Sommersamstag

Das Schöne an Kopenhagen ist, dass es praktisch keine Sehenswürdigkeiten gibt. Als Tourist wird man hier ziemlich in Ruhe gelassen: Die Innenstadt ist in einer halben Stunde zu Fuß durchquert, die zwei Schlösser hat man auch schnell erledigt, dann noch eine Hafenrundfahrt, fertig. Anschließend: leben. Ich habe wie immer gleich mit dem Leben angefangen und die sights bisher unseen gelassen (Schreibtischwoche gepaart mit sommerlicher Besichtigungslustlosigkeit). Auch heute: Superwetter, deshalb lieber rauf aufs Rad und raus aus der Stadt.

Aber die hier lag auf dem Weg:

Ein Rätsel, warum dieses kleine Dingelchen so berühmt werden konnte. Es liegt vergleichsweise ab vom Schuss und nicht mal sehr hübsch: Die Touristen bemühen sich unter Verrenkungen, den gegenüberliegenden Industriehafen nicht mit ins Bild zu kriegen. Historische Bedeutung hat Den lille havfrue auch nicht gerade (1913), der Bildhauer Edvard Eriksen hat sonst kaum Nennenswertes geschaffen und auch die Hintergrundgeschichte ist eher deprimierend. Nicht nur das Märchen von Hans Christian Andersen selbst – über eine unglückliche Liebe mit tödlichem Ende –, sondern auch die Entstehung der Skulptur stimmt eher trübe: Der Besitzer der Carlsberg-Brauerei, Carl Jacobsen, sah eine Aufführung des Balletts über die Kleine Meerjungfrau und wollte unbedingt die Primaballerina Ellen Price verewigt sehen. Die weigerte sich aber, nackt zu posieren, und so musste Eriksens arme Ehefrau ihren Körper hinhalten – auf den der Kopf von Ellen Price gesetzt wurde. Und auch die Nachwelt ist bislang alles andere als pfleglich mit der Dame umgegangen.

Aber ich wollte eigentlich die Küste hoch, Richtung Norden. Vorbei an der ehemaligen Tuborg-Brauerei…

… und an der Meeresbadestelle Charlottenlund…

… und an Arne Jacobsens grandioser Tankstelle von 1937 in Skovshoved (immer noch in Betrieb in Kombination mit einer Eisdiele)…

…fuhr ich wieder mal geisterhafte Hauptstraßen entlang. Ich kapier’s nicht: Samstag, Badewetter, 11 Uhr vormittags – wo sind die nur alle? Bestimmt schon am Strand.

Nee. Hier auch nicht. Das Strandbad Bellevue in Klampenborg: verlassen. Macht nichts, ich mache mich dafür um so breiter. Beim Ausziehen muss ich lachen. Kolhapuri-Latschen: Mumbai, Top: San Francisco, Bikini: Honolulu, Tasche: Sydney, Sonnenbrille: Flughafen Singapur, Sonnenmilch: Buenos Aires. Nur der Rock ist aus Hamburg (my rock – immer wieder danke für die Grundgarderobe, Katharina, die funktioniert wirklich in jeder Stadt).

Weiter durch den Dyrehaven (Hirschpark). Keine 300 Meter hinter dem Dyrehavsbakken, dem ältesten Vergnügungspark der Welt…

…tatsächlich eine Herde freilaufender Hirsche, völlig unbeeindruckt vom Hau den Lukas-Gebrüll.

Nicht weit davon: das Museum Ordrupgaard. Ein ehemaliges Herrenhaus, idyllisch in einem Park gelegen, mit einem Anbau von Zaha Hadid, die ich jedes Mal, wenn ich in einem ihrer Gebäude bin, mit einem nassen Lappen verhauen möchte (ihre größte Idiotie war, glaube ich, die Betriebsfeuerwehrstation für das Vitra Design Museum in Weil/Rhein, die wegen der schräg abfallenden Böden nie benutzt werden konnte – zu gefährlich für die Feuerwehrleute im Fall eines Brandes).

Im Haupthaus hängen einige Bilder von Vilhelm Hammershøi, den ich sehr mag. Sehr leere, sehr stille, sehr monochrome Räume, ein bisschen Vermeer, ein bisschen Edward Hopper. Man sollte Hammershøi auf Blutdrucksenkungs-Tablettenpackungen drucken, es würde die Dosis dramatisch senken.

