Noch ‘ne Buchhandlung

Donnerstag, 3. Februar 2011

Ein Kammerkonzert im Vergleich zur großen Oper des Ateneo von gestern, aber auch in der ungleich relaxteren Umgebung von Palermo Viejo, dem Prenzlauer Berg von Buenos Aires. Libros del Pasaje war ein Tipp des Kameramanns Matthias Fleischer, der zwischen Berlin und Buenos Aires pendelt (bitte nächste Woche ins Kino gehen, da startet sein in Buenos Aires gedrehter und schon jetzt mit Preisen überschütteter neuer Film Das Lied in mir). Er kaufte mir hier liebenswürdigerweise gleich noch den Führer „The Book of Books“, eine Einführung in die Wunderwelt der Buchhandlungen von Buenos Aires. Die Portenõs scheinen ausgesprochene Lesemaniker zu sein, hier kommt ein Buchladen auf 6000 Einwohner. Dieser hier ist besonders hübsch, mit bis unter die Decke gestapeltem Lesestoff, einem gut sortierten Tisch mit englischsprachiger Literatur (ich habe endlich Jules Vernes „In 80 Tagen um die Welt“ gekauft, eigentlich Pflichtlektüre für eine Weltreisende), einem ruhigen Innenhof und einem gemütlichen Café im hinteren Teil.

Thames 1762 (y Pasaje Russel), Palermo

Dagegen

Donnerstag, 3. Februar 2011

Ebenfalls ein bereits am dritten Tag liebgewonnenes Ritual: die tägliche Demo in meiner Straße. Der Porteño protestiert eigentlich ständig gegen etwas, heute gegen die Chemieriesen und die Ölindustrie, gestern… ich bin nicht ganz sicher. Es sind immer charmante Minidemos, paar Plakate, paar Trommler, paar Böller, bisschen Straßenfest. 20 bis 30 Leute, die zwei bis drei Fahrspuren während der Rushhour blockieren und dazu ein paar Bierchen trinken. Gefällt mir gut.

Prohibido

Donnerstag, 3. Februar 2011

Jeden Tag komme ich an mehreren offenen Zeitungsbuden in meiner Straße vorbei, eine steht direkt vor meiner Haustür. Und jeden Tag staune ich: Direkt über den Klatsch- und Kinderzeitschriften ist eine Lage von Harcore-DVDs ausgestellt. Dabei ist das Angebot von Kiosk zu Kiosk unterschiedlich. Der vor meinem Haus hat sich auf Analpornos spezialisiert, der ein paar Meter weiter auf Schwulenpornos. Ob sich die Dinger wirklich in aller Öffentlichkeit verkaufen? Andererseits: Mars und Bounty schmelzen bei der Hitze, damit wäre hier kein Extra-Umsatz zu machen.

Looking for Evita

Donnerstag, 3. Februar 2011

Auf die Gefahr, dass sich als meine Hauptinteressen beim Reisen Essen und Friedhöfe entpuppen sollten: Ich war sowieso im Stadtteil Recoleta unterwegs und da dachte ich mir: Bringen wir’s gleich hinter uns, das Evita-Ding. Irgendwo hier auf dem Friedhof La Recoleta muss sie liegen, das wusste ich, aber wo? Es war kurz vor Toresschluss, es gab keine Touristenmassen mehr, denen man folgen könnte (die simpelste Strategie für Menschen ohne Reiseführer), und der Plan, der am Eingang verteilt wird, ist eher verwirrend als hilfreich. Aber wie immer ist das Suchen ja schöner als das Finden.

Die Stadt der Toten hat ihre besseren und schlechteren Viertel wie jede andere Stadt auch. Einige der Mausoleen sind aufgebrochen und mit Plastikmüll gefüllt, andere in bestem Zustand und sogar mit Klimaanlage ausgestattet. Ungewöhnlich: Auf den Grabplatten steht hier nur das Sterbedatum, nicht das Geburtsdatum. Der Tod wird festgehalten, nicht das Leben.

Am Ende habe ich sie dann doch noch gefunden, indem ich den Friedhofswärtern nachging, die die letzten Besucher verscheuchten. Und die standen natürlich vor Evita, im Familiengrab der Duartes in einer kleinen Nebenstraße des Friedhofs.

Großspurig

Mittwoch, 2. Februar 2011

Hier ist alles ein bisschen größer als woanders und vielleicht auch ein bisschen größenwahnsinniger. Gestern musste ich auf dem Weg zum Tangoschuhladen die mit 140 Metern angeblich breiteste Straße der Welt überqueren, für die man als Fußgänger mindestens zwei Ampelphasen braucht. Noch nie habe ich eine Fußgängerampel gesehen, die einem per Countdown mitteilt, wie viele Sekunden einem noch für einen Rettungssprint auf eine Verkehrsinsel bleiben, bevor die Wagenlawine über einen rüberdonnern wird, sieben, sechs, fünf, vier Sekunden, oh Gott!

Heute dagegen war es beschaulicher, wenn auch nicht minder grandios. Einer der bekanntesten Buchläden der Stadt ist El Ateneo Grand Splendid, ein ehemaliges Theater, in dessen Logen man sich jetzt mit einem Stapel Bücher zurückziehen kann und auf dessen Bühne – dort, wo einst Carlos Gardel aufgetreten ist – man jetzt einen Cortado trinken kann.

Hier ein kleiner filmischer Rundgang.

Ein absolut magischer Ort – vorausgesetzt, man spricht Spanisch. Es gibt ein einziges schmales Regal mit englischer Literatur, darin findet sich allerdings ausschließlich Flughafenschrott.

