nico

  8. Ela Says:

    Hallo liebe Meike,

    woher kennst du denn eigentlich deine Reisebegleiter? Ist das wieder einer dieser seltsamen Zufälle? :)

  9. Gabriella Says:

    Liebe Meike,
    nach dem schrecklichen Anfang in der Stadt ist es eine Wohltat die schönen Seiten zu sehen!
    Wunderbare Bauten und wunderschöne Farben in tollen Bildern mit interessanten Menschen!
    Weiter viel Glück!