Ebenfalls im Park von Ordrupgaard gelegen: das Privathaus von einem meiner Lieblinge, Finn Juhl. Er ist nicht so bekannt wie Arne Jacobsen, aber kann das wirklich sein, dass ich an einem Samstagnachmittag die einzige Besucherin hier bin? Von außen ist das Haus eher unaufregend – zwei durch einen Glaskorridor verbundene Giebelhauswürfel –, aber sowie man es betritt, ist man zuhause. Große Offenheit der Räume, dabei ganz klare Funktionen. Fotografieren war leider verboten, aber hier ist noch ein Bild von Finn-Sesseln in Frau Zahas unfreundlichem Klotz:

Und dann wieder heim. Im Spätnachmittagslicht, bei Amselgesang und dem Duft von frisch gemähtem Gras. Satt an Sonne, satt an Schönem. Ein weiterer perfekter Tag.

30 Antworten to “Sommersamstag”

  1. Aimée Says:

    Sooooo viel an nur einem Tag? Kaum zu glauben. Und dennoch: alles klingt behaglich entspannt – richtig flauschig!

  2. elke Says:

    Hach ja, die Straßennamen! Die sind in Dänemark auch göttlich: Wir wohnten einmal im “Svens de Bakke Vey” – … oder so ähnlich, in Hanstholm.
    Ihre Radtour hätte mir auch Freude bereitet.
    Danke für die Impressionen.
    Elke

  3. Franka Says:

    Schöne alte Welt.

    Nachtgruß!
    Franka

  4. Sandra Says:

    Liebe Meike,

    warum um 11 Uhr an einem Samstagmorgen nichts los ist kann ich dir sagen:

    Die Dänen schlafen ihren Rausch aus!

    Alles ist menschenleer. Das Einzige, was stört, sind zerbrochene Bierflaschen, Erbrochenes und auch sonst viel Müll, denn ich glaube, auch die Müllarbeiter schlafen ihren Rausch aus….

    Ich hoffe nicht, dass du dich schon langweilst. Warst du denn schon in Christiania? Warst du schon auf der Vor Frelsers Kirke? Was ist mit Islands Brygge, dem “Manhatten” von Kopenhagen?

    Louisiana: im ganzen August zwischen 10:45 und 18:00 Uhr gibt es von Humlebæk Station zum Museum ein gratis Fahrrad-Taxi.

    Fahr doch mal mit der S-Bahn (oder mit dem Fahrrad) bis nach Køge. Fahrräder sind übrigens gratis in der S-Bahn (Nicht in der Metro).

    Wie wäre es mit der “Ny Carlsberg Glyptotek”? Sonntags gratis!

    Das Frederiksborg Slot bzw. der Schlosspark in Hillerød ist auch atemberaubend!

    Copenhagen Pride ist demnächst: http://copenhagenpride.dk/

    Was hast du eigentlich die anderen Tage so gemacht? Hast du schon dänisch gelernt? Hast du Smørrebrød gegessen?

    Liebe Grüße von Sandra

  5. Tanja Says:

    Hallo Meike,
    vermutlich sind Sommeferien und die Dänen liegen mit Kind und Kegel an den Stränden von Ibiza und Sardinien..:-) Tote Hose in Kopenhagen…..mhh, vielleicht mal über die Öresund-Brücke rüber nach Malmö fahren und ein bissel Südschweden mitnehmen? Wallanders Ystad und so, warum nicht? Beste Grüße von Tanja

  6. waldviertelleben Says:

    ich freu mich schon, wenn sie wieder in einer aufregenderen gegend sind. gähn.

  7. dani Says:

    hallo meike,
    ja genau, was kann jetzt noch groß kommen? kopenhagen hört sich nach kleinem dorf an, wie sie es beschreiben. hoffentlich treffen sie noch interessante leute :) fehlt ihnen nach den ganzen anderen ländern jetzt nicht der trubel? oder ist es so auch mal schön?
    grüße von dani aus stralsund

  8. nane Says:

    ich bin irritiert über die negativen “Langeweile-Kommentare”… ich finde, der Kopenhagenaufenthalt klingt alles andere als langweilig. An einem einzigen Ausflugstag das Heim von Finn Juhl, die ikonische Jacobsen Tankstelle und einen menschenleeren Strand zu finden, ganz ohne Stress und Tourimassen? Klingt nach einem perfekten Tag! Wen das Sich Treibenlassen langweilt, der reist wohl gern mit Marco Polo Reiseführer und klappert an zwei Tagen hektisch die “Insiderripps” ab!