Avenida Santa Fe 1860, Recoleta

Porteña

Dienstag, 1. Februar 2011

Ich hatte mir für den ersten Tag nur zwei Dinge vorgenommen, die ich kaufen wollte: erstens ein Steak und zweitens Tangoschuhe. Denn mit Flip-Flops und Ballerinas kommt man hier nicht sehr weit, das war mir schon vorher klar. Ab nächstem Montag lerne ich 20 Stunden pro Woche Spanisch – und vier Stunden Tango. Von den beiden ist Tango vermutlich die wichtigere Sprache in Argentinien.

Das Zentrum des hiesigen Tangoschuhhandels liegt bequemerweise in einer Straße nicht weit von mir, der Avenida Suipacha. Da liegen einander gleich drei Geschäfte gegenüber, die alle ihre eigenen Schuhe produzieren: Flabella (Nr. 263), Darcos Tango (Nr. 251) und Centro Artesanal del Tango (Nr. 256).

Flabella, siehe links, ist am hübschesten. Aber das Centro Artesanal hat mich schon durch die Auswahl an Absätzen überzeugt, siehe rechts. Tangoschuhe kaufen geht so: Der Schuhverkäufer guckt mich an und holt dann alles Vorhandene in meiner Schuhgröße (40) mit einer meiner Länge angemessenen Absatzhöhe aus dem Regal. Denn ich kann zwar auf 10 Zentimeter hohen Absätzen gehen, aber kann ich darauf auch tanzen? Das Aussehen der Schuhe ist dabei zunächst egal. Wir entscheiden uns für ein zurückhaltendes Modell in schwarz auf bescheidenen sieben Zentimetern, das schraubt mich zwar auch schon auf 1,90 Meter, aber der Porteño* ist ja selbstbewusst. Tanzschuhe kosten hier nicht furchtbar viel Geld (dasselbe gilt übrigens auch für Steaks), gute bekommt man schon ab circa 55 Euro.

* Porteños ist der Ausdruck für die Bewohner von Buenos Aires. Wörtlich übersetzt: Hafenstadtbewohner. Gefällt mir, denn das ist in der Tat ein eigener Menschenschlag.

Medialunas

Dienstag, 1. Februar 2011

Es geht schon wieder los. An der nächsten Straßenecke nämlich ist La Americana, „die Königin der Empanadas“, der gefüllten Teigtaschen, die hier zu jeder Tageszeit gegessen werden. Die müssen uns jetzt nicht weiter kümmern, die kriegen wir später. Leider haben sie dort aber auch Medialunas, leicht gesüßte kleine Croissants, eher saftig als krümelig und vollständig suchtbildend. Stück 1,10 AR$, umgerechnet 20 Cent. Das wird mein Untergang. Man sieht es schon an dem Foto oben: Ich konnte es mal wieder nicht abwarten und musste das angebissene Medialuna hinter seinem großen Bruder verstecken.

Avenida Callao 83, Buenos Aires

Buenos dias

Montag, 31. Januar 2011

Es könnte sein, dass ich jetzt ein bisschen Blödsinn schreiben, denn mein Hirn ist Matsch. Ich bin heute um 11 Uhr morgens in Sydney losgeflogen und bin nach 11 Stunden Flug um 10 Uhr desselben Morgens in Buenos Aires gelandet. Ich eile Deutschland jetzt nicht mehr zehn Stunden voraus, sondern hinke ihm vier Stunden hinterher. Wunderbare, verwirrende Datumsgrenze.

Das da oben trägt zu meiner Verwirrung nur noch mehr bei: meine Wohnung für diesen Monat. Ein Belle Epoque-Palast in der Avenida Callao, 140 Quadratmeter über zwei Geschosse für knapp 1000 Euro, vorne zur Straße raus brüllend laut, oben im Schlafzimmer gottlob ruhig. Die Wohnung gehört Jeff Tobin, einem amerikanischen Kulturanthropologie-Professor aus Los Angeles mit Schwerpunkt Lateinamerika. Letztes Themenfeld: Männlichkeitsforschung am Beispiel von argentinischem Fußball, Tango und Asado (das hiesige Wort für Barbecue). Im Bücherschrank steht viel Wissenschaftliches zum Thema Macho, aber auch ein guter Meter über die Soziologie des Essens. (Ehrlich, ich kann nichts dafür, es verfolgt mich.) Jeff ist mit einer Argentinierin verheiratet und nutzt die Wohnung immer mal wieder ein halbes Jahr, ansonsten vermietet er. Auch dieses Zuhause habe ich über das bereits erwähnte Sabbatical Homes gefunden. Unten hockt neben dem Lift, bei dem man immer erst zwei Scherengittertüren öffnen und schließen muss, bevor er fährt, ein Concierge, der sich fast verrenkt, um mir behilflich zu sein. Ich merke schon: 1,83 Meter und blond – das wird mir noch viel Spaß machen in diesem Land.

Sofort ist das Leben ein anderes in solcher maroder Pracht. Die erste Mahlzeit – ein halbes gebratenes Huhn aus dem Supermarkt gegenüber, ein Bier aus der hier üblichen Literflasche, ein Kännchen Mate-Tee – wird deshalb am Tisch in der Bibliothek eingenommen, an dem ich locker 12 Leute bewirten könnte. Ab nächster Woche werde ich einen Spanischkurs machen, aber wenn ich mir die Bierflasche so durchlese, müsste ich auch ohne ganz gut durchkommen: „Desde 1890 la cerveza preferida de los Argentinos“, das kriegt man mit großem Latinum alles hin.