  9. Daniela Says:

    Das liest sich wie ein toller Tag!
    Ich hätte dann gerne einen der bunten Sessel, wenn die so bequem sind, wie sie aussehen.
    Die Idee “jemanden mit einem nassen Lappen verhauen” werde ich auch aufnehmen, muss mich nur noch entscheiden, wer als erster/ als erste dran ist :-)

    @ Aimée: flauschiger Tag! Den Ausdruck werde ich ab sofort auch benutzen, danke!

  10. karin Says:

    ich habe langsam den eindruck, dass ich hier in und um flensburg mehr dänische autos sehe als du in copenhagen.

  11. sabina Says:

    ich will in dieser straße auf dem letzten bild wohnen. und den ganzen sensationslüsternen kommentatorinnen hier mal sagen: ihr wart offensichtlich noch nie (länger) in skandinavien und seid dort in den genuss dieser entspannten und entspannenden freiheit gekommen. dort kann man atmen. probierts mal aus, ehe ihr urteilt.

  12. Bea Says:

    Wir haben gerade wieder die deutsche Grenze passiert. Zwei Tage dänemark liegen hinter uns. Übernachtet in einer netten dänischen Jugendherberge mit schöner schlichter Einrichtung. Und was mir aufgefallen ist: keine pflasterfarbenen Jacken in Kombination mit beigen Blusen für ältere Menschen in Dänemark. Alle tragen fröhliches, dänisches Design und sehen einfach gut aus.

  13. Nini_Meta Says:

    Ich habe grad diesen Artikel in der Essen und Trinken gelesen und dachte mir, dass würde Sie vielleicht interessieren. Essen ist ja etwas womit sie sich, sehr zu meiner Freude, gerne beschäftigen. Vielleicht passt das ja noch in Ihren Zeitplan? Wenn dann viel Spaß!!!
    http://www.essen-und-trinken.de/news/copenhagen-cooking-1016927.html

  14. Hanne Says:

    Also viel mehr geht doch in einem einzigen post nicht rein, oder!? Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll…..*Die zauberhafte Meeresbadestelle Charlottenlund*Das Museum Ordrupgaard*Das “stylische” Foto von Finn Juhl*Das wunderschöne Stockrosen-Bild* und nicht zu vergessen die dazugehörigen links! Ein dickes DANKESCHÖN für den entzückenden Sommersamstag :)

  15. Lena Says:

    Hach, das ist Freiheit!

  16. Trulla Says:

    Die Häuser und Strassen kommen sehr schnuckelig daher; aber auch ich freue mich wieder auf spannendere Städte als Kopenhagen. Ich fand schon London eher unaufregend – so nah, so oft da gewesen…da kam eher wenig rüber, finde ich. Das Gleiche gilt für San Francisco. Irgendwie können die letzten Monate mit dem Beginn (SYDNEY! BUENOS AIRES! MUMBAI! SHANGHAI!) überhaupt nicht mehr mithalten.

  17. Fine Says:

    Ist deine Kamera kaputt oder warum haben deine Fotos so seltsame Farben. Die sehen wie alte Farbfotos meiner Eltern aus, dieselben falschen Farben, keine Autos und auch die Tankstelle kommt hin, oder ist das von dir gewollt und ich bin wieder die einzige, die es nicht merkt?

  18. Kristiane Says:

    Wie schön…herrlich unaufgeregt…beim Lesen und Gucken stellt sich Ferienstimmung ein.

  19. Almuth Says:

    Also, liebe Leute: ich finde hier rein garnichts langweilig. Wunderbar ist es doch, auch die kleinen Dinge am Rande, die Farben der Häuser, den Geruch einer Gegend und all das Andere wahrzunehmen, zu fühlen und zu geniessen.

    Liebe Frau Winnemut, ich danke Ihnen gerade auch dafür!

  20. For 91 Days Travel Blog Says:

    Endlich mal kein Sightseeing … das kennen wir. Wir haben jetzt ein Jahr nonstop Reisen hinter uns und freuen uns schon auf einen Monat nichts tun in unserer Wahlheimat Valencia in einer Woche. Dann geht es weiter für 3 Monate Palermo, Italien.

    Hoffentlich können wir unser Kennenlernen edlich mal nachholen.

  21. bling.bling Says:

    wow was für ein tag und die bunten sessel sind klasse! soviel dazu… :)

  22. jule Says:

    Was für ein befremdliches Genörgel zum Teil in den Kommentaren…

    Für mich ein perfekter entspannter Sommersamstag.

    Ich wünsche Dir, Meike, schöne freie Tage, inspirierende Begegnungen und genussreiche Erlebnisse. Bis bald. :-)
    Gruß aus Berlin
    Jule

  23. nico Says:

    die sessel sind klasse..und dänemark ist einfach ein wunderbares land.. herrlich dieser schick.. dänische sachen .. ob schmuck oder kleidung.. einfach toll…

    ich finde diese tagbeschreibung.. diese bilder.. das ist ursprung der ruhe…

    beneidenswert!

  24. Dorothea Says:

    Sich völlig ungehetzt treiben lassen wie ein Blatt im Wind… so habe auch ich Kopenhagen erlebt und ich freue mich gerade ganz schnitzelig, dass das entspannte Lebensgefühl auch auf Sie abfärbt. Gerade der Kontrast zwischen “Starkstromstädten” wie Shanghai und Orten wie Honolulu oder Kopenhagen machen Ihr Blog so besonders lesens- und genießenswert.

    Wer braucht schon “echtes” Sightseeing, wenn es Tankstellen von Arne Jacobsen gibt?!? Wer sich hier gelangweilt gibt, kann und/oder will vielleicht die Schön- und Besonderheit des anscheinend Trivialen nicht erkennen…

  25. the-sun Says:

    Ähm, ich will ja nicht nörgeln, aber zu behaupten Kopenhagen hätte keine Sehenswürdigkeiten, finde ich einfach nur dreist.
    Augen auf!
    Ich habe ein halbes Jahr dort gelebt und trotz viel Freizeit nicht alles Tolle gesehen, was ich gerne wollte. Allerdings gebe ich zu, dass sich ohne Interesse an Architektur oder Design die Möglichkeiten schneller erschöpfen.

    Kopenhagen ist eine Traumstadt, wobei ich als Rentnerin dann wie viele Skandinavier lieber 3 Monate im warmen Süden verbringen möchte ;-)

    Lg, Britta

  26. jule Says:

    Wie kann man das nur so missverstehen? Kopenhagen hat viel, was des Sehens würdig ist. Aus Meikes Sicht aber nicht die klassischen großen sogenannten Sehenswürdigkeiten, die pflichtschuldig von Touristen abzuklappern sind.

    Aus Meikes Worten Kritik an Kopenhagen herauszulesen, muss man erst einmal schaffen…

    Ohnehin ist Meike keine Touristin. Sie reist – und sie lebt in den Städten. Das macht es ja so reizvoll, lesend mitzureisen. Gekoppelt mit der wunderbar subjektiven Wahrnehmung und Meikes Talent, große Kleinigkeiten zu entdecken und auszukosten UND in Worte zu fassen.

  27. Berenike_B. Says:

    Hallo,

    mich hat Meikes Eintrag neugierig gemacht auf die Stadt :D . Habe direkt für nächstes Jahr gebucht. Man darf gespannt sein! :)

  28. Christine Says:

    Liebe Meike (ich geh jetzt auch zum Du über..)

    das ist wunderbar! Soo entspannt und so vielfältig einen Samstag zu verbringen – ein Geschenk..
    Die Tankstelle ist witzig, ich wünsche noch viele solcher “kleinen” Entdeckungen auf all Deinen Wegen.

    herzliche Grüße – Christine

  29. Andreas Says:

    genau, kopenhagen ist keine stadt zum anschauen sondern zum erleben. und da braucht man einfach zeit. ich komme regelmäßig mit dem boot dort vorbei und bleibe einige tage. ein genuß.

    andreas (auch gerade dort)

  30. Peter Says:

    Die Hamburger(innen) sind wohl große Strafen-Erfinder, was? Vor geraumer Zeit las ich beim Hamburger Schriftsteller Frank Schulz was von “standrechtlich enteicheln”, das war fortan meine Lieblingsstrafe (für andere, nicht für mich selbst), aber “mit dem nassen Lappen verhauen” ist auch sehr, sehr köstlich, ich stell’s mir gerade bildlich vor.